Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Rote Feder und weiße Feder.

Es war acht Uhr abends, und traurig hob Briquets Haus seinen dreieckigen Umriß an einem von Lämmerwolken bedeckten Himmel hervor, der offenbar mehr zum Regen als zum Mondschein geneigt war.

Dieses arme Haus, von dem man fühlte, daß seine Seele abwesend war, bildete ein würdiges Gegenstück zu jenem geheimnisvollen Hause, das unsere Leser schon kennen. Es war, als ständen sich die Häuser gähnend gegenüber.

Unfern davon hörte man ein gewaltiges Geräusch von klirrendem Eisen, vermischt mit verworrenen Stimmen, unbestimmtes Gemurmel und Gequieke, als feierten Korybanten in einer Höhle die Mysterien der guten Göttin. Es war ohne Zweifel dieses Geräusch, was einen jungen Mann, der ein veilchenblaues Toquet mit roter Feder und einen grauen Mantel trug, einen hübschen Kavalier, anzog und bewog, einige Minuten stehenzubleiben, wonach er langsam, nachdenkend, den Kopf gesenkt, zu Robert Briquets Hause zurückkehrte.

Diese Symphonie von zusammengestoßenem Eisen rührte von Kasserollen her; das unbestimmte Gemurmel kam von Fleischtöpfen, die auf dem Feuer kochten, und von sich drehenden Spießen; das Geschrei rührte von Meister Fournichon, dem Wirt »Zum kühnen Ritter«, her, der mit der Sorge für seine Öfen beschäftigt war, und das Gequieke von Frau Fournichon, die die Boudoirs der Türmchen zurichten ließ.

Als der junge Mann mit dem veilchenblauen Toquet das Feuer beschaut, den Geruch des Geflügels eingeatmet und die Vorhänge der Fenster geprüft hatte, kehrte er zurück und fing sodann seinen Gang wieder an, der ihn bis zu dem Bach brachte, der die Straße vor Robert Briquets Hause durchschnitt und nach dem geheimnisvollen Gegenüber lief.

Doch, es ist zu bemerken, daß der Spaziergänger, sooft er dahin kam, immer, wie eine pünktliche Schildwache, einen andern jungen Mann ungefähr von demselben Alter fand, der ein schwarzes Toquet mit weißer Feder und einen veilchenblauen Mantel trug und, die Stirn gefaltet, das Auge starr, die Hand am Degen, zu sagen schien: »Du wirst nicht weiter gehen, ohne auf Sturm zu stoßen.«

Der Spaziergänger mit der roten Feder machte zwanzig Gänge, ohne etwas von all dem zu bemerken, so sehr war er mit sich selbst beschäftigt.

Der andere aber wurde durch das Erscheinen seines Gegenübers so schwer gereizt, daß dieser es beim Aufblicken endlich bemerken mußte. Er las auf dessen Gesicht den größten Unwillen.

Dies brachte ihn natürlich auf den Gedanken, er sei dem jungen Mann lästig; diesem Gedanken entsprang sodann das Verlangen, sich zu erkundigen, in welcher Hinsicht er ihm lästig sei. Er schaute demzufolge Robert Briquets Haus aufmerksam an. Dann ging er von diesem Hause zu dem über, das dessen Gegenstück bildete.

Als er endlich beide angeschaut hatte, wandte er seinem Gegenüber den Rücken und kehrte zu den blitzenden Öfen Meister Fournichons zurück.

Glücklich, seinen Gegner in die Flucht geschlagen zu haben, denn er hielt die Umkehr, die er ihn machen sah, für eine Flucht, schritt der Mann mit der weißen Feder in seiner Richtung, nämlich von Osten nach Westen, fort, während der andere von Westen nach Osten ging. Bald aber standen sie sich, da beide umkehrten, gegenüber wie zuvor.

Der Mann mit der weißen Feder zerrte mit einer Bewegung sichtbarer Ungeduld an seinem kleinen Schnurrbart. Der mit der roten Feder nahm eine erstaunte Miene an und warf dann einen Blick auf das geheimnisvolle Haus.

Das nächstemal aber schritt der Ungeduldige mit der weißen Feder, statt jenseits des Baches zu bleiben, über diesen und ließ seinen Gegner zurückweichen, so daß dieser, der einen solchen Angriff nicht vermutete und seine beiden Arme unter den Mantel gewickelt hatte, beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Ah! mein Herr,« sagte der letztere, »seid Ihr ein Narr oder habt Ihr die Absicht, mich zu beleidigen?« – »Mein Herr, ich habe die Absicht, Euch begreiflich zu machen, daß Ihr mich sehr belästigt; es schien mir sogar, als hättet Ihr es bemerkt, ohne daß ich es Euch zu sagen brauchte.«

»Durchaus nicht, denn es ist mein System, nie etwas zu sehen, was ich nicht sehen will.« – »Es gibt jedoch, wie ich hoffe, gewisse Dinge, die Eure Blicke auf sich ziehen würden, wenn man sie vor Euren Augen glänzen ließe.«

Dabei schlug die weiße Feder den Mantel zurück und zog den Degen.

Der Mann mit der roten Feder blieb unbeweglich. »Mein Herr,« sagte er, die Achseln zuckend, »man sollte glauben, Ihr hättet nie eine Klinge aus der Scheide gezogen, mit solcher Eile zieht Ihr sie gegen einen, der sich nicht verteidigt.«

»Nein, aber der sich hoffentlich verteidigen wird.«

Die rote Feder lächelte mit einer Ruhe, die den Zorn ihres Gegners verdoppelte.

»Warum dies? und welches Recht habt Ihr, mich zu hindern, auf der Straße spazierenzugehen?« – »Warum geht Ihr in dieser Straße spazieren?«

»Bei Gott! eine schöne Frage! weil es mir beliebt.« – »Ah! es beliebt Euch!«

»Allerdings, Ihr geht wohl auch hier! Habt Ihr eine Erlaubnis vom König, allein das Pflaster der Rue de Bussy zu treten?« – »Was ist daran gelegen, ob ich Erlaubnis habe oder nicht habe!«

»Ihr täuscht Euch, es ist viel daran gelegen; ich bin ein getreuer Untertan Seiner Majestät und möchte ihren Befehlen nicht gern ungehorsam sein.« – »Ah! Ihr spottet, glaube ich!«

»Wenn dem so wäre? Ihr droht wohl!« – »Himmel und Erde! Ich sage Euch, daß Ihr mir lästig seid, mein Herr, und daß ich Euch, wenn Ihr nicht freiwillig vom Platze geht, wohl zu entfernen wissen werde.«

»Oh! oh! mein Herr, das müßte man sehen.« – »Ei! beim Teufel, ich sage Euch schon seit einer Stunde: sehen wir!«

»Mein Herr, ich habe hier ein besonderes Geschäft, das wißt Ihr nun. Ist es durchaus Euer Wunsch, so will ich wohl einen Gang mit Euch machen, doch ich entferne mich nicht.« – »Mein Herr,« sagte der Mann mit der weißen Feder, indem er seinen Degen pfeifen ließ und seine beiden Füße zusammenzog, wie ein Mensch, der sich auszulegen im Begriff ist, »ich heiße Graf Henri du Bouchage und bin der Bruder des Herzogs von Joyeuse; ich frage Euch zum letzten Male, beliebt es Euch, mir den Platz abzutreten und Euch zu entfernen?«

»Mein Herr,« erwiderte die rote Feder, »ich bin der Vicomte Ernauton von Carmainges; Ihr seid mir keineswegs lästig, und ich finde es durchaus nicht schlimm, wenn Ihr bleibt.« – Du Bouchage dachte einen Augenblick nach und steckte seinen Degen wieder in die Scheide.

»Entschuldigt mich, ich bin halb verrückt, denn ich bin verliebt.« – »Und ich auch, ich bin auch verliebt, doch ich halte mich deshalb nicht für verrückt.«

Henri erbleichte.

»Ihr seid verliebt?« – »Ja.«

»Und Ihr gesteht es?« – »Seit wann ist das ein Verbrechen?«

»Aber verliebt in dieser Straße?« – »Für den Augenblick, ja.«

»In des Himmels Namen, sagt mir, wen Ihr liebt.« – »Ah! Herr du Bouchage, Ihr habt nicht bedacht, was Ihr sagt. Ihr wißt wohl, daß ein Edelmann ein Geheimnis nicht enthüllen darf, das ihm nur zur Hälfte gehört.«

»Es ist wahr, es ist wahr, verzeiht, Herr von Carmainges; doch in der Tat, es ist niemand unter dem Himmel so unglücklich wie ich.«

In den wenigen Worten lag so viel wahrer Schmerz, so viel beredte Verzweiflung, daß Ernauton tief gerührt war. »Oh! mein Gott,« sagte er, »ich verstehe, Ihr befürchtet, wir seien Nebenbuhler.«

»Ich befürchte es.« – »Hm! Nun, ich will offenherzig sein.«

Joyeuse erbleichte und fuhr mit der Hand über die Stirn.

»Ich habe eine Einladung zum Rendezvous,« fuhr Ernauton fort.

»Ihr habt ein Rendezvous?« – »Ja, in der besten Form.«

»In dieser Straße?« – »In dieser Straße.«

»Geschrieben?« – »Ja, mit einer sehr hübschen Handschrift.«

»Von einer Frau?« – »Nein, von einem Mann.«

»Von einem Mann? Was wollt Ihr damit sagen?« – »Nichts anderes, als was ich sage. Ich habe ein Rendezvous mit einer Frau von einer sehr hübschen Männerhandschrift; das ist nicht so geheimnisvoll, doch es ist eleganter; man hat einen Sekretär, wie es scheint.«

»Ah!« sagte Henri, »vollendet, mein Herr, in des Himmels Namen, vollendet!« – »Ihr fragt mich auf eine Weise, daß ich die Antwort nicht zu verweigern wüßte. Ich will also den Inhalt sagen.«

»Ich höre.« – »Ihr werdet sehen, ob es dasselbe ist, wie bei Euch.«

»Genug, mein Herr, ich bitte; mir hat man kein Rendezvous gegeben, und ich habe kein Billett erhalten.« – Ernauton zog ein kleines Papier aus seiner Börse. »Hier ist das Billett, es wäre schwierig für mich, es Euch bei dieser finsteren Nacht vorzulesen; doch es ist kurz, und ich weiß es auswendig; Ihr werdet Euch darauf verlassen, daß ich Euch nicht täusche.«

»Oh! ganz und gar.« – »Vernehmt also die Ausdrücke, in denen es abgefaßt ist: »Herr Ernauton, mein Sekretär ist von mir beauftragt, Euch zu sagen, daß ich ein großes Verlangen habe, eine Stunde mit Euch zu plaudern; Euer Verdienst hat mich gerührt.«

»Das steht darin?« – »Meiner Treu, ja, der Satz ist sogar unterstrichen. Ich übergehe einen andern Satz, der etwas zu schmeichelhaft für mich ist.«

»Und man erwartet Euch?« – »Das heißt, ich erwarte, wie Ihr seht.«

»Dann muß man Euch die Türen öffnen?« – »Nein, man muß dreimal aus dem Fenster pfeifen.«

Ganz bebend legte Henri eine Hand auf Ernautons Arm, deutete mit der andern auf das geheimnisvolle Haus und fragte: »Von dort?« – »Keineswegs,« antwortete Ernauton, den Zeigefinger nach den Türmchen des »Kühnen Ritters« ausstreckend, »von dort.«

Heinrich stieß einen Freudenschrei aus.

»Ihr geht also nicht hierher?« – »Nein, das Billett sagt ganz genau. ›Gasthof zum Kühnen Ritter‹.«

»Ah! seid gesegnet,« sagte der junge Mann, indem er ihm die Hand drückte; »oh! verzeiht mir meine Unhöflichkeit, meine Torheit! Ach! Ihr wißt, für den Mann, der wahrhaft liebt, gibt es nur eine Frau, und als ich Euch immer wieder auf dieses Haus zukommen sah, glaubte ich, Ihr würdet von dieser Frau erwartet.«

»Ihr irrt Euch, doch wartet!«

»Was?« – »Hat man nicht gepfiffen?«

»In der Tat, mir scheint, ich habe pfeifen hören.«

Die jungen Männer horchten; ein zweiter Pfiff machte sich in der Richtung des »Kühnen Ritters« hörbar.

»Herr Graf!« sagte Ernauton, »Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich Euch nicht länger Gesellschaft leiste, doch ich glaube, das ist mein Signal.« – Ein dritter Pfiff wurde vernommen.

»Geht, mein Herr, geht,« sagte Henri, »und viel Glück!«

Ernauton entfernte sich raschen Schrittes, und der andere sah ihn im Schatten der Straße verschwinden, um im Lichte wieder zu erscheinen, das aus den Fenstern des »Kühnen Ritters« herabfiel, und dann abermals zu verschwinden.

Noch düsterer als zuvor sagte Henri zu sich selbst: »Auf! machen wir's wie gewöhnlich, klopfen wir an die verfluchte Tür, die sich nie öffnet.«

Als er dies gesprochen, schritt er wankend auf die Tür des geheimnisvollen Hauses zu.



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