Alexander Dumas d. Ä.
Die Fünfundvierzig
Alexander Dumas d. Ä.

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Die Allee von dreitausend Schritten.

Die Königin bewohnte den anderen Flügel des Schlosses, wo man fast immer Musik hörte und einen Federbusch umherschweifen sah.

Die berühmte Allee von dreitausend Schritten fing unter den Fenstern Margarethes an, und ihr Blick verweilte nur auf angenehmen Gegenständen, wie blühenden Gesträuchen und grünenden Lauben. Es war, als wollte die arme Fürstin durch den Anblick anmutiger Dinge die düsteren Gedanken verjagen, die im Grunde ihres Geistes wohnten.

Am Fuße des Throns geboren, Tochter, Schwester, Frau eines Königs, hatte Margarethe viel gelitten, und obwohl sie Philosophin war oder vielmehr sein wollte, hatte doch schon die Zeit und der Kummer ihre ausdrucksvollen Furchen auf ihrem Antlitz ziehen dürfen. Nichtsdestoweniger war sie noch von einer merkwürdigen, feinen Schönheit, die gerade den Erhabensten gefällt, und der man stets den Vorrang vor der physischen Schönheit einzuräumen geneigt ist. Margarethe hatte das freundliche, gute Lächeln, das feuchte, glänzende Auge, die geschmeidige, liebkosende Gebärde, sie war, wie gesagt, immer ein anbetungswürdiges Geschöpf.

Sie wurde auch in Nérac, wohin sie Eleganz, Freude und Leben brachte, vergöttert. Ihr Hof war nicht allein ein Hof von Edelleuten und Damen, alles Volk liebte sie zugleich als Königin und als Frau, die Harmonie ihrer Flöten und Geigen und auch ihre Mahlzeiten waren für jedermann. Sie wußte auch von der Zeit einen nützlichen Gebrauch zu machen, daß jeder ihrer Tage ihr etwas brachte, und daß keiner für ihre Umgebung verloren war.

Klug wußte sie ihren Kummer über Heinrichs Entgleisungen zu verbergen und hatte sich daran gewöhnt, mit der Liebe oder wenigstens mit dem Anschein der Liebe zu leben und durch Poesie und Wohlleben Familie, Gatten, Freunde und alles übrige zu ersetzen.

Niemand außer Katharina von Medici, Chicot und einigen wenigen hätte sagen können, warum Margarethes Wangen so bleich waren. Margarethe hatte keine Vertraute, sie wollte keine mehr, seitdem die Leute ihre Ehre und ihr Vertrauen für Geld verkauft hatten.

Der Béarner schonte übrigens in ihr eine Tochter Frankreichs; er sprach mit ihr nur mit botmäßiger Höflichkeit oder freundlichem Sichgehenlassen; er beobachtete gegen sie bei jeder Gelegenheit und bei allen Dingen das Benehmen eines Gatten und eines Freundes.

Von Heinrich belehrt, begab Chicot sich in die Gemächer der Königin, doch er fand niemand. Margarethe war, wie man ihm sagte, am Ende der schönen Allee am Fluß, und er ging in diese berühmte Oleanderallee von dreitausend Schritten.

Als er zwei Drittel durchwandert hatte, erblickte er unter einem Boskett von spanischem Jasmin und Reben eine buntscheckige Gruppe von Federn, Bändern und Samtdegen. Es ging Chicot ein Page voran; die Königin, deren Augen mit der ewigen Unruhe schwermütiger Herzen umherschweiften, erkannte die Farben von Navarra und rief dem Pagen.

»Was willst du, d'Aubiac?« fragte sie.

Der junge Mensch oder vielmehr das Kind, denn er war kaum zwölf Jahre alt, errötete und beugte ein Knie vor Margarethe.

»Madame,« sagte er französisch, denn die Königin verbot die Anwendung des Dialekts bei allen dienstlichen Meldungen und allen Geschäftssachen, »ein Herr aus Paris, vom Louvre an Seine Majestät den König von Navarra abgesandt und von Seiner Majestät dem König von Navarra an Euch geschickt, wünscht Eure Majestät zu sprechen.«

Ein plötzliches Feuer färbte das schöne Antlitz Margarethes. Sie wandte sich rasch und mit dem peinlichen Gefühle um, das bei jeder Veranlassung lange Zeit bedrückte Herzen durchdringt. Chicot stand unbeweglich zwanzig Schritte von ihr.

Ihre scharfen Augen erkannten an der Haltung und dem Profil bekannte Formen; sie verließ den Kreis, statt den Ankömmling nähertreten zu lassen.

Während sie sich indessen umwandte, um die Gesellschaft zu verabschieden, machte sie mit der Spitze der Finger einem der reichstgekleideten und schönsten Edelleute ein Zeichen. Der Abschied für alle war in Wirklichkeit nur ein Abschied für einen einzigen.

Da jedoch der bevorzugte Kavalier trotz des Grußes nicht ohne Unruhe zu sein schien, und da ein Frauenauge alles sieht, so sagte Margarethe: »Herr von Turenne, wollt diesen Damen sagen, daß ich im Augenblick zurückkomme.«

Der hübsche Edelmann mit dem weißblauen Wams verbeugte sich mit mehr Leichtigkeit, als es ein gleichgültiger Höfling getan hätte.

Die Königin trat rasch auf Chicot zu, der die Szene, die so sehr mit den Ausdrücken des Briefes, den er brachte, im Einklang stand, mit prüfendem Auge betrachtet hatte, ohne sich einen Zoll von der Stelle zu rühren.

»Herr Chicot!« rief Margarethe erstaunt. – »Zu den Füßen Eurer Majestät,« sagte Chicot, »die stets gut und stets schön und immer Königin ist, wie im Louvre so in Nérac.«

»Es ist ein Wunder, Euch so fern von Paris zu sehen.« – »Verzeiht, Madame, nicht der arme Chicot hat den Gedanken gehabt, dieses Wunder zu tun.«

»Ich glaube das wohl, Ihr waret tot, wie man sagte.« – »Ich spielte den Toten.«

»Was wollt Ihr von uns, Herr Chicot, sollte ich so glücklich sein, daß man sich in Frankreich der Königin von Navarra erinnerte?« – »Oh! Madame,« erwiderte Chicot lächelnd, »seid unbesorgt, man vergißt die Königinnen bei uns nicht, wenn sie Euer Alter und besonders Eure Schönheit haben.«

»Man ist also immer noch artig in Paris?« – »Der König von Frankreich,« sagte Chicot, ohne die letzte Frage zu beantworten, »schreibt sogar an den König von Navarra über diesen Gegenstand.«

Margarethe errötete. »Er schreibt?« fragte sie. – »Ja, Madame.«

»Habt Ihr den Brief gebracht?« – »Gebracht, nein, aus Gründen, die Euch der König von Navarra erklären wird, aber auswendig gelernt und aus dem Gedächtnis wiederholt.«

»Ich begreife; der Brief war wichtig, und Ihr befürchtetet, er könnte verloren gehen oder Euch gestohlen werden.« – »So ist es, Madame; Eure Majestät entschuldige mich; aber der Brief war lateinisch geschrieben.«

»Oh! sehr gut! Ihr wißt, daß ich das Lateinische verstehe.« – »Und der König von Navarra versteht es auch?«

»Mein lieber Herr Chicot, es ist sehr schwer zu wissen, was der König von Navarra weiß oder nicht weiß.« – »Ah! ah!« machte Chicot, glücklich, zu sehen, daß er nicht allein den Schlüssel des Rätsels suchte.

»Wenn man dem Anschein glauben darf, versteht er es sehr schlecht, denn nie begreift er oder scheint wenigstens nie zu begreifen, wenn ich mit einem vom Hofe in dieser Sprache rede.« – »Ah! Teufel!« macht Chicot und biß sich auf die Lippen.

»Habt Ihr ihm den Brief vorgesagt?« – »Er war an ihn gerichtet.«

»Und er schien ihn zu verstehen?« – »Nur zwei Worte.«

»Welche?« – »Turennius und Margota.«

»Was hat er sodann getan?« – »Er hat mich zu Euch geschickt.«

»Zu mir?« – »Ja, indem er sagte, dieser Brief scheine zu wichtige Dinge zu enthalten, als daß man ihn durch einen Fremden übersetzen lassen könnte, und es wäre besser, wenn Ihr es tätet, Ihr die Schönste der Gelehrtinnen und die Gelehrteste unter den Schönen.«

»Ich werde Euch anhören, Herr Chicot, da es der Befehl des Königs ist, daß ich Euch höre.« – »Ich danke, Madame; wo beliebt es Eurer Majestät, daß ich spreche?«

»Hier; nein, nein, bei mir vielmehr; ich bitte, kommt in mein Kabinett!«

Margarethe schaute mit einem tief forschenden Blicke Chicot an, der sie, wohl aus Mitleid mit ihr, eine Ecke der Wahrheit hatte erschauen lassen.

Die arme Frau fühlte das Bedürfnis einer Unterstützung, einer Rückkehr zur Liebe vielleicht, um die Prüfung auszuhalten, die sie bedrohte.

»Vicomte,« sagte sie zu Herrn von Turenne, »Euren Arm bis zum Schloß! Habt die Güte, uns voranzugehen, Herr Chicot.«



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