Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Der Hinterhalt.

Chicot brauchte, wie man weiß, nicht lange, um einen Entschluß zu fassen. Er faßte den zu warten, und zwar so bequem als möglich. Er machte sich durch das Dickicht der Hagebuchen ein Fenster, um die Kommenden und Gehenden, die ihn interessieren konnten, nicht unbemerkt vorüber zu lassen.

Die Straße war öde. Soweit Chicots Blick reichte, erschienen weder Reiter noch Neugierige noch Bauern. Die ganze Menge vom vorhergehenden Tag war mit dem Schauspiel verschwunden, das sie versammelt hatte. Chicot sah also nichts, als einen ziemlich elend gekleideten Mann, der quer über die Straße ging und mit einem spitzigen Stabe Messungen auf dem Pflaster Seiner Majestät des Königs von Frankreich vornahm. Chicot hatte durchaus nichts zu tun. Er war entzückt, daß er diesen guten Mann fand, der ihm als Betrachtungspunkt dienen sollte.

»Was messen? warum messen?« dies waren zwei Minuten lang die ernsten Fragen, die Robert Briquet an sich richtete.

Er beschloß also, ihn nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Im Augenblick aber, wo dieser Mann seine Messung beendigt hatte und den Kopf wieder erheben sollte, nahm leider eine wichtigere Entdeckung seine Aufmerksamkeit in Anspruch und nötigte ihn, die Augen nach einem anderen Punkte zu richten.

Es öffneten sich die beiden Flügel des Fensters von Gorenflots Balkon, und man sah die ehrwürdige Rundung des Priors erscheinen, der mit seinen großen, weit aufgesperrten Augen, mit seinem Festtagslächeln und seinen höflichsten Manieren eine Dame führte, die beinahe ganz unter einem mit Pelz verbrämten Samtmantel begraben war.

»Oh! oh!« sagte Chicot zu sich selbst, »das ist das Beichtkind. Der Gang ist jugendlich; sehen wir uns den Kopf an; nun, dreht Euch noch ein wenig auf diese Seite, vortrefflich! Es ist in der Tat sonderbar, daß ich beinahe bei allen Gesichtern, die ich sehe, Ähnlichkeiten finde. Eine ärgerliche Manier von mir! Gut! nun kommt der Stallmeister. Oh! oh! in ihm täusche ich mich nicht, es ist Mayneville. Ja, ja, der aufwärts gedrehte Schnurrbart, der Degen mit dem muschelförmigen Stichblatt, ja, er ist es; doch überlegen und schließen wir ein wenig: wenn ich mich bei Herrn von Mayneville nicht täusche, alle Wetter! warum sollte ich mich in Frau von Montpensier irren? denn diese Frau ist beim Teufel die Herzogin.«

Man wird es glauben, daß Chicot von diesem Augenblick die beiden erhabenen Personen nicht mehr aus dem Gesichte verlor. Nach Verlauf einer Minute sah er hinter ihnen das bleiche Gesicht Borromées erscheinen, den Mayneville wiederholt befragte.

»So ist es,« sagte er, »alles ist dabei; bravo! Konspirieren wir, das ist so Mode; aber warum will die Herzogin bei Dom Modeste Pension nehmen, sie, die schon das Haus von Bel-Esbat hundert Schritte von hier hat?«

In diesem Augenblick erhielt Chicots Aufmerksamkeit eine neue Richtung. Während die Herzogin mit Gorenflot plauderte oder ihn vielmehr zum Plaudern veranlaßte, machte Herr von Mayneville irgend jemand außen ein Zeichen.

Chicot hatte aber niemand gesehen, als den Mann, der die Messungen machte, und an ihn war in der Tat die Gebärde gerichtet; daraus ging hervor, daß der Mann nicht mit Messungen beschäftigt war. Er war vor dem Balkon im Profil und das Gesicht gegen Paris gekehrt stehengeblieben.

Gorenflot setzte seine Liebenswürdigkeiten gegen das Beichtkind fort. Herr von Mayneville sagte Borromée ein paar Worte ins Ohr, und dieser fing auf der Stelle an, sich hinter dem Prior auf eine Weise zu bewegen, die für Chicot unverständlich, aber für den Mann mit den Messungen klar war, denn er entfernte sich und wählte seinen Standpunkt auf einer andern Stelle, wo ihn eine neue Gebärde Borromées wie eine Bildsäule festnagelte.

Nachdem er einige Sekunden unbeweglich geblieben war, nahm er auf ein neues Zeichen von Bruder Borromée eine Übung vor, die Chicot um so mehr beschäftigte, als er unmöglich ihren Zweck erraten konnte. Von dem Orte, wo er stand, lief der Mann bis zur Pforte der Priorei, während Herr von Mayneville seine Uhr in der Hand hielt.

In diesem Augenblick wandte sich der Mann um, und Chicot erkannte in ihm Nicolas Poulain, den Leutnant der Prevoté oder Stadtvogtei, denselben, der ihm am Tage zuvor seine alten Panzer abgekauft hatte.

»Oho! es lebe die Lige!« sagte er. »Ich habe nun genug gesehen, um das übrige mit ein wenig Anstrengung zu erraten.«

Nach einigen Gesprächen zwischen der Herzogin, Gorenflot und Mayneville schloß Borromée das Fenster wieder, und der Balkon blieb öde und leer.

Die Herzogin und ihr Stallmeister verließen die Priorei, um in die Sänfte zu steigen, die ihrer harrte. Dom Modeste, der sie bis zur Pforte begleitet hatte, erschöpfte sich in Bücklingen.

Die Herzogin hielt die Vorhänge ihrer Sänfte noch offen, um die Komplimente des Priors zu erwidern, als ein Jakobinermönch, der durch die Pforte Saint-Antoine aus Paris herauskam, sich zuerst vor die Pferde, die er neugierig anschaute und dann neben die Sänfte stellte, in die er einen Blick tauchte.

Chicot erkannte in diesem Mönch den kleinen Jacques, der mit großen Schritten vom Louvre zurückkehrte und in Entzückung vor Frau von Montpensier stehenblieb.

»Oh! oh!« sagte er, »ich habe Glück. Wäre Jacques früher gekommen, so hätte ich die Herzogin nicht sehen können. Nun, da Frau von Montpensier, nachdem sie ihre kleine Verschwörung gemacht hat, abgegangen ist, kommt die Reihe an Nicolas Poulain. Mit ihm bin ich in zehn Minuten fertig.«

Nachdem die Herzogin an Chicot, ohne ihn zu sehen, vorübergekommen war, fuhr sie in der Tat nach Paris, und Nicolas Poulain schickte sich an, ihr zu folgen. Er mußte wie die Herzogin an Chicots Versteck vorüber.

Chicot sah ihn kommen, wie der Jäger das Wild kommen sieht, indem er sich bereithält, danach zu schießen, sobald es in seinem Bereiche ist.

»He! ehrlicher Mann,« rief er aus seinem Loch, »deinen Blick hierher, bitte.«

Poulain bebte und wandte den Kopf dem Graben zu.

»Ihr habt mich gesehen, sehr gut!« fuhr Chicot fort. »Nehmt nun nicht die Miene an, als ob Ihr nichts bemerktet, Meister Nicolas . . . Poulain.«

Der Leutnant der Prevoté sprang wie ein Hirsch beim Schuß.

Indem Chicot dem Geängstigten bewies, daß er die Personen auf dem Balkon der Priorei kenne und wisse, daß der Leutnant an einer Verschwörung gegen den König teilnehme, und indem er ihm als unumgängliche Strafe den Tod am Galgen zeigte, machte er den Armen zum Wachs in seiner Hand. Als einziges Mittel, sein Leben zu retten, zeigte er ihm die Enthüllung des Komplotts gegenüber dem Herzog von Epernon.

Willenlos versprach Poulain, diesen Verrat an seinen Genossen auszuführen.

Kaum hatte sich der Profoßleutnant entfernt, so sah Robert Briquet den vom Prior versprochenen Reisegenossen am verabredeten Platz sich einstellen. Er bemerkte aber beim Näherkommen bald, daß es nicht der kleine Mönch war, sondern ein wahrer Philister mit riesigen Armen und Beinen und einer höchst verdächtigen Physiognomie. Dieser überreichte einen Brief von Gorenflot, worin der Würdige erklärte, er könne Jacques, das junge unschuldige Lamm, nicht unter die Wölfe gehen lassen.

Kurz entschlossen schickte Briquet den unwillkommenen und gefährlichen Burschen, der sich nur knurrend abweisen ließ, dem Prior zurück, um lieber allein die Reise anzutreten.

Als unser Reisender den Goliath in der großen Pforte des Klosters verschwinden sah, verbarg er sich hinter einer Hecke, streifte sein Wams ab und zog das uns bekannte feine Panzerhemd unter seinem Linnenhemde an.

Sobald seine Toilette beendigt war, schritt er querfeldein, um wieder auf die Straße nach Charenton zu gelangen.



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