Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Das Füllhorn.

Der Weg, den Borromée Chicot machen ließ, ohne zu vermuten, daß Chicot ihn so gut wie er kannte, erinnerte unsern Gaskogner an seine schönen Jugendtage.

Bald erschien die Rue Saint-Jacques vor seinen Augen, dann das Kloster Saint-Benoit, und beinahe dem Kloster gegenüber das Wirtshaus zum Füllhorn, etwas älter aussehend, etwas schmierig, etwas verfallen, aber immer noch außen von Platanen und Kastanienbäumen beschattet und innen mit seinen blanken, zinnernen Kannen und seinen glänzenden Kasserollen ausgestattet.

Nachdem Chicot von der Türschwelle einen Blick auf das Äußere und in das Innere geworfen hatte, machte er sich einen hohen Rücken, verlor noch sechs Zoll von seiner Gestalt, die er schon in Gegenwart des Kapitäns verkleinert hatte, fügte seine Satyrgrimasse dazu, die seinem offenen Wesen und seinen ehrlichen Augen sehr unähnlich war, und wollte so den Versuch machen, von seinem alten Wirte Bonhomet unerkannt zu bleiben.

Chicot schritt hinter Borromée her und wurde in der Tat von dem Wirt zum Füllhorn gar nicht gesehen oder vielmehr nicht erkannt.

Er kannte die dunkelste Ecke der gemeinschaftlichen Stube und wollte sich darin niederlassen, als ihn Borromée zurückhielt und zu ihm sagte: »Alles schön und gut, Freund, doch hinter diesem Verschlag ist ein kleiner Winkel, wo zwei Menschen ganz ungestört miteinander plaudern und trinken können.«

»Gehen wir dahin,« sagte Chicot.

Borromée machte dem Wirt ein Zeichen, durch das er fragen wollte: »Gevatter, ist das Kabinett frei?«

Bonhomet antwortete durch ein anderes Zeichen: »Es ist frei!«

»Kommt,« sagte Borromée. Und er führte Chicot, der sich den Anschein gab, als stoße er sich an allen Ecken des Hausflurs, in den kleinen Winkel, der unsern Lesern, welche die Dame von Monsoreau gelesen haben, so wohl bekannt ist.

»Erwartet mich hier,« sagte Borromée, »ich will von einem Vorrecht Gebrauch machen, das die Stammgäste hier haben.«

»Welches Vorrecht meint Ihr?« – »Ich will selbst in den Keller gehen und den Wein auswählen, den wir trinken werden.«

»Oh! oh!« machte Chicot, »ein schönes Vorrecht; geht.«

Borromée ging hinaus.

Chicot folgte ihm mit dem Auge; sobald die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, nahm er von der Wand ein Bild ab, hinter dem sich ein Loch befand, und durch dieses Loch konnte man in die große Stube sehen, ohne gesehen zu werden.

»Ah! ah!« sagte Chicot, »du führst mich in eine Schenke, deren Stammgast du bist; ah, du treibst mich in einen Winkel, wo du glaubst, ich könne nicht gesehen werden, und wo du denkst, ich könne nicht sehen, und in diesem Winkel ist ein Loch, und infolge dieses Loches machst du nicht eine Gebärde, die ich nicht sehe. Oh! mein Kapitän, du bist mir nicht gewachsen.«

Und während er diese Worte mit einer Miene der Verachtung sprach, die nur ihm eigentümlich war, hielt er sein Auge an den künstlich durchbohrten Verschlag. Er erblickte Borromée, der zuerst vorsichtig seinen Finger auf die Lippen legte und sodann mit Bonhomet sprach, der in seine Wünsche durch ein olympisches Kopfnicken willigte.

Aus der Bewegung der Lippen des Kapitäns erriet Chicot, der in solchen Dingen sehr bewandert war, daß die von ihm ausgesprochenen Worte sagen wollten:

»Bedient uns in jenem Winkel und kommt nicht herein, welches Geräusch Ihr auch hören möget.«

Sodann nahm Borromée eine Lampe, die ewig auf einem Schranke brannte, hob eine Falltür auf und stieg selbst in den Keller hinab.

Sogleich klopfte Chicot auf eine eigentümliche Weise an den Verschlag. Sofort wurde Bonhomet aufmerksam, schaute in die Luft und horchte. Chicot klopfte zum zweiten Male und wie ein Mensch, der sich wundert, daß man einem ersten Rufe nicht gefolgt ist. Da eilte Bonhomet in den Winkel und sah Chicot aufrecht und mit drohendem Gesicht.

Bei diesem Anblick stieß der Wirt einen Schrei aus; er hielt Chicot für tot und dachte, er stehe einem Gespenst gegenüber.

»Was soll das heißen, Meister,« sagte Chicot, »seit wann laßt Ihr Leute wie mich zweimal rufen?«

»Oh! teurer Herr Chicot,« erwiderte Bonhomet, »seid Ihr es, oder ist es Euer Schatten?«

»Ob ich es bin, oder ob es mein Schatten ist, ich hoffe, daß Ihr mir, sobald Ihr mich erkennt, Punkt für Punkt gehorchen werdet.«

»Ah! gewiss, mein lieber Herr, befehlt nur.«

»Was Ihr auch in diesem Kabinett hören möget, und was auch vorgeht, Ihr werdet hoffentlich warten, bis ich Euch herbeirufe.«

»Dies wird mir um so leichter sein, Herr Chicot, als mir Euer Gefährte das gleiche befohlen hat.«

»Ja, aber er wird nicht rufen, versteht Ihr mich wohl, Herr Bonhomet, sondern ich werde rufen; und wenn er ruft, hört Ihr, so soll es sein, als ob er nicht riefe.«

»Abgemacht, Herr Chicot.«

»Gut; und nun entfernt alle Eure anderen Kunden unter irgendeinem Vorwand, und in zehn Minuten müssen wir frei und ebenso einsam sein, als ob wir gekommen wären, um am Karfreitag hier zu fasten.«

»In zehn Minuten, edler Herr Chicot, wird mit Ausnahme Eures ergebensten Dieners keine Katze mehr im ganzen Wirtshause sein.«

»Geht, Bonhomet, geht, Ihr habt Euch meine ganze Achtung erhalten,« sagte Chicot mit majestätischer Gebärde.

»Oh! mein Gott! mein Gott! was wird in meinem armen Hause vorfallen?« sagte Bonhomet, während er sich entfernte, und da er rückwärts ging, stieß er auf Borromée, der mit zwölf Flaschen aus dem Keller zurückkam.

»Du hast gehört,« sagte dieser, »in zehn Minuten keine Seele mehr im ganzen Wirtshaus.«

Bonhomet machte mit seinem sonst so hochmütigen Kopfe ein Zeichen des Gehorsams und begab sich in seine Küche. Borromée kehrte in seinen Winkel zurück und fand Chicot, der ihn, das Bein vorwärts gestreckt und ein Lächeln auf den Lippen, erwartete.

Wir wissen nicht, wie Bonhomet die Sache anfing, als aber die zehnte Minute abgelaufen war, trat der letzte Student über die Schwelle seines Hauses und sagte zum letzten Schreiber, dem er den Arm reichte: »Ho! ho! das Wetter steht heute auf Sturm bei Meister Bonhomet; machen wir uns aus dem Staub, oder es trifft uns der Hagel.«



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