Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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24.

Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen;
sie schweigen schneebedrückt. Zwei Menschen lauschen,
wenn manchmal durch den schwerbeladnen Wald
das Eis der fernen Seeen knallt.
Dann scheinen tiefer noch gesenkt
die dunkeln, weißgesäumten Äste,
um die das Frühlicht machtlos hängt.
Ein Mann spricht mit ergriffner Geste:

Das ist wie eine Versammlung von Greisen
um ein fremdes Täuflingsbette.
Keiner rührt mit seinen weisen
Händen an die Schicksalskette.
Sie lassen stumm das Unverwandte
zwischen ihren Seelen schweben.
Sie segnen fromm das Unbekannte:
es wehrt dem Überdruß am Leben.
Sie schenken jedem Morgengrauen
ohne Anspruch ihr Vertrauen.

Durch den schwer beladenen Wald
geht auf einmal ein Schattenwanken;
von den Zweigen, die noch schwanken,
fällt der Schnee, zu Schlacken geballt.
Über ein Weib kommt ein Gedanke:

Lukas, du sollst dich nicht verstellen!
Wenn unter diesen starren Bäumen,
so oft der Eisschreck draußen schallt,
Echos wie aus schweren Träumen
in mein warmes Leben kalt
diesen Todesschauer bellen,
daß wir unser Glück versäumen –
dann sollst du nicht mit solchen ausgedachten
Bildern mich zu prüfen trachten,
dann sollst du mit mir fühlen und denken:
wir wollen Nichts und Nichts dem Schicksal schenken!

Die hohen Kiefern können noch nicht rauschen.
Zwei Menschen scheinen auf ihr Herz zu lauschen.


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