Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Das Kabinett Margarethes.

Im Kabinett der Königin wurde Chicot eingeladen, sich in einen schönen, guten Lehnstuhl zu setzen, dessen Stickerei einen Amor darstellte, der eine Wolke von Blumen ausstreute; ein Page, der nicht d'Aubiac, aber viel schöner und viel reicher gekleidet war als dieser, bot dem Gesandten neue Erfrischungen an.

Chicot nahm nichts an und begann, sobald der Vicomte von Turenne den Platz verlassen hatte, mit treuem Gedächtnis den Brief des Königs von Frankreich und Polen herzusagen.

Chicot sprach, um sich möglichst die Verlegenheit zu sparen, das Lateinische so verkehrt wie möglich aus und hielt den Kopf gesenkt. Margarethe aber verstand sofort alles Boshafte und Stechende des Briefes.

Man darf auch nicht glauben, daß Chicot seine Nase ewig gesenkt hielt, er schlug bald ein Auge, bald das andere auf und beruhigte sich dann, als er sah, daß die Königin unter ihren bald zusammengezogenen Brauen einen Entschluß faßte. Er vollendete also mit ziemlicher Ruhe die Grüße des königlichen Briefes.

»Beim heiligen Abendmahl,« sagte die Königin, als Chicot geendigt hatte, »mein Bruder schreibt hübsch Lateinisch; welche Lebhaftigkeit, welcher Stil! Ich hätte nie geglaubt, daß er so stark darin sei.«

Chicot machte eine Bewegung mit dem Auge und öffnete die Hände wie ein Mensch, der sich das Ansehen gibt, als billige er aus Höflichkeit, während er nichts versteht.

»Ihr versteht es nicht?« sagte die Königin, die mit allen Sprachen und auch mit der Mimik vertraut war. »Ich glaubte, Ihr wäret ein starker Lateiner.«

»Madame, ich habe es vergessen; alles, was ich heute weiß, alles, was ich von meiner alten Wissenschaft noch übrig habe, ist, daß das Lateinische keinen Artikel, daß es einen Vokativ hat, und daß der Kopf in dieser Sprache sächlichen Geschlechtes ist.«

»Ah! wahrhaftig!« rief eintretend eine heitere und laute Stimme.

Chicot und die Königin wandten sich rasch um.

»Wie?« sagte Heinrich hinzutretend, »der Kopf ist im Lateinischen sächlichen Geschlechts, Herr Chicot . . . und warum ist er denn nicht männlichen Geschlechts?« – »Ah! Sire, ich weiß es nicht und wundere mich darüber wie Eure Majestät.«

»Ich wundere mich auch darüber,« sagte Margarethe träumerisch.

»Das muß so sein,« sagte der König, »weil bald der Mann, bald die Frau die Herren sind, und zwar je nach dem Temperament des Mannes oder der Frau.«

Sich verbeugend, sagte Chicot: »Das ist offenbar der beste Grund, den ich kenne.«

»Desto besser, es freut mich unendlich, daß ich ein tieferer Philosoph bin, als ich glaubte. Doch kommen wir nun auf den Brief zurück; wißt, Madame, daß ich vor Verlangen brenne, die Neuigkeiten vom französischen Hofe zu erfahren, und nun bringt sie mir dieser brave Herr Chicot gerade in lateinischer Sprache; sonst . . .«

»Sonst?« wiederholte Margarethe.

»Sonst würde ich mich daran ergötzen, Ventre-saint-gris! Ihr wißt, wie sehr ich die Neuigkeiten liebe, und besonders die skandalösen Neuigkeiten, – wie sie mein Schwager Heinrich von Valois so gut zu erzählen weiß.«

Bei diesen Worten setzte sich Heinrich von Navarra und rieb sich die Hände.

»Sprecht, Herr Chicot,« fuhr der König mit der Miene eines Mannes fort, der sich recht zu werden anschickt; »Ihr habt den Brief meiner Frau vorgesagt, nicht wahr?« – »Ja, Sire.«

»Nun, mein Herzchen, erzählt mir ein wenig, was dieser Brief enthält.«

»Es ist ein hinterlistiger Brief, Sire.«

»Bah!«

»Oh, ja! er enthält mehr Verleumdungen, als nötig sind, um nicht nur einen Mann mit seiner Frau, sondern auch einen Freund mit allen seinen Freunden zu entzweien.«

»Hoho!« machte Heinrich, indem er sich aufrichtete und sein von Natur so offenes, so treuherziges Gesicht mit einem geheuchelten Mißtrauen bewaffnete, »einen Mann und eine Frau entzweien, Euch und mich also?« – »Euch und mich, Sire.«

»Und worin, mein Herzchen?«

Chicot fühlte sich auf Dornen und würde, obgleich er hungrig war, viel gegeben haben, wenn er hätte ohne Abendessen schlafen gehen können.

»Die Wolke wird platzen,« murmelte er in sich, »die Wolke wird platzen.«

»Sire,« sagte die Königin, »ich bedaure, daß Eure Majestät das Lateinische vergessen hat, das man sie doch hat lehren müssen.«

»Madame, ich erinnere mich nur noch eines Satzes von all dem Lateinischen, das ich gelernt habe, dies ist der Satz: Deus et virtus aeterna.« (Gott und die Tugend sind ewig).«

»Sire,« fuhr die Königin fort, »wenn Ihr es verstündet, würdet Ihr in dem Briefe viele Komplimente von allerlei Art für mich sehen.«

»Oh! sehr gut!« sagte der König.

»Optime!« murmelte Chicot.

»Aber inwiefern,« fragte Heinrich, »können uns Komplimente entzweien, Madame, denn solange Euch mein Schwager Heinrich Komplimente machte bin ich seiner Ansicht; würde man Schlimmes von Euch in diesem Briefe sagen, ah! das wäre etwas anderes, Madame, und ich würde die Politik meines Schwagers begreifen.«

»Ah! wenn man Schlimmes von mir sagte, würdet Ihr Heinrichs Politik begreifen?«

»Ja, er hat Beweggründe, uns zu entzweien, die ich kenne.«

»Geduld, Sire, denn die Komplimente sind nur ein höflicher Eingang, um zu Verleumdungen gegen Eure Freunde und die meinigen zu kommen.«

Und nach diesen kühn hingeworfenen Worten wartete Margarethe, ob man sie widerlegen würde.

Chicot senkte die Nase, Heinrich zuckte die Achseln.

»Seht, mein Herzchen,« sagte er, »ob Ihr nicht doch das Lateinische nicht wohl verstanden habt, und ob wirklich diese schlimme Absicht in dem Briefe meines Schwagers enthalten ist.«

So sanft und salbungsreich Heinrich diese Worte sprach, schleuderte ihm die Königin von Navarra doch einen Blick voll Mißtrauen zu.

»Versteht mich ganz und gar, Sire,« sagte sie.

»Gott ist mein Zeuge, ich wünsche nichts anderes, Madame.«

»Sprecht, bedürft Ihr Eurer Diener oder nicht?«

»Ob ich ihrer bedarf, mein Herzchen? Eine schöne Frage! Mein Gott! was sollte ich ohne sie tun?«

»Nun wohl, Sire! Der König will Euch Eure besten Diener abspenstig machen.«

»Ich fordere ihn auf, das zu tun.«

»Bravo, Sire,« murmelte Chicot.

»Ei! allerdings!« sagte Heinrich mit jener erstaunlichen Gutmütigkeit, die ihm so eigentümlich war, daß sich bis an seines Lebens Ende jeder dadurch hintergehen ließ, »denn meine Diener sind mir durch Zuneigung und nicht durch Interesse zugetan. Ich habe ihnen nichts zu geben.«

»Ihr gebt ihnen Euer Herz, Eure Treue, Sire, und das ist die beste Wiedervergeltung eines Königs für seine Freunde. Nun! Sire, traut ihnen nicht mehr!«

»Ventre-saint-gris! das wird nur geschehen, wenn sie mich dazu zwingen, nämlich wenn sie es verschulden.«

»Gut, Sire, dann wird man Euch beweisen, daß sie es verschulden.«

»Ah! ah!« machte der König, »aber wodurch?«

Chicot senkte abermals den Kopf, wie er es immer in peinlichen Augenblicken tat.

»Ohne zu kompromittieren, kann ich Euch das nicht erzählen, Sire . . .« erwiderte Margarethe.

Und sie schaute umher.

Chicot begriff, daß er überflüssig war, und wich zurück.

»Lieber Bote,« sagte der König, »wollt mich in meinem Kabinett erwarten; die Königin hat mir etwas Besonderes, etwas für meinen Dienst Nützliches, wie ich sehe, zu sagen.«

Margarethe blieb unbeweglich, abgesehen von einem kleinen Zeichen mit dem Kopf, das Chicot allein aufgefaßt zu haben glaubte.

Als Heinrich mit seiner Frau unter vier Augen war, teilte er ihr zunächst mit, daß er am nächsten Tage auf eine große Jagd gehe. Sodann bat er sie, der Fosseuse, deren »Krankheit« ihn mit Unruhe erfülle, durch einen Besuch ihre Teilnahme zu beweisen. Die Königin wies die Zumutung zunächst weit von sich. Heinrich ließ aber durchblicken oder wenigstens ahnen, daß er von dem Inhalt des Pariser Briefes mehr wisse, als ihr lieb sein konnte. So brachte er sie dahin, daß sie, halb von Besorgnis, halb vom Bewußtsein eigenen Fehls getrieben, in den schweren Gang zum Krankenbett ihrer Nebenbuhlerin willigte. Erfreut umarmte sie Heinrich fast liebevoll und ließ sie verwirrt und erstaunt über alles, was sie gehört hatte, in ihrem Kabinett zurück.



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