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Zweites Kapitel.

Ma fortune va prendre une face nouvelle. Mein Geschick ist im Begriff, eine neue Wendung zu nehmen. Anm.d.Hrsg.

      Racine, Androm.

 

Am nächsten Morgen erkundigte sich Vargrave nach Herrn Winsley's Hause und begab sich allein in die Wohnung des Brauers. Der dünne Sekretär ging fort, um sich die Cathedrale zu besehen.

Herr Winsley war ein dicker, untersetzter Mann, mit dem halb höflichen, halb groben Benehmen eines Wählers. Er stutzte, als er Lord Vargrave's Namen hörte, und verbeugte sich mit großer Steifheit. Vargrave sah mit einem Blick, daß in der Seele des würdigen Mannes irgend eine Ursache zum Groll sich vorfand; auch trug Herr Winsley nicht lange Bedenken, seinen Busen des gefährlichen Stoffes zu entladen.

»Die Ehre, Mylord, ist unerwartet; ich kann mir ihren Grund nicht erklären.«

»Nun, Herr Winsley, Ihre Freundschaft mit meinem verstorbenen Oheim kann vielleicht den Besuch seines Neffen, welcher aufrichtige Anhänglichkeit an dessen Andenken hegt, zur Genüge erklären und entschuldigen.«

»Hm! ich habe gewiß Alles, was in meiner Gewalt liegt, gethan, um Herrn Templetons Interesse zu befördern. Niemand, darf ich wohl sagen, hat mehr gethan, und dennoch, glaube ich, hat er nicht mehr viel daran gedacht, sobald er den Wählern von C*** den Rücken gekehrt hatte. Ich hege durchaus keinen Groll; ich befinde mich wohl und unabhängig, ich brauche Niemandes Gunst – in keiner Beziehung, Mylord.«

»Sie sehen mich in Erstaunen, ich hörte stets, daß mein Onkel in den Ausdrücken höchster Achtung von Ihnen redete.«

»So, so, daran ist aber nichts gelegen; bitte, sprechen Sie nicht mehr davon! Darf ich Euer Lordschaft ein Glas Wein anbieten«

»Nein, ich bin Ihnen sehr verbunden; lassen Sie uns aber diese kleine Angelegenheit in Ordnung bringen. Sie wissen, mein Onkel kam niemals wieder nah C***, seitdem er sich verheirathet hatte; kurz vor seinem Tode verkaufte er den größten Theil seines Eigenthums in dieser Stadt. Seine junge Frau war, wie ich glaube, gern in der Nähe von London; und wenn ältliche Männer heirathen, so sind sie, wie Sie dieß ja wissen, nicht länger ihre eigenen Herren. Wären Sie aber jemals nach Fulham gekommen, dann hätte sich mein Oheim sicherlich gefreut, seinen alten Freund wieder zu sehen.«

»Glauben Sie das, Mylord?« fragte Herr Winsley mit bitterem Lächeln. »Sie irren sich, ich besuchte ihn in Fulham und obgleich ich ihm meine Karte sandte, brachte mir Lord Vargrave's Diener (er war damals Mylord) die Nachricht zurück, Seine Lordschaft sei nicht zu Hause.«

»Das ist sicherlich der Fall gewesen, er war nicht zu Hause. Sie können sich darauf verlassen.«

»Ich sah ihn am Fenster stehen, Mylord,« sagte Winsley, indem er eine Prise Schnupftabak nahm.

(Ha, zum Henker, jetzt hab' ich's, dachte Lumley.) »Sehr sonderbar, wahrhaftig! wie können Sie sich das erklären? Ah, vielleicht die Gesundheit der Lady Vargrave – sie war damals so sehr zart, und mein armer Onkel lebte nur für sie – Sie wissen, daß er all sein Vermögen der Miß Cameron hinterlassen hat.«

»Miß Cameron! Wer ist die, Mylord?«

»Nun, seine Stieftochter; Lady Vargrave, war eine Wittwe, eine Frau Cameron.«

»Frau Cameron, ich erinnere mich jetzt; so stand es in den Zeitungen, aber ich glaubte, es sei ein Versehen; vielleicht jedoch,« fügte Winsley mit einem Lachen von besonderer Bosheit hinzu, »vielleicht wollte Ihr würdiger Onkel, als er daran dachte, ein Pair zu werden, nicht sehr gerne, daß die Leute erführen, er habe so tief unter seinem Stande geheirathet.«

»Sie irren sich, mein theurer Herr, mein Onkel läugnete nie, daß Frau Cameron eine Dame ohne Vermögen und Verbindungen war; die Wittwe eines armen schottischen Herrn, der, wie ich glaube, in Indien starb.«

»Er hinterließ sie in sehr schlechten Umständen; das arme Ding! Sie besaß aber sehr viel Verdienst und arbeitete stark; sie hat meine Mädchen das Clavierspielen gelehrt!«

»Ihre Mädchen? Ist denn Frau Cameron jemals in C*** gewesen?«

»Ja, damals aber hieß sie Frau Butler; ein hübscher Name, glaube ich.«

»Sie müssen sich irren; mein Onkel heirathete seine Gemahlin in Devonshire.«

»Wohl möglich.« sagte der Brauer verdrießlich. »Frau Butler verließ die Stadt mit ihrem kleinen Mädchen, kurz bevor Templeton sich verheirathete.«

»Sie sind weiser, wie ich,« sagte Lord Vargrave, indem er sich zum Lächeln zwang. »Wie können Sie aber so gewiß überzeugt sein, daß Frau Butler und Frau Cameron ein und dieselbe Person waren? Sie kamen nicht ins Haus. Sie können Lady Vargrave nicht gesehen haben.« (Hier errieth Lumley schlau genug, wenn die Geschichte überhaupt wahr sein mochte, die Ursache, weßhalb sein Oheim jenen alten Bekannten nicht angenommen habe.)

»Ich sah Mylady auf dem Rasenplatz spazieren gehen,« sagte Herr Winsley mit einem zweiten bitteren Lächeln; »und ich fragte den Portier, als ich fortging, ob das Lady Vargrave sei. Indeß Mylord, vorbei ist vorbei; ich hege keinen Groll; Ihr Onkel war ein guter Mann, und hätte er mir nur gesagt: ›Winsley, kein Wort über Frau Butler,‹ so hätte er auf mich ebenso rechnen können, als wenn er mir bei den Wahlen 5000 Pfund in die Hand drückte und sagte: ›Winsley, keine Bestechung, die ist gottlos, vertheilt dieß Geld als Almosen.‹ Wußte dann Jemand, wohin das Geld kam? Hat man Ihren Onkel jemals der Bestechung angeklagt?«

»Nein! Wenn Sie aber bei mir morgen speisen wollen, so werden Sie mich sehr verpflichten; was auch die Fehler meines Onkels gewesen sein mögen (und in der letzten Zeit war er kaum bei Verstande, der arme Mann, was für ein Testament hat er gemacht!) – lassen Sie den Neffen nicht für dieselben büßen. Kommen Sie, Herr Winsley!« und Lumley hielt seine Hand mit bezauberndem Freimuth hin; »Sie wissen, meine Beweggründe sind uneigennützig; ich habe keinen Parlamentseinfluß zu betreiben – wir haben keine Constituenten für unser Hospital der Unheilbaren; so ist's recht, jetzt sind wir Freunde; jetzt muß ich fort und nach den Häusern meines Mündels sehen. Der Name des Agenten ist – –«

»Perkins, glaube ich, Mylord,« sagte Herr Winsley, durch den Zauber von Lord Vargrave's Worte und Benehmen ganz besänftigt. »Ich will nur meinen Hut holen und Eure Lordschaft dann das Haus zeigen.«

»Sie sind sehr artig; erzählen Sie mir unterwegs die Neuigkeiten über die Wahl; Sie erinnern sich noch, beinahe wäre ich Parlamentsglied für Sie geworden.«

Vargrave erfuhr von seinem neuen Freunde einige andere Besonderheiten, das demüthige Leben und die einfache Lebensweise von Frau Butler in C***, Umstände, welche dazu dienten, ihm vollkommen zu erklären, weßhalb sein stolzer und weltlich gesinnter Onkels sich alles Verkehres mit jener Stadt enthalten und den Neffen verhindert hatte, als Candidat für den dortigen Parlamentssitz aufzutreten. Außerdem schien es, daß Winsley, dessen Aerger nicht sehr lebhaft und heftig war, seine Entdeckung den übrigen Einwohnern nicht mitgetheilt, sondern sich mit Winken und abgebrochenen Sätzen begnügt hatte, so oft der Gegenstand von Herrn Templetons Heirath verhandelt wurde; dadurch hatte er die Klatschbasen des Orts auf den Gedanken gebracht, er habe eine noch bei weitem schlimmere Wahl getroffen. Was die Genauigkeit der Angabe von Winsley betraf, so hegte Vargrave, obgleich zuerst überrascht, nur wenig Zweifel, besonders als er vernahm, daß Frau Butlers hauptsächliche Beschützerin Frau Leslie gewesen war, jetzt die vertrauteste Freundin der Lady Vargrave. Von welcher Art aber war die Laufbahn, der früheste Zustand und der Kampf dieses einfachen und interessanten Geschöpfes gewesen? Mit ihrem Erscheinen in C*** begann Alles, was die Muthmaßung nur erdenken konnte. Kein größeres Geheimniß umhüllte die Erscheinung des Manco-Capac am See Titicaca, als dasjenige, welches die Orte und Prüfungen verbarg, aus denen die arme Musiklehrerin in die Straßen von C*** gelangt war.

Der Vermuthungen müde, wandte Lord Vargrave, als er mit Herrn Winsley speiste, das Gespräch zum Geschäft, welches seine Reise eigentlich veranlaßt hatte, nämlich auf den beabsichtigten Ankauf von Lisle-Court.

»Ich selbst,« sagte Vargrave, »bin kein guter Richter über Grundeigenthum; ich wünschte, daß ein erfahrener Landmesser die Pachtungen und Wälder sich ansähe. Können Sie mir einen solchen empfehlen?«

Herr Winsley lächelte und blickte auf ein rothwangiges, junges Mädchen, welches verlegen aussah und sich fortwandte. »Ich glaube, meine Tochter könnte Ihnen einen empfehlen, wenn sie den Muth hätte.«

»O Papa!«

»Ich verstehe schon. Wohlan, Miß Winsley, ich will keine andere Empfehlung, als die Ihrige annehmen.«

Miß Winsley machte eine Anstrengung und sagte:

»Wirklich, Mylord, ich habe immer gehört, daß Herr Robert Hobbs für sehr geschickt in seinem Geschäft gilt.«

»Herr Robert Hobbs ist mein Mann; seine Gesundheit und eine schöne Frau für ihn!«

Miß Winsley blickte ihre Mama an, und dann ihre jüngere Schwester, und dann entstand ein Geflüster, dann einige Verlegenheit, und Herr Winsley, Lord Vargrave und der dünne Sekretär blieben allein.

»Wahrlich, Mylord,« sagte der Gastgeber, indem er sich wieder zurecht setzte und den Wein hinschob, »obgleich Sie unsere kleine Familienangelegenheit erriethen, und ich einiges Interesse an der Empfehlung habe, da Margarethe in wenig Wochen Frau Hobbs sein wird, so kenne ich doch keinen scharfsinnigeren und verständigeren jungen Mann. Er ist sehr achtbar und besitzt ein unabhängiges Vermögen; sein Vater ist vor Kurzem gestorben und hat wenigstens 30 000 Pfund im Handel erworben. Sein Bruder Eduard ist ebenfalls gestorben; somit besitzt er das ganze Vermögen, und er betreibt sein Geschäft nur noch zum Vergnügen. Er würde es als große Ehre betrachten –«

»Wo wohnt er?«

»Nicht in dieser Grafschaft, etwas entfernt, nahe bei ***; allein das Haus liegt auf dem Wege Eurer Lordschaft; dasselbe ist noch dazu recht hübsch. Ich habe seine Familie gekannt, seit ich ein Knabe war; es ist erstaunenswerth, wie sein Vater den Ort verschönert hat. Als er ihn kaufte, stand dort eine kleine Hütte aus Latten und Gyps, und jetzt ist es ein ausgezeichneter Familiensitz.«

»Wohlan, geben Sie mir die Adresse und einen Einführungsbrief; soviel für jetzt. Kehren wir jedoch zur Politik zurück.« Hierauf schwatzte Lord Vargrave mit so viel Beredsamkeit, bis Herr Winsley in ihm den einzigen Mann erkannte, welcher den Staat vor gänzlicher Vernichtung retten könne, deren Möglichkeit er früher nie geahnet hatte.

Hier mag auch noch hinzugefügt werden, daß Herr Winsley, als er Lord Vargrave gute Nacht wünschte, ihm ins Ohr flüsterte: »Ihr Freund, Lord Staunch, braucht keine Furcht zu hegen – es bleibt beim Alten.«


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