Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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26.

Über altersgrauen offnen Folianten,
zwischen Schränken mit verstaubten Kanten,
rostigen Waffen, bunten Wappenschildern,
blinden Spiegeln, dunkeln Ahnenbildern,
hängt ein goldner Streifen Licht.
Sonnenstäubchen schweifen dicht
um das Schnitzwerk hoher Stühle;
kommen noch dichter ins Gewühle,
denn ein Mann berührt ein Weib und spricht:

Das hab ich mir als Kind beim Klettern
im grünen Forst nicht träumen lassen,
daß ich in diesen vergilbten Blättern
einst suchen würde Boden zu fassen.
Es ist für dich geweihter Boden,
als wär ein uralter Wipfel zu lichten;
ich seh nur tote Wurzelschichten,
kaum noch wert sie auszuroden.
Wie zur Erinnerung blüht da matt
noch manch Blaublümlein Ehrenpreis;
aber der morsche Stammbaum hat
als letzten Sproß ein blindes Reis.

Er will zuklappen. Er stockt. Die Funken
der Sonnenstäubchen stieben wie trunken.
Denn das Weib umschlingt ihn leis:

Drücken dich wieder die blauen Schuh?
Was mußt denn gleich so quer immer denken!
Du mußt dich liebender versenken
in diese stillen Dinge, du!
Sonst drückst mir ja das Herz ganz zu;
und gelt? das willst doch offen sehn.
Ich soll mich dir doch blos gestehn!
Ich wollt auch – wollt dir längst schon sagen:
mein Kind, Lux – Nein: ich wollt dich fragen:
ich möcht dein Töchterchen mal sehn!

Sie klappt zu, hastig; es stiebt zum Blenden.
Zwei Menschen müssen den Blick abwenden.


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