Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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15.

Es wird dunkler; immer heller blitzen
durch die Asche im Kamin die Kohlen.
Am Klavier, an dem zwei Menschen sitzen,
stockt ein halbverhaltnes Atemholen.
Eine Wiegenweise bannt noch beide;
aber endlich lacht das Weib und spricht,
blau umrauscht vom Mutterhoffnungskleide:

Du machst schon wieder dein russisch Gesicht.
Was hast denn wieder Graues zu schleppen?
Kannst denn nit auch mal aufglühn wie deine Steppen,
eh der Regen vom Himmel bricht?!
Du sollst ja all mein, all mein Labsal noch schlürfen,
darfst doch schon kosten, und sollst es dürfen;
meine Kniee nehmen, die Schönheitsflecken
auf meinen braunen Brüsten entdecken,
meinem Mund, meinem Schooß deine Notdurft stammeln,
all mein Schmachten auf Deine Lippe sammeln –
Ja fühlst denn nit, einfältiger Mann,
wie vielfältig man küssen kann?!

Halblaut greift sie Töne; sie hüpfen wie Bälle.
Es wird dunkler; eine breite Welle
Glut erlischt in seinem Bart.
Und er sagt unsäglich zart:

Du machst schon wieder zu deinen hellen Terzen
Augen, die so verwirrend schimmern
wie Spinnwebnetze in finstern Zimmern,
wenn ein paar Streifchen Licht drauf fielen.
Ich ließ dich spinnen und weben von Herzen;
nun willst du Fliege mit mir spielen.
So spiel denn! spiele, Spinnchen – und lerne fliegen:
ich nehme dich mit: komm, Herz: ich weiß ein Land,
wo wir den Blick des Kindes wiederkriegen,
der gläubig eine Kachelofenwand,
auf die der Schein des Nacht-Öllämpchens fällt,
für einen Himmel voller Sterne hält!

Und zwei Menschen vergessen die Welt.


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