Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Dritter Band

Das Laboratorium.

Rémy führte die Dame in ein anstoßendes Zimmer, drückte an einer unter einem Brette des Bodens verborgenen Feder und ließ eine Falltür spielen, die sich im Zimmer bis an die Wand erhob. Indem sie sich öffnete, ließ diese Falltür eine finstere, steile, schmale Treppe erblicken; Rémy trat zuerst darauf und reichte seinen Arm Diana, die sich darauf stützte und hinter ihm hinabstieg.

Zwanzig Stufen dieser Treppe oder, besser gesagt, dieser Leiter führten in ein kreisförmiges, schwarzes, feuchtes Gewölbe, das nichts anderes enthielt, als einen Ofen mit einem ungeheuren Herd, einem viereckigen Tisch, zwei Strohstühle, eine große Menge von Phiolen und blechernen Büchsen und als einzige Bewohner eine Ziege, die nicht meckerte, und Vögel ohne Stimmen, die an diesem dunklen, unterirdischen Orte die Gespenster der Tiere, mit denen sie Ähnlichkeit hatten, und nicht mehr die Tiere selbst zu sein schienen. In dem Ofen erstarb ein Rest von Feuer, während ein dicker, schwarzer Rauch schweigsam durch eine in der Mauer angebrachte Röhre entfloh. Ein auf den Herd gesetzter Destillierkolben ließ langsam und Tropfen für Tropfen eine goldgelbe Flüssigkeit filtrieren. Diese Tropfen fielen in eine zwei Finger dicke, aber zugleich vollkommen durchsichtige Phiole von weißem Glas, die durch die Röhre des Destillierkolbens, die mit ihr in Verbindung stand, geschlossen war.

Diana stieg hinab und blieb mitten unter diesen seltsamen Gegenständen und seltsamen Formen ohne Erstaunen und ohne Schrecken stehen; man hätte glauben sollen, die gewöhnlichen Eindrücke des Lebens könnten keinen Einfluß mehr auf die Frau üben, die schon außerhalb des Lebens lebte.

Rémy hieß sie durch ein Zeichen am Fuße der Treppe stehenbleiben. Der junge Mann zündete eine Lampe an, die ein bleiches Licht auf alle von uns genannten Gegenstände warf, die bis jetzt in der Finsternis schliefen oder sich bewegten. Dann näherte er sich einem in dem Gewölbe an einer Wand gegrabenen Brunnen, der weder eine Brüstung noch einen Randstein hatte, befestigte einen Eimer an einen langen Strick und ließ diesen Strick in das Wasser hinab, das düster im Grunde dieses Trichters lag und ein dumpfes Platschen hören ließ; endlich zog er den Eimer voll eiskalten und kristallhellen Wassers wieder herauf.

»Nähert Euch, gnädige Frau,« sagte Rémy. Diana näherte sich.

In diese ungeheure Menge Wasser ließ er einen einzigen Tropfen von der in der gläsernen Phiole enthaltenen Flüssigkeit fallen, und die ganze Wassermasse erhielt sogleich eine gelbe Farbe; die Farbe verdunstete sodann, und nach Verlauf von zehn Minuten war das Wasser wieder so durchsichtig wie zuvor.

Nur die starren Augen Dianas verrieten die tiefe Aufmerksamkeit, die sie dieser Operation schenkte.

Rémy schaute sie an.

»Nun?« fragte sie. – »Taucht nun,« antwortete Rémy, »in dieses Wasser, das weder einen Geschmack noch eine Farbe hat, eine Blume, einen Handschuh, ein Taschentuch, knetet mit diesem Wasser wohlriechende Seife, gießt davon in die Wasserkanne, aus der man schöpft, um sich die Zähne, das Gesicht und die Hände zu reinigen, und Ihr werdet, wie man es vor kurzem am Hofe Karls IX. gesehen hat, die Blume durch ihren Wohlgeruch ersticken, den Handschuh durch seine Berührung vergiften, die Seife durch ihr Eindringen in die Poren töten sehen. Gießt einen einzigen Tropfen von diesem reinen Öl auf den Docht einer Kerze oder einer Lampe, und die Baumwolle wird sich bis auf ungefähr einen Zoll damit schwängern, und eine Stunde lang wird die Kerze oder die Lampe den Tod ausströmen, um hernach so unschuldig zu brennen, wie eine andere Lampe oder eine andere Kerze.«

»Ihr seid dessen, was Ihr sagt, sicher, Rémy?« – »Ich habe alle diese Experimente gemacht, gnädige Frau; seht diese Vögel, die nicht mehr schlafen können und nicht fressen wollen, sie haben Wasser, diesem ähnlich, getrunken. Seht diese Ziege, die mit demselben Wasser besprengtes Gras gefressen hat, sie haart sich, und ihre Augen irren in den Höhlen.«

»Kann man diese Phiole sehen, Rémy?« – »Ja, Madame, denn die ganze Flüssigkeit hat sich zu dieser Stunde zu Boden gesetzt; doch wartet!«

Rémy trennte sie mit unendlicher Vorsicht von dem Destillierkolben; dann verstopfte er sie sogleich mit einem Pfropfen von weichem Wachs, den er auf der Oberfläche ihrer Mündung abplattete, und reichte, nachdem er diese Mündung noch mit einem Stück Wolle umwickelt hatte, das Fläschchen seiner Gefährtin.

Diana nahm es ohne die geringste Bewegung, hob es in die Höhe der Lampe und sagte, nachdem sie die dichte Flüssigkeit eine Zeitlang betrachtet hatte: »Das genügt; wir wählen, wenn es Zeit sein wird, einen Strauß, Handschuhe, eine Lampe, Seife oder eine Wasserkanne. Hält sich die Flüssigkeit im Metall?« – »Sie zernagt es.«

»Aber dann wird dieses Fläschchen vielleicht zerbrechen?« – »Ich glaube nicht; seht, wie dick der Kristall ist; überdies können wir es in ein goldenes Gefäß einschließen oder vielmehr einschachteln.«

»Ihr seid also zufrieden, nicht wahr, Rémy?«

Und etwas wie ein bleiches Lächeln schwebte über die Lippen der Dame und gab ihr jenen Lebensschimmer, den ein Mondstrahl erstarrten Gegenständen verleiht.

»Mehr als je, gnädige Frau, die Bösen bestrafen, heißt das heiligste Vorrecht Gottes üben.«

»Hört, Rémy, hört! Es ist der Hufschlag von Pferden auf der Straße, wie mir scheint; Rémy, unsere Pferde sind angekommen.«

»Das ist wahrscheinlich, gnädige Frau, und es ist ungefähr die Stunde, wo sie kommen sollen. Noch nun will ich sie wegschicken.«

»Warum?« – »Sind sie nicht unnötig?«

»Statt nach Meridor zu gehen, Rémy, gehen wir nach Flandern, behalte die Pferde!« – »Ah! ich verstehe.«

Und nun zuckte in den Augen des Dieners ebenfalls ein Blitz der Freude, der sich nur mit dem Lächeln Dianas vergleichen ließ.

»Aber, Grandchamp,« fügte er hinzu, »was machen wir mit ihm?«

»Grandchamp bedarf der Ruhe, sage ich Euch. Er wird in Paris bleiben und dieses Haus verkaufen, das wir nicht mehr brauchen.« – »Noch alle diese Öfen, diese Retorten, diese Destillierkolben?«

»Was liegt daran, wenn sie andere nach uns finden, da sie hier waren, als wir das Haus kauften?« – »Aber diese Pulver, diese Säuren, diese Essenzen?«

»Ins Feuer damit, ins Feuer.« – »So entfernt Euch!«

»Ich!« – »Ja, oder nehmt wenigstens diese gläserne Maske!«

Rémy reichte der Dame eine Maske, die sie vor ihr Gesicht band.

Er selbst drückte sich auf seinen Mund und auf seine Nase einen großen wollenen Pfropfen, setzte den Blasebalg in Bewegung, belebte die Flamme der Kohlen und schüttete, als das Feuer gehörig brannte, die Pulver darauf, die ein lustiges Geknister von sich gaben und teils in grünen Feuern aufzuckten, teils sich in schwefelblassen Funken verflüchtigten; dann goß er die Essenzen darauf, und statt die Flammen auszulöschen, stiegen diese wie Feuerschlangen mit einem Geräusch, dem eines entfernten Donners ähnlich, in die Röhre auf.

Als alles verzehrt war, sagte Rémy: »Ihr habt recht, Madame, wenn nun einer das Geheimnis dieses Kellers entdeckt, wird er glauben, ein Alchimist habe ihn bewohnt; heute verbrennt man noch die Zauberer, aber man achtet die Alchimisten.«

»Ei! wenn man uns verbrennen würde, so wäre dies, wie mir scheint, nur Gerechtigkeit, sind wir nicht Giftmischer? . . . . und wenn ich an dem Tage, an dem ich den Scheiterhaufen besteige, nur meine Aufgabe erfüllt habe, so widerstrebt mir diese Todesart nicht mehr, als irgendeine andere; die Mehrzahl der alten Märtyrer ist so gestorben.«

Rémy machte eine Gebärde der Zustimmung, nahm sodann seine Phiole aus den Händen seiner Gebieterin und packte sie sorgfältig wieder ein.

In diesem Augenblick klopfte man an die Haustür.

»Es sind Eure Leute, Madame, Ihr habt Euch nicht getäuscht. Steigt rasch wieder hinauf und antwortet, während ich die Falltür schließe.«

Die Dame gehorchte. Ein und derselbe Gedanke lebte so sehr in diesen beiden Körpern, daß es schwer gewesen wäre zu sagen, wer von beiden den andern beherrschte. Rémy stieg hinter ihr hinauf, drückte an der Feder, und das Gewölbe schloß sich wieder.

Diana fand Grandchamp an der Tür; durch das Geräusch aufgeweckt, war er hinabgegangen, um zu öffnen. Der Greis war nicht wenig erstaunt, als er die nahe bevorstehende Abreise seiner Gebieterin erfuhr, die sie ihm mitteilte, ohne ihm zu sagen, wohin sie ging.

»Grandchamp, mein Freund,« sagte sie, »Rémy und ich gehen, um eine Pilgerfahrt zu vollbringen, die wir längst gelobt; Ihr werdet mit Niemand von dieser Reise sprechen und meinen Namen keinem Menschen offenbaren.«

»Oh! ich schwöre es Euch, gnädige Frau,« sagte der alte Diener; »aber man wird Euch doch wiedersehen?«

»Gewiß, Grandchamp, gewiß; sieht man sich nicht immer wieder, wo nicht in dieser Welt, doch wenigstens in jener? Doch, Grandchamp, dieses Haus wird für uns unnütz.«

Diana zog aus einem Schranke ein Bündel Papiere.

»Hier sind die Urkunden, die das Eigentum begründen. Ihr werdet das Haus vermieten oder verkaufen. Habt Ihr in einem Monat weder einen Mietsmann noch einen Käufer gefunden, so verlaßt Ihr es einfach und kehrt nach Meridor zurück.«

»Und wenn ich einen Käufer finde, gnädige Frau, um wieviel soll ich es verkaufen?« – »Macht den Preis, wie Ihr wollt.«

»Dann bringe ich das Geld nach Meridor.« – »Ihr behaltet es für Euch, mein alter Diener.«

»Wie, gnädige Frau, eine solche Summe!« – »Allerdings. Bin ich Euch das nicht für Eure guten Dienste schuldig, Grandchamp? Und dann, habe ich nicht außer meiner Schuld gegen Euch die meines Vaters zu bezahlen?« – »Doch ohne einen Vertrag, ohne eine Vollmacht kann ich nichts tun, gnädige Frau.«

»Er hat recht,« sagte Rémy.

»Findet ein Mittel,« sagte Diana.

»Nichts kann einfacher sein. Dieses Haus ist auf meinen Namen gekauft worden, ich verkaufe es an Grandchamp, der es auf diese Art, an wen er will, wiederverkaufen kann.«

»Tut das!«

Rémy nahm eine Feder und schrieb unten an den Kaufvertrag den Wiederverkauf.

»Nun lebt wohl,« sagte die Dame von Monsoreau zu Grandchamp, »laßt die Pferde vorführen, wahrend ich die Vorbereitungen beendige.«

Diana ging wieder in ihr Zimmer hinaus, schnitt mit einem Dolche die Leinwand des Porträts aus, rollte es zusammen, hüllte es in ein Stück Seide und legte die Rolle in die Reiseliste.

Der leere, gähnende Rahmen schien noch beredter als zuvor alle Schmerzen zu erzählen, die er gehört hatte.



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