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Fünftes Kapitel.

Hoffnung, Furcht,
Fährt auf erschreckt und blickt am
   engen Rande
Des Lebens nieder; was öffnet sich?
Ein bodenloser Abgrund.

      Young.

 

Mitternacht – und scharfer Frost! Dort standen die beiden Flüchtlinge, ohne Haus und Brod, in der Mitte des schönen Waldes, in welchem so oft die Hörner königlicher Jagden erklungen waren. Der Soldat, dessen Jugend an Strapazen und an die Ueberwindungen gewöhnt war, welche unser Mutterwitz der stiefmütterlichen Natur abgewinnt, hatte durch Zusammenreiben zweier trockener Stücke Holz ein Feuer angezündet; dieß Holz war schwer zu finden, denn der Schnee bedeckte den Grund und lag tief in den Hohlwegen. Als es endlich in Brand gerieth, ließ sich ein Feuer nur langsam anschüren; indeß zuletzt erhob sich die Gluth. Die beiden Verrückten saßen auf einer kleinen Erdbank, die von einem Halbkreis ungeheurer Bäume überragt war. Einander gegenübersitzend, hockten sie am Feuer, und die Gluth übergoß ihre Züge mit rothem Schein. Ein Jeder wünschte in seinem Herzen seinen verrückten Gesellen sich vom Halse zu schaffen; Jeder fühlte das Furchtbare der Einsamkeit, neben einem Gefährten zu schlafen, dessen Seele Gottes Licht verloren hatte.

»Ho,« sagte der Krieger, indem er das lang gehaltene Schweigen unterbrach, »wie kalt es ist, der Hunger quält mich, ich sehne mich beinahe wieder in mein Gefängniß.«

»Ich empfinde die Kälte nicht,« sagte Cesarini. »und bekümmere mich nicht um den Hunger, ich schwelge allein im Gefühle der Freiheit!«

»Versuchen Sie zu schlafen,« sprach der Soldat mit einer schmeichelnden, Unheil verkündenden Milde der Stimme; »wir wollen abwechselnd Wache halten.«

»Ich kann nicht schlafen, machen Sie den ersten Versuch.«

»Hören Sie,« sagte der Soldat finster; »ich will nicht, daß man meinen Befehl bestreitet; jetzt, da wir frei sind, stehen wir nicht mehr auf gleichem Fuße; ich bin Erbe der Krone von Frankreich und Navarra – schlafen Sie, sage ich!«

»Und welcher Fürst oder Potentat, König oder Kaiser,« rief Cesarini aus, indem er durch den Einfall seines Kameraden angesteckt wurde, »kann dem Monarchen der Erde und Luft, der Elemente und der Musik athmenden Sterne befehlen! Ich bin Cesarini, der Dichter! Der Jäger Orion hält in seiner Jagd am Himmel, um auf meine Leier zu hören. Still, roher Mann! Du verscheuchest die Engel, deren Hauch durch mein Haar rauscht.«

»Es ist furchtbar,« schrie der grimme Mann des Blutes schaudernd; »meine Feinde sind unbarmherzig; sie geben mir einen Verrückten zum Gefangenwärter.«

»Ha, einen Verrückten!« rief Cesarini aus, indem er aufsprang, und auf den Soldaten mit Augen blickte, welche die Gluth des Feuers auffingen und mit ihr wetteiferten: »Wer seid Ihr? Welch ein Teufel aus tiefer Hölle, der Ihr Euch mit meinen Verfolgern gegen mich verbündet habt?«

Mit dem Instinkt seines alten Berufs und seiner Tapferkeit stand auch der Soldat auf, als er die Bewegung seines Gefährten sah; in seinen trotzigen Zügen war Wuth und Furcht vereint.

»Fort!« rief er aus, indem er seinen Arm schwang. »Wir verbannen dich aus Unserer Gegenwart! Dies ist Unser Palast. Unsere Garden stehen bereit.« Er zeigte bei den Worten auf die stillen und skelettartigen Bäume, die in geisterhafter Nacktheit um sie gruppirt waren. »Hinweg mit dir!«

In dem Augenblick vernahmen sie in der Entfernung das tiefe Gebell eines Hundes und Jeder rief zugleich aus: »Ich werde verfolgt, Verräther!« Der Soldat sprang an die Kehle des Cesarini; der Italiener aber ergriff in demselben Augenblick einen halb verbrannten Feuerkloß und schlug das glühende Ende seinem Angreifer ins Gesicht. Der Soldat stieß einen Schrei des Schmerzes aus und fuhr geblendet und entsetzt zurück. Cesarini, dessen Wahnsinn, gehörig erregt, von tödtlichster Art war, erhob wieder seine Waffe, und wahrscheinlich hätte nur der Tod die beiden Feinde getrennt; aber wiederum vernahm man das Bellen des Hundes, und Cesarini, indem er den Schall mit wildem Geheul beantwortete, warf den Feuerbrand fort und floh durch den Wald mit unbegreiflicher Schnelle.

Er eilte über Gebüsch und Gräben hinweg; die Zweige zerrissen seine Kleider und zerfetzten sein Fleisch; er hielt aber nicht an, bis er zuletzt athemlos und erschöpft zu Boden fiel und von einer entfernten Glocke zwei Uhr schlagen hörte. Er hatte den Wald verlassen; ein Bauernhaus stand vor ihm; die hellen Dächer der zerstreuten Häuser hoben sich ab am ruhigen Himmel. Die Nähe der Menschen – der gesellige ruhige Himmel über vernünftigen Menschen, wirkte wie ein Zauber auf die Sinne, welche durch kürzliche Aufregung mehr wie gewöhnlich verstört waren. Der Unglückliche blickte auf die ruhigen Wohnungen und seufzte schwer; dann erhob er sich von der Erde und kroch in einen Schuppen am Bauernhause; dort warf er sich auf etwas Stroh und schlief gesund und ruhig bis zum Tage, und bis ihn die Stimmen der Bauern im Schuppen erweckten.

Er stand erfrischt und ruhig wieder auf, mit einem zu gewöhnlichen Zwecken zur Genüge gefunden Geiste, um jeden Verdacht seiner Krankheit fern zu halten. Er trat zu den bestürzten Bauern und stellte sich ihnen als ein Reisender vor, welcher sich in der Nacht und im Walde verirrt hatte und jetzt um etwas Nahrung und Wasser bat. Seine Kleider waren zerrissen, aber neu und nach der Mode; seine Stimme war mild; seine ganze Erscheinung und sein Benehmen zeugte von einigem Stande, und der französische Bauer ist gastfrei. Cesarini erfrischte sich und ruhte eine oder zwei Stunden in dem Bauernhause; alsdann begann er auf's Neue seine Wanderung; er bot kein Geld an, denn die Regel des Irrenhauses untersagte dessen Einwohnern den Besitz des Geldes; die Bauern boten ihm aber ein so gütiges Lebewohl, als ob er ihre Segnungen sich erkauft habe.

Alsdann begann er zu überlegen, wo er Zuflucht nehmen und wie er für sich selbst sorgen wollte; das Gefühl der Freiheit stärkte und stellte auf einige Zeit seinen Verstand wieder her. Glücklicherweise hatte er außer einigen Ringen von geringem Werth eine kostbare Uhr, deren Verkauf ihm in einer unbekannten und niedrigen Wohnung, wie er sie zur Heimath sich suchen mußte, auf einige Wochen, vielleicht auf Monate ernähren konnte.

Dieser Gedanke machte ihn heiter und erhob seinen Muth; er ging munter vorwärts, indem er die Heerstraße vermied; der Tag war hell, die Sonne strahlte, die Sonne war scharf und gesund. Sanftes Entzücken schwoll im Herzen des Wanderers, als er umherblickte; der Dichter und der Freie regte sich in seinem zersplitterten Herzen! Er hielt an, um die Eiszapfen an den Bäumen zu betrachten, um auf die Stimme der Amsel zu hören; und als er einst an einer Hecke eine kalte und geruchlose Gruppe von ausdauernden Veilchen fand, lachte er laut in seiner Freude. In diesem Gelächter lag keine Tollheit und keine Gefahr; als er aber auf seinem weiteren Wege durch einen kleinen Weiler kam, als er die Kinder auf dem Boden spielen sah und an der offenen Thür einer Hütte den Schall ländlicher Musik vernahm – da blieb er plötzlich stehen. Die Vergangenheit drang auf ihn ein – er erkannte, was er gewesen und was er jetzt war! Eine furchtbare Erinnerung, eine Entdeckung voll Schrecken. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte laut. In jenen Thränen lag die Gefahr und die Methode des Wahnsinns; er erwachte von denselben, um an seine Jugend, seine Hoffnungen, an Florence und an Rache zu denken!

Lord Vargrave! Glücklicher wäre es für dich, seit jener Stunde, dem Tiger in seinem Lager zu begegnen, als mit jenem unglücklichen Mann allein zusammenzutreffen!


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