Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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29.

Nun scheinen selbst die Blumengewinde
der indischen Kissen voll Frühlingssehnen;
am Fenster schmilzt die letzte blinde
Eisblume unter hellen Tränen.
Ein Mann sieht die barocken Ranken
mehr und mehr durchsichtig schimmern,
gleißend Gold in Silber flimmern;
er sitzt in drückenden Gedanken.
Er senkt noch tiefer Stirn und Ohr:
er hat ein Weib am Herzen liegen,
mit Augen, die zur Sonne fliegen.
Sie flüstert, glüht an ihm empor:

Und heb mich wieder so herrlich hoch,
und trag mich fort, o trag mich fort!
Und wären die Berge noch so hoch,
ich will dir folgen an jeden Ort;
ich will dir Alles, Alles hingeben!
Verkauf mein letztes bißchen Schmuck,
nimm mir mein Eigenstes, nimm mir's Leben;
nur fort, nur fort aus diesem Druck!
Und wenn wir's bis zum Bettelstab bringen,
und wenn wir verlumpen, wenn wir verdrecken,
dann wird's wohl überall noch gelingen,
eine Schachtel Zündhölzchen zu erschwingen
und den nächsten Wald in Brand zu stecken;
und selig will ich mit Dir zusammen
wie eine Hindufrau stehn und flammen!

Sie lächelt seltsam; er sieht es nicht.
Sie hebt das Haupt – sie sieht ein Gesicht
heiß von bebenden Narben zerrissen;
das starrt auf die gleißenden Fenster und Kissen
mit dem Ausdruck eines Steins,
der zerspringen will, und spricht

mühsam: Und dein Kind? – Und – meins? –

Da sinkt ihr Haupt in seinen Schooß;
zwei Menschen weinen fassungslos.


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