Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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25.

Und hoch durch Hallen, die fast blenden,
braust Dampf; und dumpf donnert Rad bei Rad.
Hohl durch die offenen Bogen-Enden
schwelt wie ein Herd mit tausend stillen Bränden
die Lichter-Dunstnacht einer großen Stadt.
Bahnzüge dröhnen rhythmisch hinaus, herein,
hin am Wirrwarr der scheinbar ziellosen Menge.
Zwei Menschen überschaun das stete Gedränge.
Ein Mann weist nach den fernen Häuserreihn:

Ist's nicht, als wären's Äonen seit ehemals,
seit wir vom Haus deines Herrn Gemahls
die finstern, lichtdurchfurchten Mauern
auch so am Horizont sahn kauern?
Und ist's nicht wieder, nicht immer noch, als lauern
die roten Fensterhöhlen auch hier wie Augen,
die alle trüben Begierden einsaugen,
auf Habsucht Notdurft speichern, und Haß zum Neide?
Und treibt doch Alle die Liebe, wie uns Beide,
sich Geist an Geist mit seelenvollen Händen
zu gleichen Lebenszwecken zu vollenden!
Wär's da nicht not, daß Freunde des Lebens sich fänden,
nur zu dem einen Endzweck auserlesen,
klar Alle dem Willen Aller zuzuwenden?!
bis einst der Geist, von jedem Zweck genesen,
nichts mehr zu wissen braucht als seine Triebe,
um offenbar zu sehn das weise Wesen
verliebter Torheit und der großen Liebe?!

Und einer Seherin gleichend steht das Weib,
und näher drängt um sie das Köpfegewimmel.
Sie fragt, und hält die Hände in das Getümmel,
als schütze sie den Mutterleib:

Und wenn nun Einst und Jetzt auch Mir sich einen,
sodaß ich furchtlos Deine Freundin bleib,
trotz meiner Eheschuld, und trotz der deinen?!

Sie schweigt, als ob sie heimlich etwas versprach.
Zwei Menschen sinnen der Menschheit nach.


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