Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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28.

Doch weit und hoch und funkelnd spannt die Nacht
ihr Grauen aus um Turm und Hain und Garten.
Im Tal bezeugt ein Lichtlein ihre Macht.
Die Stadt schläft, von den Sternen bewacht.
Und über die Wipfel deutend, die frosterstarrten,
fragt das Weib mit Vorbedacht:

Doch wenn nach unsern göttlichen Augenblicken
die menschlichen Stunden das Herz beschleichen?
können wir uns wie diese Eichen
mit sichern Wurzeln in jedes Schicksal schicken?
Das Kind kann's noch – da sprachst du wahr;
sie denkt schon dran, hier Spielgefährten zu finden.
Sie kann ihr Herz noch frei an Alles binden;
selbst ihren Büchern bringt sie's dar.
Wir aber, die wir nicht mehr einsam sind
und doch den Zwiespalt dieser Welt empfinden,
dürfen wir träumen wie ein Kind?

Das Licht im Tal erzittert; sie sehn's verschwinden.
Des Mannes Lächeln wird seltsam wild.
Es ist ein Lächeln, das allem Schicksal gilt.
Sein Blick erhebt sich in die nächtigen Fernen,
als lese er die Antwort aus den Sternen,
seltsam mild:

Es ist in uns ein Ewig Einsames –
es ist Das, was uns Alle eint.
Es tut sich kund als Urgemeinsames,
je eigner es die Seele meint.
Sie wurzelt rings im grenzenlos Alleinen;
sie liebt es, sich im Weltspiel zu entzwein,
um immer wieder selig sich zu einen
durch Zwei, die grenzenlos allein.
So lebt die Liebe – das ist kein Traum.
So, Kind, erlebt dein Herz im dürrsten Baum,
was ihm wohl oder wehe tut;
nur leiser, ferner, nicht so nah dem Blut.

Zwei Menschen lächeln über Zeit und Raum.


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