Richard Dehmel
Zwei Menschen
Richard Dehmel

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30.

Der Himmel scheint blutunterlaufen.
Fern graut die Großstadt her. Zwei Menschen sehn
die Türme hoch in dunkler Rotglut stehn;
die Stadt raucht wie ein Scheiterhaufen.
Ein Weib lehnt an der Fensterborte,
düster, wie aus Erz gebaut.
Der Glanz macht ihre braune Haut
glühender als eine Braut.
So hört sie eines Mannes Worte:

Dein Herr Gemahl? Nein: der ist nicht im Wege.
Er hat ja Augen, und kann noch welche pachten.
Und träf'er mich in seinem Gehege,
ich würd' ihn mir sehr höflich betrachten:
Hoheit, Sie dürfen mich verachten.
Sie dürfen, wenn Sie's wagen, mich töten.
Ich würde vielleicht sogar vor ihm erröten;
das ist ein Vorgang der Natur,
mein Körper ist arg tierisch. Nur:
mein Geist ist über meinen Nöten! –
Ja, Lea: begreifst du, was das heißt:
ich will getrieben sein vom Geist!?
Erst wenn der Geist von jedem Zweck genesen
und nichts mehr wissen will als seine Triebe,
dann offenbart sich ihm das weise Wesen
verliebter Torheit: die große Liebe.
Du bist noch nicht so zwecklos mein:
du willst noch mich, ich soll noch dich befrein.
Dies blinde Kind aus fremden Lenden,
es scheint uns immer zuzuschauen,
ob wir nicht sein Vertrauen schänden.
Und siehst du: Das – jawohl – das macht mir Grauen!

Er bebt; er zerrt an seinem Bart.
Das braune Weib wird bleich, wird rot.
Dann sagt sie leise, mühsam, hart:

Das Kind, vor dem dir graut, ist tot –

Zwei Menschen schweigen wie erstarrt.


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