Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Bruder Borromée.

Es war ungefähr zehn Uhr abends; die Herren Abgeordneten gingen ziemlich zerknirscht fort und bröckelten an jeder Straßenecke ab.

Nicolas Poulain, der am entferntesten wohnte, ging zuletzt allein und dachte über die peinliche Lage nach, in der er sich befand.

Der Tag war in der Tat für alle und besonders für ihn voll furchtbarer Ereignisse gewesen.

Während er in das tiefste Nachdenken versunken war und durch die enge Rue de la Pierre-au-Réal ging, sah Nicolas Poulain in der entgegengesetzten Richtung einen Jakobiner herbeilaufen, der seinen Rock bis an die Knie aufgeschürzt hatte. Einer mußte ausweichen, denn es konnten nicht zwei Christen nebeneinander in dieser Gasse gehen.

Nicolas Poulain dachte, die mönchische Demut würde ihm, dem Manne des Schwertes, die Höhe des Pflasters überlassen, doch dem war nicht so; der Mönch lief wie ein Hirsch, den man aufgetrieben; er lief so, daß er eine Mauer umgeworfen hätte, und Nicolas Poulain trat brummend, um nicht niedergeworfen zu werden, beiseite.

Nun aber begann für sie in diesem Engpaß die peinliche Lage, die zwischen zwei unentschlossenen Menschen stattfindet, die beide gern vorübergehen möchten, sich nicht hindern wollen und stets sich wieder in die Arme geführt sehen.

Poulain schwur, der Mönch fluchte, und der Kuttenmann packte, minder geduldig als der Schwertmann, diesen um den Leib, um ihn an die Wand zu drücken. Dabei und als sie schon auf dem Punkte waren, handgemein zu werden, erkannten sie sich.

»Bruder Borromée!« sagte Poulain.

»Meister Nicolas Poulain!« rief der Mönch.

»Wie geht's Euch?« fragte Poulain mit jener bewundernswürdigen Freundlichkeit und Zahmheit des Pariser Bürgers.

»Sehr schlecht,« erwiderte der Mönch, der viel schwerer zu besänftigen war, als der Laie; »denn Ihr haltet mich auf, und ich habe große Eile.«

»Ihr Teufel von einem Menschen!« versetzte Poulain; »stets kriegerisch wie ein Römer! Aber wohin lauft Ihr zu dieser Stunde in solcher Hast? Brennt die Priorei?«

»Nein, aber ich ging zur Frau Herzogin, um mit Mayneville zu sprechen.«

»Zu welcher Herzogin?« – »Es gibt nur eine, wie mir scheint, bei der man mit Mayneville reden kann.«

»Was wolltet Ihr bei Frau von Montpensier machen?« – »Ei! Mein Gott!« erwiderte Borromée auf eine scheinbare Antwort bedacht, »unser ehrwürdiger Prior sollte auf die Bitte der Frau von Montpensier deren Gewissensrat werden; doch es hat ihn ein Skrupel erfaßt, und er weigert sich, dem Gesuch zu entsprechen. Die Zusammenkunft war auf morgen bestimmt, und ich soll nun im Auftrag Dom Modeste Gorenflots der Herzogin sagen, sie könne nicht auf ihn rechnen.«

»Sehr gut, aber, mein lieber Bruder, Ihr seht mir nicht aus, als ginget Ihr nach dem Hotel Guise; ich sage sogar noch mehr, Ihr wendet ihm den Rücken zu.« – »Das ist wahr, denn ich komme davon her.«

»Aber wohin geht Ihr?« – »Man hat mir im Hotel gesagt, die Frau Herzogin mache einen Besuch bei Herrn von Mayenne, der diesen Abend angekommen sei und im Hotel Saint-Denis wohne.«

»Reine Wahrheit . . . der Herzog ist wirklich im Hotel Saint-Denis, und die Frau Herzogin bei ihm; aber, Gevatter, ich bitte Euch, wozu soll es nützen, daß Ihr den Schlauen gegen mich spielt? Der Säckelmeister ist es gewöhnlich nicht, den man die Kommissionen des Klosters besorgen läßt.« – »Bei einer Prinzessin, warum nicht?«

»Und Ihr, der Vertraute Maynevilles, glaubt nicht an die Beichten der Frau Herzogin von Montpensier?« – »Woran sollte ich denn glauben?«

»Was, zum Teufel, mein Lieber, Ihr wißt wohl, wie weit die Mitte der Straße von der Priorei entfernt ist, da Ihr es mich habt ausmessen lassen; nehmt Euch in acht! Ihr sagt mir so wenig, daß ich vielleicht zu viel glauben werde.«

»Und Ihr habt unrecht, lieber Herr Poulain, ich weiß nichts anderes, haltet mich nicht länger zurück, ich bitte Euch, denn ich würde die Frau Herzogin nicht mehr finden.«

Als Borromée den Weg frei sah, warf er Nicolas Poulain leichthin einen guten Abend zu und enteilte durch die geöffnete Gasse.

»Oh! oh! abermals etwas Neues,« sagte Nicolas Poulain zu sich selbst, während er dem allmählich im Schatten verschwindenden Jakobiner nachschaute; doch welches Bedürfnis habe ich, in des Teufels Namen! alles zu erfahren, was vorgeht? Sollte ich etwa Geschmack an dem Handwerk finden, das ich zu treiben verdammt bin? Pfui doch!«

Und er legte sich zu Bette, nicht mit der Ruhe eines guten Gewissens, sondern mit der Ruhe, die uns in allen Lagen dieser Welt die Unterstützung eines Stärkeren, als wir sind, gewährt.

Mittlerweile setzte Borromée seinen Lauf noch eiliger fort und kam, ganz schwitzend und schnaufend, im Hotel Saint-Denis in dem Augenblick an, als der Herzog, nachdem er mit Frau von Montpensier ihre wichtigen Angelegenheiten besprochen, sich von seiner Schwester verabschiedete, um nun jene Dame der Cité besuchen zu können, über die sich Joyeuse, wie wir wissen, zu beklagen hatte.

Nach mehreren Bemerkungen über den Empfang des Königs und über den Plan der Bürger, kamen Bruder und Schwester dahin überein: der König habe keinen Verdacht und sei immer leichter angreifbar.

Das Wichtigste sei, die Lige in den nördlichen Provinzen zu organisieren, während der König seinen Bruder im Stiche lasse und Heinrich von Navarra vergesse.

Von den beiden letzteren Feinden sei der Herzog von Anjou allein mit seinem dumpfen Ehrgeiz zu fürchten; von Heinrich von Navarra wisse man durch gutunterrichtete Spione, daß er sich nur um seine Liebesangelegenheiten mit seinen drei oder vier Mätressen bekümmere.

»Paris ist vorbereitet,« sagte Mayenne laut; »doch ihre Verbindung mit der königlichen Familie gibt den Politikern und den wahren Royalisten Kraft; man muß einen Bruch zwischen dem König und seinen Verbündeten abwarten; bei dem unbeständigen Charakter Heinrichs kann dieser Bruch nicht lange ausbleiben. Da jedoch nichts drängt, so warten wir.«

»Ich,« sagte die Herzogin ganz leise, »hatte zehn Männer nötig, um Paris zu dem Streiche aufzuwiegeln, auf den ich sinne; ich habe diese zehn Männer gefunden und verlange nichts mehr.«

So weit waren sie, als Mayneville plötzlich eintrat und meldete, Bruder Borromée wolle den Herrn Herzog sprechen.

»Borromée?« sagte der Herzog erstaunt, »wer ist das?« – »Gnädigster Herr,« antwortete Mayneville, »es ist der Mann, den Ihr von Nancy schicktet, als ich Eure Hoheit um einen Mann voll Energie und Geist bat.«

»Ich erinnere mich; ich antwortete Euch, ich hätte beides in einem, und schickte Euch den Kapitän Borroville. Hat er seinen Namen verändert und heißt jetzt Borromée?« – »Ja, gnädigster Herr, den Namen und die Uniform. Er nennt sich Borromée und ist Jakobiner.«

»Borroville Jakobiner?« – »Ja, Herr Herzog.«

»Und warum ist er denn Jakobiner? Der Teufel muß sehr gelacht haben, als er ihn unter der Kutte erkannte.« – »Warum er Jakobiner ist, Ihr sollt es später erfahren, es ist nicht unser Geheimnis, Monseigneur, und mittlerweile hören wir ihn an!«

»Ja, um so mehr, als mich sein Besuch beunruhigt,« sagte Frau von Montpensier.

»Und mich auch, ich gestehe es,« fügte Mayneville bei.

»So führt ihn also, ohne einen Augenblick zu verlieren, ein,« rief die Herzogin.

Der Herzog schwebte zwischen dem Verlangen, den Boten zu hören, und der Furcht, das Rendezvous bei der Geliebten zu versäumen. Er schaute nach der Tür und auf die Uhr.

»Ei! Borroville,« rief der Herzog, der sich trotz seiner üblen Laune des Lachens nicht enthalten konnte, »wie seid Ihr verkleidet, mein Freund!«

»Gnädigster Herr,« sagte der Kapitän, »es ist mir in der Tat sehr unbehaglich unter dem verteufelten Rock, aber was sein muß, muß sein, wie Herr von Guise, der Vater, sagte.«

»Ich habe Euch nicht in diesen Rock gesteckt,« erwiderte der Herzog; »und Ihr dürft mir deshalb nicht grollen.«

»Nein, die Frau Herzogin hat es getan, doch ich bin ihr darum nicht böse, weil ich in ihrem Dienste darin stecke.«

»Gut, empfangt meinen Dank, Kapitän; und nun laßt hören, was habt Ihr uns noch so spät zu sagen?«

In Eile berichtete Borromée, der König habe Joyeuse mit dreitausend Mann seinem Bruder Anjou zu Hilfe geschickt und sende zugleich einen Boten mit einem Brief an Heinrich von Navarra. Es sei ein gewisser Briquet, den er seinem sonderbaren Aussehen nach beschrieb.

»Gottes Tod! Den Brief müssen wir haben,« rief der Herzog und fügte hinzu: »Ihr sagt, er sei ein Freund des Priors?« – »Ja, von der Zeit her, wo dieser noch einfacher Mönch war.«

»Oh! ich habe einen Verdacht und werde mir Aufklärung verschaffen,« rief Mayenne.

»Tut das geschwinde, denn weit geschlitzt, wie er ist, muß dieser Bursche tüchtig marschieren.«

»Borroville,« sagte Mayenne, »Ihr werdet nach Soissons abreisen, wo mein Bruder ist.«

»Aber die Priorei, gnädigster Herr?« – »Seid Ihr so verlegen, Dom Gorenflot eine Geschichte zu erzählen? Glaubt er nicht, was Ihr ihn glauben machen wollt? Ihr sagt Herrn von Guise alles, was Ihr von der Sendung des Herrn von Joyeuse wißt.« – »Gut, Monseigneur.«

»Und Navarra, vergeßt Ihr Navarra, Mayenne?« sagte die Herzogin. – »Ich vergesse es so wenig, daß ich dies selbst übernehme,« erwiderte Mayenne. »Man sattle mir ein frisches Pferd, Mayneville.«

Dann fügte er leise hinzu: »Sollte er noch leben? . . . Oh! ja, er muß leben!«



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