Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Das Gemach seiner Majestät Heinrichs III. im Louvre.

In seinem großen Gemach im Louvre, in das wir schon so oft mit unseren Lesern eingetreten sind, finden wir den armen König Heinrich III. nicht mehr als König und Herrn, sondern niedergeschlagen, bleich, unruhig und ganz und gar der Verfolgung aller Schatten preisgegeben, die bei ihm die Erinnerung unablässig unter diesen erhabenen Gewölben hervorruft.

Heinrich III. war grausam heimgesucht worden. Alles, was er liebte, war nach und nach um ihn her gefallen. Nachdem, wie wir in der »Dame v. Monsoreau« erzählt haben, Schomberg, Quelus und Maugiron im Duelle durch Livarot und Antraguet getötet worden, wurde Saint-Megrin durch Herrn von Mayenne ermordet, die Wunden waren offen und blutig geblieben . . . . Seine Zuneigung für die neuen Günstlinge, Epernon und Joyeuse, glich der, die ein Vater, nachdem er seine besten Kinder verloren, auf die überträgt, die ihm noch bleiben; während er ihre Fehler vollkommen kennt, liebt er, schont er, behütet er sie, um dem Tod keine Gewalt über sie zu geben.

Er hatte Epernon mit Gütern überhäuft, trotzdem hatte er fortwährend unter dessen Habsucht zu leiden, da er beständig die Schwäche des Königs ausbeutete und aus dem Günstlingstum ein Gewerbe machte. Dabei zwang ihn die Notwendigkeit, auf Füllung des königlichen Schatzes bedacht zu sein, damit er selbst daraus schöpfen könne, und so statt eines trägen Höflings ein tätiger Höfling zu sein.

Viel reiner war das Verhältnis Joyeuses zum König. Aber Joyeuse war jung, feurig, verliebt, und wenn er verliebt war, selbstsüchtig; durch den König glücklich zu sein, hatte für ihn wenig Reiz, sonst glücklich zu sein, war alles für ihn.

Brav, schön, reich, glänzte er in diesem dreifachen Schein, der für junge Stirnen eine Liebesglorie bildet; die Natur hatte zu viel für Joyeuse getan, und Heinrich verfluchte zuweilen die Natur, die ihm, dem König, so wenig für seinen Freund zu tun übrig gelassen.

Heinrich kannte die beiden Männer genau und liebte sie vielleicht des Kontrastes willen. Unter seiner skeptischen und abergläubischen Hülle verbarg Heinrich einen Gehalt von Philosophie, der sich, ohne Katharina, sicher stark in einer nützlichen Richtung entwickelt hätte. Oft verraten, wurde Heinrich nie getäuscht.

Mit dem vollkommenen Verständnis des Charakters seiner Freunde, mit der tiefen Kenntnis ihrer Fehler und ihrer guten Eigenschaften, dachte er nun, von ihnen entfernt, einsam, traurig, in diesem düsteren Gemache an sie, an sich, an sein freudenleeres Leben.

Salcèdes Vierteilung hatte ihn eher trübe gestimmt. Allein zwischen den beiden Frauen in einem solchen Augenblick hatte Heinrich seine einsame Lage gefühlt; Luisens Schwäche machte ihn traurig; Katharinas Stärke erschreckte ihn. Heinrich empfand endlich in seinem Innern jene unbestimmte, ewige Angst, die die Könige erfaßt, wenn sie vom Mißgeschick dazu bestimmt sind, daß ein Geschlecht in ihnen und mit ihnen erlösche.

Und dennoch raffte er sich von Zeit zu Zeit zu der Energie seiner lange vor dem Ende seiner Jugend in ihm erloschenen Jugend auf.

»Warum soll ich mich berunruhigen?« sagte er zu sich selbst. »Ich habe keine Kriege mehr durchzukämpfen; Guise ist in Nancy; Heinrich in Pau; der eine muß seinen Ehrgeiz in sich selbst verschließen, der andere hat nie Ehrgeiz gehabt. Die Geister besänftigen sich, kein Franzose hat im Ernste das unmögliche Unternehmen, den König zu entthronen, im Auge behalten; die durch die goldene Schere der Frau von Montpensier versprochene dritte Krone ist nicht mehr als das Wort eines in seiner Eitelkeit verletzten Weibes; meine Mutter allein träumt immer von ihrem Usurpationsgespenst, ohne mir im Ernst den Usurpator zeigen zu können; doch ich, der ich ein Mann bin, der ich trotz meines Kummers ein noch junges Gehirn besitze, ich weiß, woran ich mich hinsichtlich der Prätendenten, die sie fürchtet, zu halten habe.

»Ich werde Heinrich von Navarra lächerlich, Guise verhaßt machen, und mit dem Schwerte in der Hand die fremden Bündnisse sprengen. Bei Gottes Tod! ich war bei Jarnac und Moncontour nicht mehr wert, als ich heute wert bin.

»Ja,« fuhr Heinrich fort, »die Langeweile ist mein einziger, mein wahrer Verschwörer. Ich will doch sehen, ob heute einer zu mir kommt! Joyeuse versprach mir, früh zu erscheinen: er belustigt sich, aber wie macht er das nur? Epernon? oh! der belustigt sich nicht; er schmollt, er hat seine Klauensteuer von fünfundzwanzigtausend Talern noch nicht erhalten; meiner Treue! er mag nach seinem Belieben schmollen.«

»Sire,« sagte die Stimme des Huissiers, »der Herr Herzog von Epernon!«

»Ah! guten Abend, Herzog,« sagte der König, als er eintrat, »ich bin entzückt, Euch zu sehen.«

Epernon verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

»Warum habt Ihr diesen Schurken von einem Spanier nicht vierteilen sehen? Ihr wußtet wohl, daß Ihr einen Platz in meiner Loge hattet, da ich es Euch sagen ließ.« – »Sire, ich konnte nicht.«

»Ihr konntet nicht?« – »Nein, Sire, ich hatte Geschäfte.«

»Sollte man nicht in der Tat glauben, es wäre mein Minister mit seinem ellenlangen Gesichte und käme, um mir zu melden, eine Steuer sei nicht bezahlt worden,« sagte Heinrich, die Achseln zuckend. – »Wahrhaftig,« sagte Epernon, die Kugel im Sprunge auffassend, »Eure Majestät hat recht, die Steuer ist nicht bezahlt, und ich habe keinen Taler mehr.«

»Gut,« machte Heinrich ärgerlich. – »Doch,« fuhr Epernon fort, »es handelt sich nicht darum, und ich beeile mich, es Eurer Majestät zu sagen, denn sie könnte glauben, dies seien die Angelegenheiten, mit denen ich mich beschäftige.«

»Laßt Eure Angelegenheiten hören, Herzog!« – »Eure Majestät weiß, was bei der Hinrichtung Salcèdes vorgefallen ist?«

»Bei Gott, da ich dabei gewesen bin.« – »Man hat den Verurteilten zu entführen versucht.«

Aber Heinrich wollte nichts von Politik hören, er wollte unterhalten sein und seufzte: »O, hätte ich doch noch jenen anderen demütigen Freund, mit dem ich nie einen einzigen Augenblick der Langeweile durchzumachen hatte.« – »Von wem spricht Eure Majestät?« –

»Du müßtest ihm gleichen, Epernon.« – »Aber ich müßte doch wissen, wen Eure Majestät beklagt?«

»Oh! armer Chicot, wo bist du?« – Epernon stand ganz gereizt auf.

»Nun, was machst du?« fragte der König. – »Es scheint, Sire, Eure Majestät ist heute bei Gedächtnis; doch in der Tat, das bringt nicht jedem Glück.«

»Und warum dies?« – »Weil mich Eure Majestät, vielleicht, ohne es zu überlegen, mit Herrn Chicot vergleicht, und weil ich mich durch diesen Vergleich sehr wenig geschmeichelt fühle.«

»Du hast unrecht, Epernon. Ich kann mit Chicot nur einen Menschen vergleichen, den ich liebe, und der mich liebt. Er war ein gediegener und geistreicher Diener.« – »Ich denke, nicht damit ich Meister Chicot gleiche, hat mich Eure Majestät zum Pair und Herzog gemacht.«

»Still, erheben wir keine Gegenbeschuldigung,« sagte der König mit einem so boshaften Lächeln, daß der Gaskogner, so fein und unverschämt er zugleich war, sich unbehaglicher vor diesem schweigenden Sarkasmus fühlte, als er es bei offenem Vorwurf gewesen wäre. »Chicot liebte mich, und er fehlt mir, das ist alles, was ich sagen kann,« fuhr Heinrich fort. »Oh! wenn ich bedenke, daß an demselben Platz, wo du bist, alle diese jungen, schönen, braven und treuen Leute vorübergegangen sind, daß auf dem Lehnstuhl, auf den du deinen Hut gelegt hast, Chicot mehr als hundertmal eingeschlafen ist.« – »Das war vielleicht sehr geistreich, jedenfalls aber sehr wenig ehrfurchtsvoll.«

»Ach! dieser teure Freund hat heute nicht mehr Geist als Körper.« Und der König schüttelte traurig seinen Rosenkranz von Totenköpfen, der ein so düsteres Geklapper hören ließ, als ob er von wirklichen Gebeinen gemacht wäre. – »Was ist denn aus Eurem Chicot geworden?«

»Er ist tot, tot wie alles, was mich geliebt hat.« – »Nun, Sire,« sagte der Herzog, »ich glaube in der Tat, er hat wohl daran getan, daß er gestorben ist; er alterte, viel weniger indessen, als seine Späße, und man hat mir gesagt, die Nüchternheit sei nicht seine Lieblingstugend gewesen. An was ist denn der arme Teufel gestorben, Sire, an der Unverdaulichkeit?«

»Chicot ist vor Kummer gestorben, schlechtes Herz,« erwiderte bitter der König, – »Er hätte Euch zum letzten Male lachen machen sollen.«

»Du täuschest dich; er wollte mich nicht einmal durch die Ankündigung seiner Krankheit betrüben; weil er wußte, wie sehr ich meine Freunde betraure, er, der mich so oft weinen sah.« – »Dann ist sein Schatten zurückgekehrt.«

»Gefiele es Gott, daß ich ihn wiedersehen würde, selbst im Schatten. Nein, sein bester Freund, der würdige Prior Gorenflot, hat mir diese Kunde mitgeteilt.« – »Gorenflot, wer ist dies?«

»Ein frommer Mann, den ich zum Prior der Jakobiner gemacht habe; er bewohnt das schöne Kloster vor der Porte Saint-Antoine, bei Bel-Esbat.« – »Sehr gut! irgendein schlechter Prediger, dem Eure Majestät eine Priorei von dreißigtausend Livres gegeben haben wird, ohne daß sie es wagt, ihm das Empfangene vorzurücken.«

»Willst du nun gottlos werden?« – »Wenn dies Eurer Majestät die Langeweile vertreiben könnte, würde ich es versuchen.«

»Willst du wohl schweigen, Herzog; du beleidigst Gott.« – »Chicot war sehr gottlos, und mir scheint, ihm verzieh man.«

»Chicot kam in einer Zeit, wo ich noch über etwas lachen konnte.« – »Dann hat Eure Majestät unrecht, seinen Verlust zu beklagen.«

»Warum?« – »Wenn sie über nichts mehr lachen kann, so würde ihr Chicot, so heiter er auch war, keine große Unterstützung gewähren.«

»Dieser Mann war zu allem gut, und ich beklage seinen Verlust nicht allein wegen seines Witzes.« – »Und warum sonst? Ich denke, nicht seines Gesichtes wegen, denn er war sehr häßlich, dieser Herr Chicot.«

»Er erteilte weise Ratschläge.« – »Ah! ich sehe wohl, wenn er noch lebte, würde Eure Majestät einen Siegelbewahrer aus ihm machen, wie sie aus diesem Kuttenmann einen Prior gemacht hat.«

»Still, Herzog, ich bitte Euch, spottet nicht über die, die mir Zuneigung bewiesen haben, und denen ich zugetan war. Seitdem Chicot gestorben, ist er mir heilig, wie ein ernster Freund, und wenn ich nicht Lust habe zu lachen, soll niemand lachen.« – »Es sei, Sire, ich habe so wenig Lust, zu lachen, als Eure Majestät. Noch soeben beklagtet Ihr den Verlust Chicots wegen seiner guten Laune; soeben verlangtet Ihr von mir, daß ich Euch aufheitere, während Ihr nun wünscht, daß ich Euch traurig mache . . . . Parfandious! . . . Oh! verzeiht, Sire, dieser verdammte Fluch entschlüpft mir immer.«

»Gut, gut, nun bin ich abgekühlt; nun bin ich auf dem Punkte, wo du mich haben wolltest, als du das Gespräch mit so düsteren Redensarten begannst. Sage mir nun deine schlimmen Nachrichten, Epernon; bei dem König findet sich immer die Kraft eines Mannes.« – »Ich bezweifle es nicht, Sire.«

»Und das ist ein Glück, denn schlecht bewacht, wie ich bin, wäre ich, wenn ich mich selbst nicht bewachte, zehnmal des Tages gestorben.« – »Was gewissen Leuten, die ich kenne, nicht mißfallen würde.«

»Gegen diese habe ich die Hellebarden meiner Schweizer, Herzog.« – »Das nützt nicht viel, wenn es gilt, aus der Ferne zu treffen.«

»Gegen die, die man aus der Ferne treffen muß, habe ich die Musketen meiner Schützen.« – »Das ist unbequem, will man von nahem treffen; um eine königliche Brust zu beschützen, taugen mehr als Hellebarden und Musketen gute Brüste.«

»Ach, das hatte ich einst, und in diesen Brüsten edle Herzen; nie hätte man mich erreicht zur Zeit der lebendigen Wälle, wie man Quelus, Schomberg, Saint-Luc, Maugiron und Saint-Megrin nannte.« – »Das ist es also, was Eure Majestät beklagt?«

»Ich beklage die Herzen, die vor allem in der Brust dieser Männer schlugen.« – »Sire, wenn ich es wagte, würde ich Eurer Majestät bemerken, daß ich Gaskogner, das heißt vorsichtig und gewandt bin; daß ich durch den Geist die Eigenschaften zu ersetzen suche, die mir die Natur versagt hat, mit einem Wort, daß ich alles tue, was ich kann, das heißt alles, was ich soll, und daß ich folglich mit Recht sagen kann: Komme, was da will.«

»Ah! so ziehst du dich heraus; du trittst ein und nimmst den Mund sehr voll mit wahren oder falschen Gefahren, denen ich preisgegeben sein soll, und wenn es dir gelungen ist, mich zu erschrecken, so faßt du dich in den Worten zusammen: Komme, was da will. Sehr verbunden, Herzog.« – »Eure Majestät will also ein wenig an diese Gefahren glauben?«

»Es sei. Ich werde daran glauben, wenn du mir beweist, daß du sie bekämpfen kannst.« – »Ich glaube, daß ich es kann.«

»Du kannst es?« – »Ja, Sire.«

»Ich weiß wohl, du hast Mittel – deine kleinen Mittel, – du Fuchs.« – »Nicht so klein.«

»Laß hören.« – »Will Eure Majestät die Gnade haben, aufzustehen?«

»Wozu?« – »Um mit mir zu den alten Gebäuden des Louvre zu kommen.«

»Zu dieser Stunde?« – »Es schlägt soeben zehn Uhr im Glockenturme des Louvre; mir scheint, das ist nicht so spät.«

»Was werde ich in diesen Gebäuden sehen?« – »Ah! bei Gott! wenn ich es Euch sage, so ist dies das Mittel, das Ihr nicht kennt.«

»Das ist sehr fern von hier, Herzog.« – »Durch die Galerien geht man in fünf Minuten dahin, Sire.«

»Epernon, Epernon!« – »Nun, Sire?«

»Wenn das, was du mich sehen lassen willst, nicht sehr interessant ist, so nimm dich in acht.« – »Sire, ich stehe Euch dafür, daß es interessant sein wird.«

»Vorwärts,« sagte der König, indem er sich mit einer gewissen Anstrengung erhob.

Der Herzog nahm seinen Mantel und reichte dem König seinen Degen; dann ergriff er eine Wachsfackel und schritt in der Galerie Seiner Allerchristlichsten Majestät voran, die ihm mit schleppendem Gange folgte.



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