Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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5.

Morgennebel brodelt auf fernen Seen.
Gelbes Laub tanzt über abgemähte
Wiesen und zerfahrne Chausseen
zur Musik der Telegraphendrähte;
sturmbetroffen stockt ein Menschenpaar.
Jäh ist eine Wanderschaar
Schwalben durch die brausenden Pappeln
und die Drähte hingeschossen,
unbekümmert um die zerfetzten Genossen,
die im Grase abgestürzt zappeln.
Der Mann kürzt ihre Qual mit einigen Streichen.
Nun weist er auf die kleinen Leichen:

Ja, Mutter Isis: blick nur betroffen her!
kannst du noch fliegen, Seele? und allein!? –
Dein Auge hat sehr stolzen Schein –
dann ist es gut: dann brauchst du mich nicht mehr.
Zugvögeln gleich: da ziehn sie, planvoll verbunden,
und denkt doch keiner an Ich und Du!
schon sind sie, schau nur nach, im Nebel verschwunden,
von einer Heimat der andern zu –
zum jammervollsten Tod bereit
in ihrer Sehnsuchtsherrlichkeit –
komm weiter!

Er winkt in den Sturm, sein Stock zuckt wie ein Degen.
Da tritt das Weib ihm voll entgegen:

Lukas! Nun hast du deutlich genug gesprochen!
kennst du das Wort Selbstherrlichkeit?
Hältst du die Fürstin Lea für so gebrochen,
daß sie sich umsieht, was ihr Halt verleiht?
Nun will ich frei sein! frei auch vom letzten Band,
das mich noch fesselt an jene Welt der Gecken.
Frei, weil mir's ziemt; nicht Dir zum Unterpfand.
Dann biet'ich dir vielleicht die Helfershand.
Warum nicht früher, das wirst du bald entdecken.

Sie nimmt seinen Arm; sie sieht, er lächelt eigen.
Zwei Menschen fühlen, wie's stürmt, und schweigen.


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