Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Die Reisenden.

Während dieses Unglück, der Vorläufer eines noch viel größeren, in Erfüllung ging, kamen zwei Reisende auf vortrefflichen Pferden in einer kühlen Nacht aus dem Tore Brüssels und ritten in der Richtung von Mecheln vorwärts. Sie bewegten sich nebeneinander; sie hatten ihre Mäntel eingebunden und scheinbar keine Waffen, abgesehen von einem flämischen Messer, dessen messingenen Griff man am Gürtel des einen glänzen sah.

Diese Reisenden ritten ihres Weges, jeder seinem Gedanken folgend, ohne ein Wort auszutauschen.

Wer sie auf der vom Monde beleuchteten Landstraße so friedlich hätte traben sehen, würde sie für gute Leute gehalten haben, die es drängte, nach einer guten Tagereise ein gutes Bett zu finden.

Doch man hätte nur einige durch den Wind von ihrem Gespräche abgelöste Sätze zu hören brauchen, um diese irrige Meinung aufzugeben.

Und das seltsamste von allen Worten, die sie austauschten, war auch ihr erstes, als sie ungefähr eine halbe Meile von Brüssel entfernt sein mochten.

»Madame,« sagte der stärkere zu dem schlankeren Gefährten, »Ihr habt in der Tat recht gehabt, diese Nacht aufzubrechen; wir gewinnen sieben Meilen durch unsern Marsch und kommen nach Mecheln gerade in dem Augenblick, in dem aller Wahrscheinlichkeit nach das Resultat des Handstreichs auf Antwerpen bekannt sein wird. Man wird sie dort in der ganzen Trunkenheit des Triumphes finden. In zwei kurzen Tagemärschen erreichen wir Antwerpen, und zwar ohne Zweifel zur Stunde, wo der Prinz sich von seiner Freude erholt und die Gnade haben wird, auf den Boden zu schauen, nachdem er sich bis in den siebenten Himmel erhoben.«

Der Gefährte, der von dem andern Madame genannt wurde, erwiderte mit einer zugleich ruhigen, ernsten und sanften Stimme: »Mein Freund, glaubt mir, Gott wird müde sein, diesen elenden Prinzen zu beschützen, und ihn grausam schlagen; beeilen wir uns also, unsere Pläne in Ausführung zu bringen, denn ich gehöre nicht zu denen, die an das Schicksal glauben, und ich denke, die Menschen haben frei über ihren Willen und über ihre Handlungen zu gebieten. Wenn wir nicht handeln und Gott handeln lassen, so war es nicht der Mühe wert, so schmerzlich bis auf diesen Tag zu leben.«

In diesem Augenblick pfiff ein eisiger Nordwest vorüber.

»Ihr schauert, Madame,« sagte der ältere von den Reisenden; »nehmt Euren Mantel!«

»Nein, Rémy, ich danke; du weißt, ich fühle weder mehr die Schmerzen des Körpers noch die Qualen des Geistes.«

Rémy schlug die Augen zum Himmel auf und blieb in ein düsteres Nachdenken versunken. Zuweilen hielt er sein Pferd an und wandte sich auf seinen Steigbügeln um, während ihm seine Gefährtin stumm wie eine Reiterstatue voranritt.

Nach einem von diesen Halten, und als ihr Gefährte sie wieder eingeholt hatte, sagte sie: »Du siehst niemand mehr hinter uns?« – »Nein, Madame, niemand.«

»Der Reiter, der uns in der Nacht in Valenciennes einholte und sich nach uns erkundigte, nachdem er uns so lange beobachtet hatte?« – »Ich sehe ihn nicht mehr.«

»Aber mir scheint, ich habe ihn gesehen, ehe wir Mons erreichten.« – »Und ich, Madame, weiß sicher, daß ich ihn gesehen habe, ehe wir nach Brüssel kamen.«

»Nach Brüssel, sagst du?« – »Ja; doch er wird in dieser Stadt angehalten haben.«

»Rémy,« sagte die Dame, indem sie sich ihrem Gefährten näherte, als fürchtete sie, man könnte sie auf dieser öden Straße hören, »kam es dir nicht vor, als gliche er . . .« – »Wem?«

»Seiner Haltung nach wenigstens, denn ich habe sein Gesicht nicht gesehen, dem unglücklichen jungen Mann.« – »Oh! nein, nein, Madame,« erwiderte Rémy hastig, »nicht im geringsten; wie hätte er überdies vermuten sollen, daß wir Paris verlassen haben und uns auf dieser Straße befinden?«

»Woher wußte er, Rémy, daß wir unsere Wohnung in Paris veränderten?« – »Nein, nein, Madame, er ist uns nicht gefolgt und hat uns nicht folgen lassen, und ich habe, wie ich Euch dort sagte, starke Gründe zu glauben, daß er einen verzweifelten Entschluß gefaßt hat.«

»Ach! Rémy, jeder trägt seinen Teil Leiden auf dieser Erde; Gott erleichtere die dieses armen Jünglings.«

Rémy antwortete mit einem Seufzer auf den Seufzer seiner Gebieterin, und sie setzten ihre Reise fort, ohne ein anderes Geräusch, als das der Tritte ihrer Pferde auf der schallenden Straße.

So vergingen zwei Stunden. In dem Augenblick, als unsere Reisenden in Vilvorde einritten, drehte Rémy lebhaft den Kopf um. Er hatte den Galopp eines Pferdes bei der Biegung der Straße gehört. Er hielt an, horchte, sah aber nichts. Seine Augen suchten vergebens die Tiefe der Nacht zu durchdringen, doch da kein anderes Geräusch die feierliche Stille unterbrach, ritt er mit seiner Gefährtin in den Flecken ein.

»Madame,« sagte er, »es wird bald Tag werden; wenn Ihr meinem Rate folgen wollt, halten wir hier an; die Pferde sind müde, und Ihr bedürft der Ruhe.«

»Rémy,« entgegnete die Dame, »vergebens wollt Ihr mir verbergen, was Ihr empfindet, Rémy, Ihr seid unruhig . . . .« – »Ja, über Eure Gesundheit, Madame; glaubt mir, eine Frau vermag solche Drangsale nicht zu ertragen, und ich bin kaum selbst . . . .«

»Tut, was Euch beliebt, Rémy.« – »Nun, so reitet in dieses Gäßchen, an dessen Ende ich die erlöschende Laterne eines Wirtshauses erblicke; es ist das Zeichen, woran man die Wirtshäuser erkennt; ich bitte, beeilt Euch!«

»Ihr habt also etwas gehört?« – »Ja, etwas wie den Hufschlug eines Pferdes. Wohl glaube ich, daß ich mich getäuscht habe; aber jedenfalls bleibe ich einen Augenblick zurück, um mich zu versichern, ob ich richtig oder falsch gehört.«

Rémy ließ die Dame an sich vorbeireiten, stieg ab und warf seinem Pferde den Zügel auf den Hals; es folgte natürlich dem seiner Gefährtin. Er selbst wartete gebückt hinter einem riesigen Weichstein.

Während die Dame zum Wirtshaus ritt und dort eintrat, lauerte Rémy aus seinem Versteck auf den Reisenden, dessen Pferd er hatte galoppieren hören. Er sah ihn, aufmerksam horchend, in den Flecken reiten; bei dem Gäßchen angelangt, erblickte der Reisende die Laterne, und er schien zu zögern, ob er weiter reiten oder sich nach dieser Seite wenden sollte. Zwei Schritte von Rémy, der auf seiner Schulter den Atem des Pferdes fühlte, hielt er an.

Rémy legte die Hand an sein Messer. »Er ist es,« brummte er, »er folgt uns abermals . . . Was will er von uns?«

Der Reisende kreuzte seine Arme über seiner Brust, während sein Roß, den Hals ausgestreckt, angestrengt schnaufte.

»Sie sind weiter geritten, folgen wir ihnen,« sagte er nach einer Weile gespannten Horchens mit halber Stimme. Und er ließ seinem Pferde wieder die Zügel und setzte seinen Weg fort.

»Morgen schlagen wir eine andere Straße ein,« sagte Rémy zu sich selbst. Und er eilte seiner Gefährtin nach, die ihn ungeduldig erwartete.

»Nun,« fragte sie ganz leise, »folgt man uns?« – »Niemand; ich täuschte mich; nur wir sind auf der Straße, und Ihr könnt in vollkommener Sicherheit schlafen.«

»Oh! ich habe keinen Schlaf, Rémy, – Ihr wißt es wohl.« – »Aber Ihr werdet wenigstens zu Nacht essen, denn Ihr habt schon gestern nichts gegessen.«

»Gern, Rémy.«

Man weckte zum zweiten Male die Magd, die ihnen kaltes Fleisch, eingemachte Früchte und Löwener Bier brachte. Die Magd blieb, weiterer Befehle gewärtig, stehen und sah staunend, wie mäßig die Reisenden den Speisen zusprachen, wie sie es bei ihren flämischen Landsleuten noch nie gesehen hatte.

»Sage mir, mein Kind,« fragte sie Rémy, »gibt es einen Seitenweg von hier nach Mecheln?« – »Ja, mein Herr, aber er ist sehr schlecht; während es eine vortreffliche Landstraße gibt.«

»Ich weiß es; doch ich muß auf dem andern Wege reisen.« – »Mein Herr, ich muß Euch warnen; da Eure Gefährtin eine Frau ist, so wird für sie besonders der Weg doppelt schlecht sein.«

»Warum?« – »Weil in dieser Nacht viele Landleute durch die Gegend kommen, um nach Brüssel zu ziehen.«

»Nach Brüssel?« – »Ja, sie wandern für den Augenblick aus.«

»Warum wandern sie aus?« – »Ich weiß es nicht, es ist so der Befehl.«

»Der Befehl von wem? vom Prinzen von Oranien?« – Nein, von Monseigneur.«

»Wer ist dieser Monseigneur?« – »Ah! bei Gott! Ihr fragt mich zu viel, mein Herr, ich weiß es nicht; es ist nur so viel gewiß, daß man auswandert.«

»Und wer sind die Auswandernden?« – »Die Bewohner des Landes, der Dörfer, der Flecken, die weder Dämme noch Wälle haben.«

»Das ist seltsam,« sagte Rémy. »Doch nicht wahr, wir können weiter reisen, da wir nach Mecheln gehen?«

»Ich glaube wohl, wenn Ihr es nicht lieber wie alle machen und nach Brüssel ziehen wollt.«

Rémy schaute seine Gefährtin abermals an.

»Nein, nein, wir brechen auf der Stelle nach Mecheln auf,« rief die Dame, indem sie rasch aufstand, »habt die Güte und öffnet den Stall, meine Liebe!«

Rémy stand wie seine Gefährtin auf und sagte leise: »Gefahr für Gefahr; ich ziehe die vor, die ich kenne; überdies ist uns der junge Mann voran . . . und sollte er etwa auf uns warten, nun so werden wir ja sehen.«

Da die Pferde nicht einmal abgesattelt worden waren, so fand sie der junge Tag an den Ufern der Dyle.



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