Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Die Expedition.

Ganz entzückt vor Freude, kehrte Henri eiligst zu Diana und Rémy zurück.

»Haltet euch in einer Viertelstunde bereit, wir brechen auf,« sagte er zu ihnen. »Ihr werdet zwei gesattelte Pferde vor der Tür der kleinen hölzernen Treppe finden, die auf diesen Gang zuführt; mischt euch unter unser Gefolge und sprecht kein Wort.«

Dann auf den Balkon tretend, der um das ganze Haus lief, rief er: »Trompeter der Gendarmen, blase zum Aufsitzen.«

Sogleich erscholl der Appell im Flecken, und der Fähnrich und seine Mannschaft stellten sich vor dem Hause auf.

Ihre Leute kamen hinter ihnen mit einigen Maultieren und zwei Wagen. Rémy und seine Gefährtin mischten sich unter die Leute.

Da auf Henris Aufforderung sich alle dreihundert Gendarmen zur Teilnahme drängten, mußte das Los entscheiden. Indes gab Joyeuse seinem Bruder seine letzten Instruktionen:

»Die Felder trocknen auf; es muß, wie die Leute aus der Gegend versichern, eine Verbindung zwischen Conticq und Rupelmonde bestehen; du marschierst zwischen einem Bach und einem Fluß, dem Rupel und der Schelde; für die Schelde findest du vor Rupelmonde von Antwerpen dahingeführte Schiffe; es ist nicht unerläßlich, daß du den Rupel passierst. Ich hoffe, du wirst nicht einmal nötig haben, bis Rupelmonde zu marschieren, um Proviantmagazine oder Mühlen zu finden. Warte doch,« fügte er hinzu, »du vergißt die Hauptsache, meine Leute haben drei Bauern genommen, ich gebe dir einen, der dir als Führer dienen soll. Kein falsches Mitleid; bei dem ersten Anschein von Verrat einen Pistolenschuß oder einen Dolchstoß.«

Hierauf setzten sich die durch das Los vom Fähnrich gezogenen hundert Mann, mit du Bouchage an der Spitze, sogleich in Marsch.

Henri stellte den Führer zwischen zwei Gendarmen, die beständig die Pistole in der Hand hielten.

Der Marsch der Truppe, in deren Mitte sich unbemerkt Rémy und seine Gefährtin befanden, war langsam, der Weg fehlte zuweilen unter den Füßen der Pferde, und die ganze Abteilung sah sich in den Kot versunken.

Henri zeigte sich bei den mannigfachen Fährlichkeiten des Marsches als würdiger Kapitän und als wahrer Freund seiner Leute; er marschierte voran, nötigte seine ganze Truppe, seiner Spur zu folgen, und vertraute weniger auf seinen eigenen Scharfsinn als auf den Instinkt des Pferdes, das ihm sein Bruder gegeben hatte, so daß er auf diese Art jeden zum Heile führte, während er allein den Tod wagte.

Endlich kam man an das Ufer der Schelde; die Nacht war finster; die Gendarmen fanden hier zwei Männer, die in schlechtem Flämisch den Bootsmann zu bewegen suchten, sie auf das andere Ufer überzusetzen.

Dieser weigerte sich unter Drohungen. Der Fähnrich sprach Holländisch. Er rückte leise an der Spitze der Truppe vor, und während diese haltmachte, hörte er die Worte: »Ihr seid Franzosen, ihr müßt hier sterben; ihr kommt nicht hinüber.«

Der eine von den beiden Männern setzte dem Bootsmann einen Dolch an die Kehle und sagte, ohne daß er sich Mühe gab, in seiner Sprache zu reden, in vortrefflichem Französisch zu ihm: »Du wirst hier sterben, obgleich du ein Flamländer bist, wenn du uns nicht auf der Stelle hinüberfährst.«

»Haltet fest, meine Herren, haltet fest,« rief der Fähnrich, »in fünf Minuten sind wir bei euch.«

Aber während sich die Franzosen auf den Zuruf umwandten, band der Schiffer den Knoten los, der seine Barke am Ufer festhielt, stieß rasch ab und ließ sie auf dem Ufer. Doch einer von den Gendarmen ritt mit seinem Pferde in den Fluß und streckte den Bootsmann mit einem Pistolenschuß nieder. Ohne Führer drehte sich das Schiff um sich selbst, und der Wirbel trieb es zum Ufer zurück.

Die Männer bemächtigten sich des Bootes, sobald es am Rande war, und setzten sich sogleich darin fest. Der Fähnrich wunderte sich über den Eifer, mit dem sie sich abzusondern suchten, und fragte: »Ei! meine Herren, wer seid ihr denn, bitte?« – »Mein Herr, wir sind Offiziere vom Regiment der Marine und ihr Gendarmen von Aunis, wie es scheint.«

»Ja, meine Herren, und wir fühlen uns sehr glücklich, euch nützlich sein zu können; werdet ihr uns nicht begleiten?« – »Gern, meine Herren.«

»So steigt auf die Wagen, wenn ihr zu müde seid, uns zu Fuß zu folgen.«

»Darf ich euch fragen, wohin ihr geht?« sagte der von den Marineoffizieren, der noch nicht gesprochen hatte.

»Mein Herr, wir haben Befehl, bis Rupelmonde vorzurücken.«

Hierauf teilte der Offizier mit, sie seien auf einen Trupp von etwa fünfzig Spaniern gestoßen, die noch nicht weit sein könnten. Henri stellte fest, daß sich an der Mündung der Rupel in die Schelde ein Dorf befinde, wo sich wahrscheinlich die Spanier aufhielten. Er beschloß sofort, sich dorthin zu wenden.

Eine Stunde nachher fand man das Dorf, das in der Tat von den Spaniern besetzt war, von denen der Offizier gesprochen hatte; im Augenblick, wo sie es am wenigsten erwarteten, überfallen, leisteten sie kaum Widerstand.

Henri ließ die Gefangenen entwaffnen, schloß sie in das stärkste Haus des Dorfes ein und stellte einen Posten von zehn Mann davor, um sie bewachen zu lassen. Ein anderer Posten von zehn Mann wurde zur Bewachung des Bootes abgeschickt. Zehn weitere Leute wurden als Schildwachen auf verschiedenen Posten zerstreut, mit dem Versprechen, nach Verlauf einer Stunde abgelöst zu werden.

Henri bestimmte nun, man könnte je zu zwanzig Mann zu Abend essen, in dem Hause dem gegenüber, wo die spanischen Gefangenen eingeschlossen waren. Für Diana und Rémy, die er nicht mit den andern wollte zu Nacht speisen lassen, wählte Henri ein Zimmer im ersten Stock.

Er ließ den Fähnrich und siebzehn Mann Platz nehmen, die beiden Marineoffiziere dazu holen und machte sich dann selbst auf, alle Posten genau zu kontrollieren. Als Henri zurückkehrte, sah er, daß man mit dem Mahl trotz des größten Hungers auf ihn gewartet hatte.

Man bezeichnete Henri den Ehrenplatz. Er setzte sich und sagte: »Esset, meine Herren!«

Sobald diese Erlaubnis gegeben war, bewies der Lärm der Messer und Gabeln, daß sie mit einer gewissen Ungeduld erwartet und mit äußerster Zufriedenheit aufgenommen wurde.

»Ah!« fragte Henri den Fähnrich, »hat man unsere beiden Marineoffiziere wiedergefunden?« – »Ja, Herr.«

»Wo sind sie?« – »Dort am Ende der Tafel.«

Sie saßen nicht nur am Ende der Tafel, sondern am dunkelsten Orte des Zimmers.

»Meine Herren,« rief Henri, »ihr habt einen schlechten Platz und eßt nicht, wie mir scheint.«

»Wir danken, Herr Graf,« erwiderte einer von ihnen, »wir sind sehr müde und bedürfen mehr des Schlafes als der Speise; wir sagten das schon Euren Herren Offizieren, aber sie entgegneten beharrlich, es sei Euer Befehl, daß wir mit Euch zu Nacht speisten. Das ist eine große Ehre für uns, wofür wir Euch sehr dankbar sind. Doch wenn Ihr nichtsdestoweniger, statt uns länger zu behalten, die Güte haben wolltet, uns ein Zimmer zu geben . . . .«

Henri hatte mit tiefer Aufmerksamkeit zugehört, doch offenbar mehr auf die Stimme als auf die Worte.

»Und das ist auch die Ansicht Eures Gefährten?« sagte Henri, als der Marineoffizier nicht mehr sprach. Und er schaute diesen Gefährten, der seinen Hut über die Augen niedergeschlagen hielt und hartnäckig kein Wort sprach, mit so tiefer Aufmerksamkeit an, daß mehrere Tischgenossen seinen Blicken zu folgen anfingen.

Genötigt, die Frage des Grafen zu beantworten, quetschte der Unbekannte die fast unverständlichen Worte hervor: »Ja, Graf.«

Bei diesen zwei Worten bebte der junge Mann. Er stand auf und ging auf das untere Ende des Tisches zu, während alle Anwesenden seinen Bewegungen folgten.

Henri blieb bei den beiden Offizieren stehen und sagte zu dem, der zuerst gesprochen hatte: »Mein Herr, gewährt mir eine Bitte.«

»Welche, Herr Graf?« – »Versichert mir, daß Ihr nicht der Bruder des Herrn Aurilly oder Herr Aurilly selbst seid.«

»Aurilly!« riefen alle Anwesenden.

»Und,« fuhr Henri fort, »und Euer Gefährte wolle seinen Hut, der sein Gesicht bedeckt, ein wenig lupfen, sonst werde ich ihn Monseigneur nennen und mich vor ihm verbeugen.«

Und den Hut in der Hand, verbeugte sich Henri zugleich ehrfurchtsvoll vor dem Unbekannten.

Dieser erhob das Haupt.

»Monseigneur, der Herzog von Anjou!« riefen die Offiziere.

»Der Herzog am Leben!«

»Wahrhaftig, meine Herren,« sagte der Offizier, »da ihr euren besiegten und flüchtigen Prinzen anerkennen wollt, so werde ich nicht länger dieser Kundgebung widerstehen, für die ich euch dankbar bin; ihr täuschtet euch nicht, meine Herren, ich bin der Herzog von Anjou.«

»Es lebe Monseigneur!« riefen die Offiziere.



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