Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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19.

Mondlicht greift durch bleiche Gardinen,
legt Flecke auf ein Himmelbette;
zwei Menschen sehn's mit bleichen Mienen.
Sehn die Flecke in schleichender Kette
grell ein Kind, das schläft, umkränzen;
es schläft mit offnen Augenlidern.
Die stillen Augensterne glänzen;
glänzen weiß wie blindes Eis.
Ein Weib schluchzt auf mit allen Gliedern.
Wie aus einem Abgrund gerissen
starrt ihr schwarzes Haar aus den Kissen,
haucht sie heiß:

Mir lebt dies Kind, und nicht von Dir;
ich lieg' in Dankbarkeit vor dir.
Ich lag bis heute wie unter Steinen,
wie unter einer Sticklast Schnee;
du bist gekommen, nun kann ich weinen.
Jetzt aber – geh!
Ich will vor dir kein Klagweib sein;
laß mich, solang' ich lieg', allein.

Der bleiche Mann im Vollmondlicht
neigt sein unbewegtes Gesicht.
Sein Blick weilt wie in weiten Fernen
auf den blinden Augensternen.
Und er spricht:

Das Kind, das du geboren hast,
sei deiner Seele keine Last:
sieh, wie sein Schlaf das Helle trinkt!
Es scheint ein Licht durch unsre Welt zu wehen,
das alles andere, gröbere Licht beschwingt;
in ihm wird dieses Kind aufgehen.
Es wird die irdische Qual nicht sehen.
Wir werden's leiten wie auf Wolkenauen.
Es wird das innere Weltlicht schauen.

Er küßt sie, geht – sein Schatten streift das Kind;
zwei Menschen sehn, daß sie auf Erden sind.


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