Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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31.

Und es tanzt der Schnee; kalt flimmern die Flocken
wie Sterne im schwachen Sonnenschein.
Immer stiller starrt das Weib landein.
Aber wärmer immer, als will er sie feien,
streicht der Mann ihre schwarzen Locken:

Wir haben einst als Menschen gefehlt,
nun kommt die Menschheit und will uns strafen.
Aber sieh: ihr Geist hat uns so beseelt,
daß wir wie Kinder, wenn Mutters Schläge trafen,
nur umso lieber an Mutters Herzen schlafen,
der eignen Unvollkommenheit entrückt,
vom Glück aller Seelen mitbeglückt.
Und gleich den Flocken, die irrend vom Himmel tanzen
und findet doch jede ihr irdisch Ziel,
laß uns nun hingehn, als sei's zum Spiel,
und in fremdes Land deutsche Edelsaat pflanzen.
Denn im blutigen Ernst deiner schweren Stunde
– oh, ich fühl's, ich seh's: dann liegst du allein –
aber eilend winkt dir jede Sekunde:
bald wirst du wieder bei mir sein,
wie unsre Kinder mit leichtem Schritt,
und bringst mir die Heimat in jede Ferne mit!
O schweig nicht länger – ja, blick mich an:
sieh, hilfebittend steht hier ein Mann,
den keine Einsamkeit mehr quält,
langsam durch heißen Haß zur Liebe gestählt,
und dem doch heimlich die Heimwehwunde klafft –
o sage mir ein Wort voll tiefer Kraft!

Und er sieht, er fühlt: er muß niederknien –
und ein Blick, eine Stimme, so unermessen
wie rings die Stille, kommt über ihn:

Hast du das Machtwort »Wir Welt« vergessen? –

Und es tanzt der Schnee, und die Flocken wehn
wie Saat des Lichts von Himmel zu Erden.
Keine Grenze mehr. Zwei Menschen sehn
ihr Vaterland unendlich werden.


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