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Fünftes Kapitel.

Um acht Uhr morgen wirst du unsterblich sein.

      Shakespeare.

 

Lord Vargrave kehrte in sein Zimmer zurück und traf dort Herrn Howard, welcher so eben angekommen war und seine weißen, mit Ringen zierlich geschmückten Hände am Feuer wärmte. Er unterhielt sich mit ihm eine halbe Stunde lang über alle die Gegenstände, worüber der Sekretär ihn benachrichtigen konnte, und entließ ihn dann wieder, damit er zur Wohnung der Lady Jane zurückkehre.

Als er sich langsam entkleidete, sah er auf seinem Schreibtisch das Billet, welches Lady Doltimore ihm erwähnt hatte und welches noch uneröffnet war. Er erbrach träge das Siegel, blickte sorglos über die wenigen, in der Angst gekritzelten Worte des Selbstvorwurfs und der Angst und warf es dann mit einem verächtlichen ›Bah!‹ wieder auf den Tisch. So ungleich wird der Kummer bei einer strafbaren Liebe von einem Weltmann und einer Gesellschaftsdame empfunden!

Als sein Bedienter Wein und Wasser vor ihm hinstellte, sagte ihm Vargrave, er möge früh die Vorbereitungen zur Abreise treffen und ihn um neun Uhr wecken.

»Soll ich jene Thür verschließen, Mylord?« fragte der Diener, indem er auf eine solche zeigte, welche in eines der großen Kabinette oder Armoirs führte, wie sie allen französischen Schlafgemächern zum Aufbewahren des Holzes und allerlei anderer Gegenstände gewöhnlich sind.

»Nein,« sagte Vargrave mit munterem Ton! »Ihr Bediente schließt so gern jeden Hauch Luft aus. Ich würde nie ein Fenster offen haben, wenn ich es nicht selbst aufschlösse. Lassen Sie die Thür offen und kommen Sie nicht später als neun Uhr.«

Der Diener, welcher in einer Art Wandkasten neben dem Vorzimmer schlief, that wie ihm befohlen ward; Vargrave löschte sein Licht aus, legte sich zu Bett und versank in tiefen Schlummer, nachdem er schläfrig einige Minuten auf die hinsterbende Asche des Feuers geblickt hatte. Die Uhr schlug die erste Stunde des Morgens und Alles im Hause schien still.

 

Am nächsten Morgen ward Maltravers durch de Montaigne auf seinem Zimmer geweckt, welcher von seinem Landhause, nach seiner häufigen Gewohnheit sehr früh in Paris angekommen war und das Billet von Maltravers vom vergangenen Abend vorgefunden hatte.

Maltravers stand auf und kleidete sich an; während de Montaigne noch auf den Bericht hörte, den sein Freund ihm über das Zusammentreffen mit Cesarini und über die von dem Unglücklichen gegen seinen Mitschuldigen erhobene Anklage mittheilte, trat der Bediente von Ernst plötzlich in's Zimmer.

»Sir,« sagte er, »ich dachte, Sie wüßten vielleicht – was ist zu thun? – Das ganze Hotel ist in Verwirrung; man hat nach Herrn Howard und Lord Doltimore geschickt – so sonderbar und plötzlich!«

»Was gibt's? Sprechen Sie deutlich.«

»Lord Vargrave, Sir; der arme Lord Vargrave –«

»Lord Vargrave!«

»Ja, der Herr des Hotels hatte gehört, daß Sie Ihre Lordschaft kennen und läßt Sie inständig bitten, herunterzukommen. Lord Vargrave ist todt – todt in seinem Bette gefunden!«

Maltravers war vor Staunen und Schrecken gleichsam in den Boden gewurzelt. Todt! Und noch vergangene Nacht so voll Leben; so voll von Entwürfen, Hoffnung und Ehrgeiz!

Sobald er wieder zu sich kam, eilte er wieder auf den Platz und de Montaigne folgte. Der Letztere, als Beide die Treppe hinabstiegen, legte seine Hand auf den Arm Ernsts und hielt ihn zurück.

»Sagten Sie nicht, daß Castruccio das Zimmer verlassen habe, so lange Vargrave bei Ihnen war, und beinahe sogleich nach seiner Erzählung, wie Vargrave ihm das Verbrehen eingab?«

»Ja.«

Die Blicke der beiden Freunde begegneten sich; ein furchtbarer Verdacht ergriff Beide.

»Nein, es ist unmöglich!« rief Maltravers aus; »wie konnte er Eintritt erlangen – wie bei Lord Vargrave's Bedienten vorbeikommen? Nein, nein, denken Sie nicht daran!«

Sie eilten die Treppe hinab und erreichten die äußere Thüre von Lord Vargrave's Zimmer; das Billet an Howard mit Vargrave's Unterschrift war dort noch angeheftet. De Montaigne sah es und schauderte. Sie standen im Schlafzimmer am Bett; eine Gruppe hatte sich um dasselbe versammelt; die Leute aber machten Platz, als der Engländer mit seinem Freunde herzutrat; Maltravers Augen ruhten plötzlich auf dem Antlitz des Lord Vargrave, wie es verschlossen, starr und verzerrt von Zuckungen dalag.

Das Geflüster hatte aufgehört, so wie Maltravers eintrat; es ward jetzt erneut; man ließ einen in der Nähe wohnenden Wundarzt kommen, einen jungen Engländer von keinem großen Ruf oder Namen. Dieser zog Erkundigungen ein, während er sich über die Leiche beugte.

»Ja, Herr,« sagte Lord Vargrave's Bedienter; »Mylord sagte mir, ihn um neun Uhr zu wecken; ich trat um jene Zeit in's Zimmer; allein Mylord bewegte sich nicht und gab mir keine Antwort. Ich sah alsdann zu, ob er sehr fest schlief und bemerkte, daß die Kissen auf irgend eine Weise über sein Gesicht gekommen waren, und daß sein Kopf sehr niedrig zu liegen schien; somit nahm ich die Kissen fort und sah, daß Seine Lordschaft todt war.«

»Sir,« sagte der Wundarzt, indem, er sich zu Maltravers wandte; »wie ich höre, waren Sie ein Freund von Seiner Lordschaft. Herrn Howard und Lord Doltimore habe ich schon rufen lassen; kann ich eine Minute mit Ihnen reden?«

Maltravers nickte Beifall. Der Wundarzt hieß alle fortgehen, mit Ausnahme de Montaigne's und Maltravers.

»Ist jener Bediente lange bei Lord Vargrave gewesen?« fragte der Wundarzt.

»Ich glaube – ja, ich erinnere mich seines Gesichtes. Weßhalb?«

»Halten Sie ihn für zuverlässig und ehrlich?«

»Ich weiß nichts von ihm.«

»Sehen Sie, Sir!« Bei den Worten zeigte der Wundarzt auf eine leichte Verschiedenheit in der Farbe an einer Seite des Halses der Leiche. »Dieß kann zufällig rein natürlich sein. Seine Lordschaft ist vielleicht durch einen Schlaganfall gestorben; Zeichen äußerer Gewaltthätigkeit sind nicht vorhanden; allein Mord durch Erstickung könnte –«

»Wer konnte außer dem Diener in's Zimmer kommen? War die äußere Thür verschlossen?«

»Der Diener kann beschwören, daß er die Thür, bevor er zu Bett ging, verschloß, und daß Niemand bei Seiner Lordschaft oder im Zimmer war, als Lord Vargrave sich niederlegte. Es ist unmöglich, durch das Fenster einzusteigen. Bemerken Sie wohl, Sir, ich besitze kein Recht, irgend Jemand zu beargwohnen. Seine Lordschaft war kurz vorher sehr krank gewesen und hatte, wie ich höre, einen heftigen Blutandrang zum Kopf gehabt. Gewiß, wenn der Diener unschuldig ist, dürfen wir gegen Niemand Verdacht hegen. Schicken Sie lieber zu einem erfahrneren Arzte.«

De Montaigne, welcher bis dahin nichts gesagt hatte, sah sich jetzt mit eiligen Blicken im Zimmer um; er bemerkte die offen stehende Thür des Kabinets und stürzte gleichsam in unwillkürlichem Antrieb auf dieselbe zu. Das Kabinet war geräumig; allein ein beträchtlicher Haufen Holz und einiger Plunder von alten Tischen und Stühlen nahm einen großen Theil des Raumes ein. De Montaigne suchte mit hastiger Eile zwischen dem Gerümpel; keine Spur eines versteckten Mörders war dort sichtbar. Er kehrte zum Schlafzimmer zurück, indem seine Gesichtszüge den Ausdruck der Befriedigung und der Erleichterung trugen. Er zwang sich der Leiche näher zu treten, vor welcher er bis jetzt zurückgeschaudert war.

»Herr,« sagte er beinahe rauh, als er sich zum Wundarzt wandte; »was sind das für eitle Zweifel! Können keine Menschen in ihrem Bette plötzlichen Todes sterben – daß kein Blutflecken auf dem Kissen sich findet – daß kein Verbrecher durch irgend ein Schlupfloch hindurchkommen kann, ohne daß die Wissenschaft selbst uns alberne Schrecken einflößt? Was den Diener betrifft, so stehe ich für seine Unschuld ein; sein Benehmen und seine Stimme bezeugen dieß.«

Der Wundarzt nahm seine Behauptung beschämt und gedemüthigt zurück, und begann sich zu entschuldigen und seine Angaben zu beschränken, als Lord Doltimore plötzlich eintrat.

»Gütiger Himmel!« rief er aus; »was ist das? Was höre ich? Ist es möglich? So plötzlich todt!« Er warf einen eiligen Blick auf den Körper, schauderte, empfand Uebelkeit und warf sich in einen Lehnstuhl, als müsse er sich vom Schrecken erholen. Als er seine Hand vom Gesicht nahm, sah er ein offenes Billet auf dem Tische liegen. Die Handschrift war ihm bekannt; sein eigener Name fiel ihm auf; es war das Billet, welches Caroline am Tage zuvor Lord Vargrave geschickt hatte. Da Niemand ihn beachtete, las es Lord Doltimore und setzte sich unbemerkt in Besitz dieses Beweises hinsichtlich der Schuld seiner Frau.

Der Wundarzt wandte sich jetzt von de Montaigne fort, welcher in den letzten Augenblicken ihm einen gehörigen Verweis gegeben hatte, mit den Worten: »Eure Lordschaft war, wie ich höre, Lord Vargrave's vertrautester Freund in Paris.«

»Ich sein vertrauter Freund!« sagte Doltimore mit verächtlichem Ton, indem er stark erröthete; »Sir, Sie sind durchaus falsch unterrichtet!«

»Wollen Sie hier keine Aufträge ertheilen Mylord?«

»Nein, Sir; meine Gegenwart ist hier gänzlich nutzlos. Guten Tag, meine Herrn!«

»Wem fällt aber die letzte Pflicht anheim?« fragte der Wundarzt, indem er sich zu Maltravers und de Montaigne wandte; »wahrscheinlich dem Sekretär des verstorbenen Lords? Ich erwarte ihn jeden Augenblick; ach, hier ist er schon, glaube ich.«

Herr Howard trat blaß und offenbar durch Aufregung überwältigt, in's Zimmer. Vielleicht beklagte der arme Sekretär, den Lord Vargrave zu beleidigen oder zu betrügen niemals in Versuchung gekommen war und welcher in ihm nur den gefälligen und freundschaftlichen Beschützer vermißte, am meisten sein Andenken und vertheidigte am meisten seinen Charakter unter allen menschlichen Wesen, die der ehrgeizige Geist jenes jetzt gefühllosen Staubes in den Geweben des Eigennutzes, der Neigung oder Intrigue um sich her gezogen hatte. Der Gram des armen Sekretärs war wirklich überwältigend; er schluchzte und weinte wie ein Kind.

Als Maltravers sich aus dem Zimmer des Todten entfernte, begleitete ihn de Montaigne; bald aber verließ dieser ihn wieder, als Ernst zu Eveline ging, und schloß sich Howard an, welcher gerne sein Anerbieten der Hülfe bei den letzten traurigen Pflichten und Anordnungen annahm.


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