Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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19.

Doch von fernen Höhen springt das Licht
über Land und Stadt durch den trüben Morgen;
zwischen rings aufglitzerndem Grün verborgen,
hebt der Mann sein verwachtes Gesicht.
In dem einsamen Garten knirschte der Sand.
Er lauscht noch, ob er träumte ob wachte
– eine Meise huscht um den Laubenrand –
da steht sie vor ihm, an die er dachte.
Sie nimmt die lahme, vernarbte Hand.
Er will sie ihr entreißen, entringen;
aber heiße Tränen dringen
über ihr und sein Gesicht,
er kann es nicht –

Nein, Meiner! – und würdest du jetzt mich schlagen,
was wär mir's gegen dies Wiederfinden!
Oh, ich wär ja am liebsten mit vier Wagen
nach allen vier Winden auseinandergejagt,
dir endlich zu sagen:
was Du kannst, kann auch Ich ertragen!
alle, alle Weibeskraft sollst du in mir finden! –
Sieh: hier hast du zwei Hände statt der einen.
Ich bin ja nicht mehr wie früher. Schau:
da mußt'ich mein Menschlichstes verneinen,
um der Welt und mir etwas vorzuscheinen.
Jetzt bin ich etwas: Deine stolze Frau! –
Ja: steh auf! mir ist, als müßt'ich ersticken,
bis die Leute mit menschenfreudigen Blicken
uns wieder nachschaun: welch strahlend Paar!
Und schlichest du, so die Stirne hebend, an Krücken,
ich hör ihr Geflüster: Wunderbar,
wer muß das sein, was für ein Mann,
dem solch ein Weib gehören kann!

Sie lacht: seine Hand bebt auf ihrem Haar.
Von den fernen Höhen lacht der Morgen.
Um die Laube lachen die Vögel gar.
Zwei Menschen fühlen sich geborgen.


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