Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Die Lektion.

Chicot stellte sich gerade und fest auf die Beine, mit einem schneidigen und zugleich nervigen Faustgelenke, mit einem Degen, der von der Spitze bis zur Hälfte der Klinge biegsames Rohr zu sein schien und vom Stichblatt bis zur Mitte ein unbiegsamer Stahl war.

Als er diesen ehernen Mann vor sich sah, dessen Faustgelenk allein lebendig zu sein schien, trat bei Jacques eine Ungeduld ein, die auf Chicot keine andere Wirkung hervorbrachte, als daß sie seinen Arm und sein Bein bei der geringsten Blöße abspannte, die er in dem Spiel seines Gegners wahrnahm, und man begreift, daß bei der großen Lebhaftigkeit des Gegners diese Blößen häufig vorkamen. Bei jeder verlängerte sich dieser große Arm um drei Fuß und traf die Mitte der Brust des Bruders mit einem so methodischen Knopfstoße, als ob ein Mechanismus ihn geleitet hätte und nicht ein ungleiches und ungewisses Organ von Fleisch, und bei jedem von diesen Stößen machte Jacques, rot vor Zorn und Wetteifer, einen Sprung rückwärts.

Zehn Minuten lang entwickelte der junge Mensch alle Mittel seiner wunderbaren Behendigkeit; er stürzte vor wie eine Tigerkatze, er bog sich zurück wie eine Schlange, er schlüpfte unter Chicots Brust, sprang rechts und links; aber dieser erfaßte mit seiner ruhigen Miene und seinem langen Arm die geeignete Zeit, drückte das Rapier seines Gegners auf die Seite und sandte stets den furchtbaren Knopf an seine Adresse.

Bruder Borromée erbleichte beim Zurückströmen aller Leidenschaften, die ihn kurz zuvor übermäßig aufgereizt hatten.

Endlich drang Jacques zum letzten Male auf Chicot ein, der, da er ihn durchaus nicht lotrecht auf seinen Beinen sah, ihm eine Blöße bot, damit er gänzlich ausfiele. Jacques verfehlte nicht, dies zu tun, und Chicot, der steif parierte, brachte den armen Zögling dergestalt von der Linie des Gleichgewichts ab, daß er die Haltung verlor und hinfiel.

Unbeweglich, wie ein Fels, war Chicot auf derselben Stelle geblieben.

Bruder Borromée zernagte sich die Finger bis aufs Blut. »Ihr habt uns nicht gesagt, daß Ihr eine Säule des Fechtsaales wäret,« murrte er.

»Er,« rief Gorenflot verwundert, aber aus einem leicht begreiflichen Gefühle der Freundschaft triumphierend, »er, was denkt Ihr?«

»Ich, ein armer Bürger,« sagte Chicot; »ich, Robert Briquet, eine Säule des Fechtsaals, oh! Herr Säckelmeister!«

»Aber,« rief Bruder Borromée, »um einen Degen zu handhaben, wie Ihr es tut, muß man ungeheuer geübt sein.«

»Ei! mein Gott, ja,« erwiderte Chicot treuherzig, »ich habe in der Tat hier und da den Degen geführt; doch wenn ich ihn führte, sah ich immer ein Ding.«

»Was?«

»Daß für den, der ihn führt, der Stolz ein schlechter Ratgeber und der Zorn ein schlechter Helfer ist. Nun hört, mein kleiner Jacques,« fügte er hinzu, »Ihr habt ein hübsches Faustgelenk, doch Ihr habt weder Beine noch Kopf; zum Fechten gehören drei wesentliche Dinge: der Kopf zuerst, dann die Hand und endlich die Beine; mit dem ersten kann man sich verteidigen, mit dem ersten und der zweiten kann man siegen, vereinigt man aber alle drei, so siegt man immer.«

»Oh!« sagte Jacques, »fechtet einmal mit Bruder Borromée, das ist gewiß hübsch anzuschauen.«

Chicot wollte den Vorschlag verächtlich zurückweisen, doch er bedachte, daß der stolze Säckelmeister vielleicht einen Vorteil daraus ziehen würde.

»Es sei,« sagte er, »wenn Bruder Borromée einwilligt, bin ich zu Befehl!«

»Nein, mein Herr,« erwiderte der Säckelmeister; »ich würde geschlagen, ich will es lieber anerkennen, als die Probe machen.«

»Oh! wie bescheiden, wie liebenswürdig ist er!« sagte Gorenflot.

»Du täuschest dich,« entgegnete ihm der unbarmherzige Chicot ins Ohr, »er ist verrückt vor Eitelkeit; hätte ich in seinem Alter eine solche Gelegenheit gefunden, ich würde auf den Knien um die Lektion gebeten haben, die Jacques soeben zuteil geworden ist.«

Hiernach nahm Chicot wieder seinen gekrümmten Rücken, seine Zirkumflexbeine und seine ständige Grimasse an und setzte sich auf seine Bank.

Jacques folgte ihm; die Bewunderung trug bei dem jungen Mann den Sieg über die Schmach der Niederlage davon.

»Gebt mir doch Lektionen, Herr Robert,« sagte er, »der ehrwürdige Herr Prior wird es erlauben, nicht wahr?«

»Ja, mein Kind, mit Vergnügen,« antwortete Gorenflot.

»Ich will Eurem Lehrer keinen Vorzug abzugewinnen suchen,« sagte Chicot, – und er verbeugte sich vor Borromée.

»Ich bin nicht Jacques' einziger Lehrer,« entgegnete Borromée; »ich unterrichte nicht allein im Fechten hier, und da ich nicht allein die Ehre habe, so erlaubt mir, auch nicht allein die Niederlage auf mich zu nehmen.«

»Wer ist denn sein anderer Professor?« fragte hastig Chicot, als er bei Borromée die Röte wahrnahm, welche die Furcht, eine Unklugheit begangen zu haben, verriet.

»Niemand, niemand,« erwiderte Borromée.

»Doch, doch,« sagte Chicot, »ich habe vollkommen gut gehört. Wer ist denn Euer anderer Lehrer, Jacques?«

»Ja, ja, ein kurzer, dicker Mann,« rief Gorenflot. »Ihr habt ihn mir vorgestellt, und er kommt zuweilen hierher; ein gutes Gesicht . . . trinkt auch ganz angenehm.«

»Ich erinnere mich seines Namens nicht mehr,« sagte Borromé.

Bruder Eusèbe, mit seiner glückseligen Miene und seinem Messer im Gürtel, trat einfältig vor und sagte: »Ich weiß es.«

Borromée machte ihm vielfache Zeichen, die er nicht bemerkte.

»Es ist Meister Bussy-Leclerc, der Professor der Fechtkunst in Brüssel war,« fuhr er fort.

»Alle Wetter!« sagte Chicot, »Meister Bussy-Leclerc, wahrhaftig, eine gute Klinge.«

Und während er dies mit aller Naivität, deren er fähig war, sagte, fing er den wütenden Blick auf, den Borromé auf den zur Unzeit Gefälligen schoß.

»Ah! es war mir nicht bekannt, daß er Bussy-Leclerc hieß. Man vergaß, mich davon zu unterrichten,« versetzte Gorenflot.

»Ich wußte nicht, daß der Name Eure Herrlichkeit im geringsten interessierte,« sagte Borromé.

»In der Tat!« rief Chicot, »mag dieser oder jener der Fechtmeister sein, gleichviel, wenn er nur gut ist.«

»In der Tat, gleichviel, wenn er nur gut ist,« wiederholte Gorenflot und schlug, von allgemeiner Bewunderung geleitet, den Weg nach der Treppe seiner Wohnung ein. Die Übung war beendigt.

Um Fuße der Treppe wiederholte Jacques zum größten Mißvergnügen Borromées seine Bitte Chicot gegenüber, dieser aber antwortete: »Ich verstehe nicht zu unterrichten; ich habe mich ganz allein durch Nachdenken und Übung gebildet; macht es wie ich; jedem gesunden Geiste nützt das Gute.«

»Ich hoffe, das ist ein dem Dienste Gottes geweihtes und zu etwas taugliches Haus!« sagte Gorenflot stolz, als er, sich auf Chicot stützend, die Treppe hinaufging.

»Pest! ich glaube es wohl,« erwiderte Chicot. »Man sieht schöne Dinge, ehrwürdiger Prior, wenn man zu Euch kommt.« – »Dies alles in einem Monat, in weniger als einem Monat sogar.«

»Und durch Euch?« – »Durch mich, durch mich allein, wie Ihr seht,« antwortete Gorenflot, sich aufrichtend.

»Das ist mehr, als ich erwartete, und wenn ich von meiner Sendung zurückkomme, Freund . . .« – »Ah! es ist wahr, lieber Freund; sprechen wir von Eurer Sendung . . .«

»Um so lieber, als ich vor meiner Abreise eine Botschaft oder vielmehr einen Boten an den König zu schicken habe.« – »An den König, lieber, Freund? einen Boten? Ihr korrespondiert also mit dem König? Wollt Ihr einen von unseren Brüdern? Es wäre eine Ehre für das Kloster, wenn einer von unsern Brüdern den König sehen würde.«

»Gewiß!« – »Ich will zwei unserer besten Beine zu Eurer Verfügung stellen; doch erzählt mir, Chicot, wie der König, der Euch für tot hielt . . .«

»Ich habe ihm gesagt, es war nur eine Lethargie, und im gegebenen Augenblick bin ich aufgestanden.« – »Um wieder in Gunst zu kommen?«

»Mehr als je.« – »Dann könnt Ihr dem König wohl alles sagen, was wir in seinem Interesse tun?«

»Ich werde es nicht unterlassen, mein Freund, seid unbesorgt.« – »Ah! teurer Chicot,« rief Gorenflot, der sich schon als Bischof sah.

»Zuvor habe ich Euch jedoch um zwei Dinge zu bitten.« – »Sprecht.«

»Zuerst um Geld, das Euch der König zurückgeben wird.« – »Geld?« rief Gorenflot, höflich aufstehend, »meine Kassen sind voll.«

»Ihr seid, meiner Treu! glücklich.« – »Wollt Ihr tausend Taler?«

»Nein, das ist viel zu viel; ich bin bescheiden in meinen Ansprüchen, demütig in meinen Wünschen; mein Titel als Botschafter macht mich nicht stolz, und ich verberge ihn eher, als daß ich mich damit brüste. Hundert Taler genügen mir.« – »Hier sind sie. Und das Zweite?«

»Ein Stallmeister.« – »Ein Stallmeister?«

»Ja, um mich zu begleiten; ich liebe die Gesellschaft.« – »Ah! mein Freund, wenn ich noch frei wäre, wie einst . . .« sagte Gorenflot, einen Seufzer ausstoßend.

»Ja, aber Ihr seid es nicht mehr.« – »Die Größe fesselt,«, murmelte Gorenflot.

»Ach! man kann nicht alles zugleich haben,« erwiderte Chicot; »da ich mich nicht Euerer ehrenwerten Gesellschaft erfreuen kann, teuerster Prior, so werde ich mich mit dem kleinen Bruder Jacques begnügen.« – »Mit dem kleinen Bruder Jacques?«

»Ja, er gefällt mir.« – »Und du hast recht, Chicot; es ist ein seltener Mensch, der es weit bringen wird.«

»Ich will ihn zuerst zwei hundert Meilen weit führen, wenn du es erlaubst?« – »Er gehört dir, mein Freund.«

Der Prior schlug auf eine Glocke, bei deren Klang ein Laienbruder herbeilief.

»Man lasse den Bruder Jacques und den mit den Gängen in der Stadt beauftragten Bruder heraufkommen.«

Zehn Minuten nachher erschienen beide auf der Schwelle.

»Jacques,« sagte Gorenflot, »ich gebe Euch eine außerordentliche Sendung.«

»Mir, Herr Prior?« fragte der junge Mensch erstaunt.

»Ja, Ihr werdet Herrn Robert Briquet auf einer großen Reise begleiten.«

»Oh!« rief mit maßloser Begeisterung der junge Bruder, »ich auf die Reise mit Herrn Robert Briquet, ich in frischer Luft, ich in Freiheit! Ah! Herr Robert Briquet, nicht wahr, wir werden jeden Tag fechten?« – »Ja, mein Kind.«

»Und ich darf meine Büchse mitnehmen?« – »Du wirst sie mitnehmen.«

Jacques sprang und stürzte mit einem Freudengeschrei aus dem Zimmer.

»Was den Auftrag betrifft,« sagte Gorenflot, »so bitte ich Euch, Eure Befehle zu geben. Tretet vor, Bruder Panurgos.«



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