Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Das Schwert des kühnen Ritters behält recht gegen Amors Rosenstock.

Inzwischen war die Nacht gekommen und hatte mit ihrem feuchten Nebelmantel die zwei Stunden zuvor noch so geräuschvolle Stadt umhüllt. Sobald Salcède tot war, kehrten die Zuschauer zu ihrem Herd zurück, und man sah auf den Straßen nur noch zerstreute Gruppen, statt der ununterbrochenen Kette der Neugierigen, die am Tage einem Punkte zugeströmt waren.

Bei der Porte Bussy, wohin wir uns zu dieser Stunde versetzen müssen, hörte man, wie einen Bienenstock bei Sonnenuntergang, ein gewisses rosenfarbig angestrichenes und mit blauen und weißen Malereien verziertes Haus summen, das Zum Schwerte des kühnen Ritters genannt wurde und nichts anderes war, als ein sehr geräumiger Gasthof, den man jüngst in diesem neuen Stadtviertel eingerichtet hatte.

Obwohl nun das Schild nicht nur den Kampf eines Erzengels mit einem ungeheuren Drachen darstellte, der von einem gewaltigen Kreuz in blutende Stücke zerhauen wurde, sondern der Schildermaler, um auch anderem Geschmack zuzusagen, Kürbisse, Trauben, Käfer, Eidechsen, eine Schnecke auf einer Rose und ein paar Kaninchen angebracht hatte, so schien doch die Anziehungskraft auf das Publikum gering, und der geräumige Gasthof blieb meist leer und gemieden.

Das Haus war jedoch groß und bequem; viereckig gebaut, mit breiten Unterlagen auf dem Boden ruhend, streckte es stolz über seinem Schilde vier Türmchen empor, von denen jedes ein achteckiges Zimmer enthielt, das Ganze allerdings von Holz gebaut, aber zierlich und vielversprechend, wie jedes Haus sein muß, das den Männern und besonders den Frauen gefallen will; doch hierin lag das Übel. Man kann nicht jedermann gefallen.

Es kamen wohl viele kriegerische Gäste, aber die friedlichen verliebten Paare blieben fort.

Frau Fournichon, die Wirtin, behauptete auch, das Schild habe dem Hause Unglück gebracht, und sie versicherte, wenn man sich hätte auf ihre Erfahrung verlassen und statt des kühnen Ritters und des häßlichen Drachens etwas Galantes malen wollen, wie zum Beispiel Amors Rosenstock mit entflammten Herzen statt der Rosen, so hätten alle zarten Seelen ihr Haus zum Wohnsitz gewählt.

Dagegen meinte Meister Fournichon, ein Reiter, der nur an das Trinken zu denken habe, trinke wie sechs Verliebte, und wenn er auch nur die Hälfte der Zeche bezahle, so gewinne man doch noch dabei, da die verschwenderischsten Liebesleute nie bezahlten wie drei Reiter.

»Überdies,« schloß er, »ist der Wein moralischer als die Liebe.«

Bei diesen Worten zuckte Frau Fournichon ihre fetten Schultern, und es blieb alles beim alten, bis einen Monat vor Salcèdes Hinrichtung. Da saßen nach ihrer Gewohnheit Frau Fournichon und ihr Gatte, jedes in einem Türmchen ihrer Anstalt, beide müßig, träumerisch und kalt, weil alle Tische und alle Zimmer des Wirtshauses zum kühnen Ritter völlig leer waren.

Amors Rosenstock hatte an diesem Tage keine Rosen gebracht, und das Schwert des kühnen Ritters hatte ins Wasser geschlagen.

Die beiden Gatten schauten also traurig nach dem nahen Exerzierplatz, dem Pré aux Clercs, von wo eben die Soldaten verschwanden, und während sie schauten und über den militärischen Despotismus seufzten, der die Soldaten, die natürlich sehr durstig sein mußten, zwang, nach ihrer Wachtstube zurückzukehren, sahen sie den Kapitän, der das Manöver geleitet hatte, sein Pferd in Trab setzen und allein mit einem Mann nach der Porte Bussy reiten.

In zehn Minuten war er vor dem Gasthaus. Da er sich aber nicht in das Haus begeben wollte, war er im Begriff, vorüberzureiten, ohne nur das Schild bewundert zu haben, denn er schien sehr sorgenvoll und in Gedanken vertieft, als Meister Fournichon, dem das Herz beinahe bei dem Gedanken brach, daß er den ganzen Tag kein Geld lösen sollte, sich aus seinem Türmchen neigte und ausrief: »Das ist ein schönes Pferd, Frau!«

Frau Fournichon fügte als einsichtige Wirtin hinzu: »Und wie schön ist der Reiter!«

Der Kapitän, der für Lob nicht unempfindlich zu sein schien, schaute empor, als ob er plötzlich erwachte. Er sah den Wirt, die Wirtin und das Wirtshaus, hielt sein Pferd an und rief seiner Ordonnanz.

Dann betrachtete er, immer noch im Sattel, sehr aufmerksam das Haus. Fournichon rollte zu vier und vier Stufen seine Treppe hinab und stellte sich, seine Mütze in den Händen zusammengerollt, vor die Tür.

Der Kapitän dachte einen Augenblick nach und stieg dann ab.

»Ist niemand hier?« fragte er.

»Für den Augenblick nicht,« antwortete demütig der Wirt. Er wollte eben hinzufügen: »Es ist dies jedoch nicht gewöhnlich so in meinem Hause.«

Aber Frau Fournichon war, wie beinahe alle Frauen, scharfsichtiger als ihr Mann; sie rief daher eiligst von ihrem Fenster aus: »Sucht der Herr die Einsamkeit, so wird er sich bei uns vortrefflich finden.«

Der Kapitän richtete seine Augen in die Höhe, und als er das gute Gesicht sah, nachdem er die gute Antwort gehört hatte, erwiderte er: »Für den Augenblick, ja, das ist es gerade, was ich suche, meine gute Frau.«

Frau Fournichon eilte sogleich dem Fremden entgegen, indem sie zu sich sagte: »Diesmal gibt Amors Rosenstock Geld zu lösen und nicht das Schwert des kühnen Ritters

Der Kapitän war ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, während er erst achtundzwanzig alt zu sein schien, so viel Sorge verwandte er auf seine Person. Er war groß, gut gewachsen, von ausdrucksvoller und feiner Physiognomie; bei näherer Prüfung hätte man vielleicht etwas Geziertes in seinem großartigen Wesen gefunden, doch geziert oder nicht, sein Wesen blieb immerhin großartig.

Er warf seinem Begleiter den Zaum eines herrlichen Pferdes zu und sagte zu ihm: »Führe das Pferd auf und ab und erwarte mich hier!«

Sobald er sich sodann im großen Saale des Wirtshauses befand, blieb er stehen und sagte, einen Blick der Zufriedenheit umherwerfend: »Oh! oh! ein so großer Saal und kein einziger Zecher! Sehr gut!«

Meister Fournichon schaute ihn mit Erstaunen an, während ihm Frau Fournichon verständnisvoll zulächelte. Der Kapitän fuhr fort: »Es ist also etwas in Eurem Benehmen oder in Eurem Hause, was die Gäste fernhält.«

»Gott sei Dank, weder das eine noch das andere, mein Herr,« erwiderte Frau Fournichon. »Das Quartier ist nur neu, und was die Kunden betrifft, so sind wir wählerisch.«

»Ah! sehr gut,« sagte der Kapitän.

Meister Fournichon billigte mit dem Kopfe die Antworten seiner Frau.

»Zum Beispiel,« fügte sie mit einem gewissen Augenblinzeln hinzu, das den Urheber des Planes von Amors Rosenstock offenbarte, »für einen Kunden wie Eure Herrlichkeit ließe man gern zwölf gehen.«

»Das ist artig, meine hübsche Wirtin, und ich danke.«

»Will der gnädige Herr Wein kosten?« fragte Fournichon mit seiner am mindesten heiseren Stimme.

»Will der gnädige Herr die Wohnungen besichtigen?« flötete Frau Fournichon mit ihrer süßesten Stimme.

»Beides mit Eurer Erlaubnis,« erwiderte der Kapitän.

Fournichon stieg in den Keller hinab, während seine Frau ihrem Gaste die nach dem Türmchen führende Treppe zeigte, auf der sie ihm voranging, wobei sie ihren Rock zierlich etwas aufhob.

»Wieviel Personen könnt Ihr quartieren?« fragte der Kapitän, als er im ersten Stock angelangt war. – »Dreißig Personen, worunter zehn Herren.«

»Das ist nicht genug, schöne Wirtin.« – »Warum, mein Herr?«

»Ich hatte einen Plan, sprechen wir nicht mehr davon.« – »Ah! mein Herr, Ihr werdet sicherlich nichts Besseres finden, als Amors Rosenstock

»Warum Amors Rosenstock?« – »Den kühnen Ritter, wollte ich sagen, und wenn man nicht den Louvre hat . . .«

Der Fremde heftete einen seltsamen Blick auf sie.

»Ihr habt recht,« sagte er, »wenn man nicht den Louvre hat.«

Dann fuhr er beiseite fort: »Warum nicht, das wäre bequemer und minder teuer.«

»Ihr sagt also, meine gute Dame,« sagte er laut, »Ihr könnet hier dreißig Personen zum Wohnen aufnehmen?« – »Ja, gewiß.«

»Aber für einen Tag?« – »Oh! für einen Tag vierzig und sogar fünfundvierzig.«

»Fünfundvierzig, Parfandious! Das ist gerade meine Zahl.« – »Wirklich! seht, wie glücklich sich das trifft.«

»Und ohne daß es auswärts Lärm macht?« – »Sonntags haben wir oft achtzig Soldaten hier.«

»Und keine Zusammenrottung vor dem Hause, kein Spion unter den Nachbarn?« – »Oh! mein Gott, nein; wir haben keinen andern Nachbarn, als einen würdigen Bürger, der sich nie in eines Dritten Angelegenheiten mischt, und keine andere Nachbarin, als eine Dame, die so zurückgezogen lebt, daß ich sie in den drei Wochen, die sie hier wohnt, noch gar nicht zu Gesicht bekommen habe; alle übrigen sind unbedeutende Leute.«

»Das sagt mir vortrefflich zu.« – »Ah! desto besser.«

»Und von heute in einem Monat,« fuhr der Kapitän fort; »behaltet das wohl, Madame, von heute in einem Monat, am 26. Oktober, miete ich Euer ganzes Gasthaus.« – »Das ganze?«

»Das ganze. Ich will einigen Landsleuten eine Überraschung bereiten . . . Offizieren oder wenigstens Kriegsmännern der Mehrzahl nach, die in Paris ihr Glück suchen; bis dahin erhalten sie Nachricht, daß sie bei Euch absteigen sollen.« – »Und wie erhalten sie diese Nachricht, da Ihr ihnen eine Überraschung bereiten wollt?« fragte unklugerweise Frau Fournichon.

»Ah!« erwiderte der Kapitän, durch diese Frage sichtbar in Verlegenheit gebracht, »ah! wenn Ihr neugierig oder indiskret seid . . . Parfandious!« – »Nein, nein, mein Herr,« rief sie hastig und erschrocken.

Fournichon hatte teilweise gehört, bei den Worten: Offiziere oder Kriegsmänner schlug sein Herz vor Wohlbehagen. Er lief herbei.

»Mein Herr,« rief er, »Ihr werdet hier Meister, Despot des Hauses sein, und zwar ohne Frage; mein Gott! alle Eure Freunde sind willkommen.«

»Mein Braver, ich sagte nicht meine Freunde,« erwiderte hochmütig der Kapitän; »ich sagte meine Landsleute.«

»Ja, ja, die Landsleute Eurer Herrlichkeit; ich täuschte mich.«

Frau Fournichon drehte ärgerlich den Rücken; die Liebesrosen hatten sich in Hellebardenbündel verwandelt.

»Ihr werdet ihnen Abendessen geben,« fuhr der Kapitän fort. – »Sehr wohl.«

»Hier sind dreißig Livres Angeld.« – »Der Handel ist abgeschlossen; Eure Landsleute sollen als Könige behandelt werden, und wenn Ihr Euch, den Wein kostend, versichern wollt . . .«

»Ich danke, ich trinke nie.«

Der Kapitän näherte sich dem Fenster und rief den Hüter der Pferde.

Meister Fournichon stellte mittlerweile eine Betrachtung an.

»Gnädigster Herr,« sagte er (seit dem Empfang der so großmütig im voraus bezahlten drei Pistolen nannte er den Fremden gnädigster Herr), »gnädigster Herr, wie soll ich die Herren erkennen?«

»Parfandious! das ist wahr, das habe ich vergessen, gebt mir Wachs, Papier und Licht!«

Der Kapitän drückte auf das siedende Wachs das Siegel eines Ringes, den er an der linken Hand trug.

»Ihr seht dieses Bild?« – »Meiner Treu, eine schöne Frau.«

»Ja, es ist eine Kleopatra; nun wohl! jeder von meinen Landsleuten wird Euch einen ähnlichen Abdruck bringen, und Ihr beherbergt den Inhaber eines solchen Abdrucks, das ist abgemacht, nicht wahr?« – »Wie lange?«

»Ich weiß noch nicht; Ihr werdet meine Befehle hierüber erhalten.« – »Wir werden sie erwarten.«

Der schöne Kapitän stieg wieder die Treppe hinab, schwang sich in den Sattel und ritt in scharfem Trabe fort. In Erwartung seiner Rückkehr sackten die Gatten Fournichon die dreißig Livres Angeld ein . . . zur großen Freude des Wirtes, der unablässig wiederholte: »Kriegsleute! ah! das Schild hat entschieden nicht unrecht, durch das Schwert werden wir unser Glück machen.«

Und er fing an, dem 26. Oktober entgegenharrend, alle seine Kasserollen zu scheuern.



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