Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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30.

Und die Sonne küßt den Schnee vom Dach,
und leise summt die Glut in den Kaminen.
Lächelnd tritt das Weib ins Turmgemach;
breit vom Morgenglanz beschienen
sinnt der Mann auf seine Arbeit nieder.
Er blickt nicht auf. Sie lächelt wieder.
Leise naht sie ihm in heller Freude,
weich umwogt vom Mutterhoffnungskleide:

Lukas – mir war so fröhlich eben:
ich saß und dachte in dich hinein:
der Name, den wir unserm Kind bald geben,
soll auch der Name deines Bergwerks sein.
Und mir kam ein Wort, das wie vom Himmel fiel:
nimm all dein Schicksal als Kinderspiel!
Denn gelt: den reichen Seelen
darf das Glück nicht fehlen,
das sie Andern zeigen als ein Ziel –

Da blickt er auf – sie fühlt sich erbleichen:
seine Augen gleißen, Spott nistet drin.
Seine Hand weist auf einen Bauplan hin:
da liegt ein Brief mit seltsamen Zeichen.
Die Chiffern wogen ihr wie ein Meer.
Rauh kommt seine Stimme zu ihr her:

Ja, ein Spiel – nenn's Schicksal, nenn's Glück, Gott, Welt –
nur: lerne verlieren, willst du gewinnen!
Ich werde mein Werk hier nicht beginnen.
Du wirst bald allein hier auf Namen sinnen;
was du ahntest, hat sich eingestellt.
Hier: aus alter Freundschaft hat man mir diesen
gnädigen Wink von »oben« verschafft:
binnen vier Wochen bin ich verhaftet
oder verbannt – auf amtsdeutsch: landesverwiesen.
Nun heißt es, stolz an neue Arbeit gehn,
damit wir vor dem Gott in uns bestehn!

Aus seinen Augen weicht aller Spott.
Zwei Menschen beugen sich vor Gott.


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