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Neuntes Buch.

Wehe! Wehe! Alles ist klar!

      Sophokles, Oed. König.

 

Erstes Kapitel.

Das Vorrecht, das der Staatsmann stets verlangt,
Der, wie er sagt, die eignen Interessen
Nie schaut, sobald er Andrer Glück beachtet.
– – – – – – – – – – – – – –
So hast du, wenn der Wind sich frisch gewendet,
Dein Schiff noch stets in andrem Lauf entsendet.

      Dryden.

 

Lord Vargrave war vierzehn Tage lang in dem Wirthshause in M*** geblieben; er war zu krank, um mit Sicherheit in einer so strengen Jahrszeit fortgebracht zu werden. Als er endlich in kleinen Stationen London erreicht hatte, bekam er einen Rückfall. Seine Wiederherstellung war nur langsam und allmählig. Bis dahin an Krankheit nicht gewöhnt, ertrug er seine Einsperrung nur mit höchstem Verdruß; er bestand darauf, gegen die Vorschrift seiner Aerzte, seine Amtsgeschäfte zu besorgen und mit seinen politischen Freunden in seinem Krankenzimmer zu berathen. Lumley wußte nämlich sehr wohl, wie verderblich es für Staatsmänner ist, wenn man glaubt, ihre Gesundheit sei im Abnehmen begriffen; ein Truthahn ist nicht gefühlloser gegen einen kranken Bruder, wie der Politiker gegen einen kranken Staatsmann; man gibt dann aus, des Betreffenden Kopf sei leidend und sieht Schwindsucht oder Epilepsie in jeder Rede und Depesche. Ohnedem machte die Nähe der Zeit, worin seine großen Entwürfe reifen sollten, seine Thätigkeit doppelt nothwendig und ließen ihn auf seiner Hut sein, daß er nicht mit der scheinbaren Entschuldigung gütigen Mitleids bei Seite geschoben werde.

Sobald er erfahren hatte, daß Legard Paris verlassen habe, hielt er sich für die nächste Zeit in dieser Hinsicht für sicher und überließ seine Gedanken ausschließlich seinen ehrgeizigen Entwürfen. Vielleicht auch glaubte Lumley wie Rousseau mit der leicht erregbaren Eitelkeit eines Mannes von mittleren Jahren, welcher seine bonnes fortunes bereits gehabt hatte, daß ein blasser und magerer, so eben vom Krankenbett aufgestandener Liebhaber, für die Freundschaft interessanter als anziehend für Liebe ist. Er und Rousseau haben sich, wie ich glaube, beide geirrt; doch das ist eine Sache der Meinung; sie beide dachten nicht sehr fein von Frauen, der Eine, weil er kein Gefühl, der Andere, weil er ein krankhaftes Gefühl besaß.

Zuletzt, als Lumley zur Genüge hergestellt war, um sein Haus zu verlassen, in seinem Ministerium zu erscheinen und dort zu erklären, daß seine Krankheit seine Körperconstitution auf wunderbare Weise verbessert habe, erhielt er Nachricht von Paris, die ihn um so mehr erschreckte, je weniger sie erwartet war. Von Maltravers selbst erhielt er die Bestätigung der Nachricht. Der letztere Brief war kurz, aber gütig und männlich. Er schrieb an Lord Vargrave als an den Vormund Eveline's, erwähnte leichthin die Bedenklichkeiten, die er gehegt hatte, bis Lord Vargrave's Bewerbung abgebrochen war; er empfand, der Gegenstand sei zu hart für einen Brief und sprach den Wunsch aus, mit Lumley wegen der Wünsche Evelinens über gewisse Anordnungen hinsichtlich ihres Vermögens zu verkehren.

Deßhalb also hatte Lumley sich abgearbeitet! Deßhalb hatte er Lisle-Court besucht! Deßhalb war er auf das Krankenlager geworfen worden! Er sollte also seinen alten Rival, wenn es ihm beliebte, zum Ankäufer seiner eigenen Familiengüter machen! Lumley dachte in jenem Augenblick weniger an Eveline, wie an Lisle-Court. Als er aus der Erstarrung und aus dem ersten Anfall von Wuth erwachte, worin er durch diese Briefe gerieth, fuhr ihm der Gedanke an die von Herrn Onslow gehörte Geschichte durch den Kopf. War sein Verdacht wahr, so befand er sich im Besitze eines trefflichen Geheimnisses. Er vermochte sich das Schicksal noch zu befreunden! Kein Augenblick war zu verlieren. So schwach und kränklich er auch war, bestellte er seinen Wagen und reiste eilig zu Frau Leslie.

In der Unterredung, welche stattfand, war er sehr besorgt, bei ihr nicht solche Beunruhigung zu erwecken, daß sie durchaus nichts sagen würde. Er leitete die Unterredung mit seiner gewöhnlichen vollendeten Gewandtheit; er schien gar nicht vorauszusetzen, daß irgend eine unerlaubte Verbindung zwischen Alice und dem angeblichen Butler stattgefunden habe. Er begann mit der einfachen Frage, ob Alice jemals im früheren Leben mit einer Person jenes Namens bekannt gewesen wäre und damals in der Nähe von *** gewohnt habe. Der Wechsel in den Zügen, das Starren der Ueberraschung bei Frau Leslie, erweckte bei ihm die Ueberzeugung, sein Verdacht sei wahr.

»Warum fragen Sie mich, Mylord?« sagte die alte Dame. »Haben Sie mir die Ehre Ihres Besuches, um Gewißheit über diesen Punkt zu erlangen, erwiesen?«

»Nicht gerade das, meine theure Madame,« erwiderte Lumley lächelnd; »ich hatte Geschäfte in C***, auch abgesehen davon, daß ich Eveline Nachricht von Ihrer Gesundheit geben wollte, wünsche ich sicherlich zu wissen, ob Lady Vargrave, vor der ich die vollkommenste Achtung hege, ihre Bekanntschaft mit besagtem Butler würde erneuen wollen.«

»Was weiß Eure Lordschaft von ihm? Wo ist er? wer ist er?«

»Meine verehrte Dame, Sie wenden das Blatt um, wie ich sehe; gegen eine Frage wollen Sie mir fünfzig vorlegen. In allem Ernst aber müssen Sie mir, bevor ich Ihnen eine Antwort gebe, auch erklären, ob Lady Vargrave einen Herrn dieses Namens kennt. Um Ihnen jedoch auch die Mühe zu ersparen, kann ich Sie zugleich benachrichtigen, daß ich sehr wohl weiß, wie sie unter diesem Namen in C*** wohnte, als mein armer Oheim ihre Bekanntschaft machte. Meine Frage betrifft allein den Umstand, ob Lady Vargrave noch den Wunsch hegt, jenen Herrn Butler zu sprechen, vorausgesetzt, er sei noch am Leben und ein Herr von Stand und Vermögen?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen,« erwiderte Frau Leslie, indem sie verlegen in ihren Lehnstuhl zurücksank.

»Schon gut; ich will die Sache nicht weiter in Anregung bringen. Es freut mich, Sie so gesund zu sehen – ein schöner Ort – schöne Bäume! Haben Sie etwas in C*** oder an Eveline zu bestellen?«

Und Lumley stand auf, um fortzugehen.

»Bleiben Sie,« sagte Frau Leslie, indem Sie sich an alle die schmerzliche, rastlose, unveränderte Liebe erinnerte, welche Lady Vargrave zu dem Verlorenen hegte, und zugleich sehr wohl empfand, sie dürfe für kleine Bedenklichkeiten nicht das zukünftige Lebensglück ihrer Freundin aufopfern. »Bleiben Sie. Wie ich glaube, sollten Sie diese Frage der Lady Vargrave vorlegen, oder soll ich das?«

»Wie Sie wollen. Vielleicht ist es am besten, daß ich ihr schreibe.« Vargrave eilte hinweg.

Er war zufrieden, mußte aber eine andere Person aus Gründen zufrieden stellen, die er selbst am besten kannte, ohne daß er eine dritte Person mit Lady Vargrave in Verbindung brachte. Als er deßhalb in C*** anlangte, schrieb er an Lady Vargrave folgende Zeilen:

»Werthe Freundin! Halten Sie mich nicht für impertinent oder zudringlich – auch wissen Sie zu gut, daß ich dieß nicht bin. Ein Herr mit dem Namen Butler, ist sehr begierig, zu er fahren, ob Sie einst in einer kleinen Hütte »Landhaus«. Anm.d.Hrsg., genannt Dove oder Dale oder Dell Cottage wohnten – und ob Sie einer Person seines Namens gedenken? Wünschen Sie, daß auf diese Frage Antwort ertheilt wird, so senden Sie mir ein kleines Billet nach London, welches ich auf meiner Durchreise nach Paris empfangen werde.

Ihr aufrichtiger

Vargrave.

Sobald er diesen Brief geschrieben und abgesandt hatte, schrieb er Folgendes an Herrn Winsley:

»Werther Herr! Ich bin so krank, daß ich weder Sie, noch Jemand sonst besuchen kann, wie angenehm es mir auch sein würde, Sie zu sprechen (angenehme Gesellschafter sind um so aufregender!). Ich hoffe jedoch, unsere persönliche Bekanntschaft, bevor ich C*** verlasse, zu erneuen. Mittlerweile werden Sie mich durch ein Billet verbinden, durch dessen Angabe ich im Stande sein werde, zu beweisen, daß Lady Vargrave einst in dieser Stadt als Frau Butler wohnte, kurz bevor sie sich mit meinem Oheim in Devonshire unter dem Namen Cameron vermählte. Hatte sie auch damals nicht ein kleines Mädchen, einen Schützling oder wenigstens ein Kind, welches nothwendig meines Oheims Erbin, Miß Cameron, sein muß? Der Grund, weßhalb ich Sie um diese Mittheilung bitte, ist offenbar. Als Vormund der Miß Cameron habe ich gewisse Anordnungen, die mit dem Testament meines Oheims in Verbindung stehen, zu treffen. Außerdem ist auch einiges Vermögen von dem verstorbenen Herrn Butler hinterlassen worden, und es könnte vielleicht nothwendig sein, dessen Identität zu beweisen.

Ihr ergebener

Vargrave

Auf letzteren Brief kam folgende Antwort:

»Mylord! Es thut mir sehr leid, das Unwohlsein Ihrer Lordschaft zu vernehmen. Morgen werde ich meine Aufwartung machen. Sicherlich kann ich einen Eid darauf ablegen, daß die gegenwärtige Lady Vargrave Frau Butler in C*** hieß und dort Musikunterricht gab. Da das Kind von demselben Geschlecht und ungefähr in demselben Alter wie Miß Cameron war, so kann sich nach meiner Meinung keine Schwierigkeit darbieten, um den Beweis zu liefern, daß jene junge Dame und das Kind der Lady Vargrave von ihrem ersten Gatten ein und dieselbe Person ist. Hierüber jedoch kann ich nichts Bestimmtes Ihnen mittheilen.

Ich habe die Ehre u. s. w.«

Am nächsten Morgen entsandte Vargrave ein Billet an Herrn Winsley, worin er denselben benachrichtigte, seine Gesundheit erheische sogleich seine Rückkehr nach London, wohin er auch wirklich sogleich abfuhr. Am Tage nach seiner Ankunft erhielt er folgenden Brief, der mit eiliger Hand geschrieben, in sonderbarer Weise zerknittert und – vielleicht mit Thränen – befleckt war:

»Um des Himmels willen, sagen Sie mir, auf was Sie anspielen. Ja, ich wohnte einst in Dale Cottage; ich kannte einen Mann mit Namen Butler. Hat er den Namen, den ich führe, entdeckt? Wo ist er? ich bitte Sie, mir zu schreiben oder zu mir zu kommen, bevor Sie England verlassen.

Alice Vargrave.«

Lumley lächelte triumphirend, als er den Brief sorgfältig zusammenlegte. »Ich muß sie aufhalten und bei Seite schaffen – wenigstens für jetzt.«

Als Antwort auf Lady Vargrave's Brief schrieb er ein paar Zeilen: Er habe nur von einer dritten Person (einem Advokaten) von einem Herrn Butler gehört, der irgendwo außer Landes sich aufhalte; jener wünsche, daß man diese Untersuchungen anstellen möge. Er glaube, die Sache beziehe sich nur auf Anordnungen hinsichtlich eines Vermögens; ein Herr Butler, welcher die Nachforschung anstelle, sei vielleicht der Erbe des von ihr gekannten Herrn Butlers. Lady Vargrave könne jetzt sonst nichts erfahren, als daß der Inhalt ihrer Antwort in's Ausland gesandt würde. Der Advokat könne oder dürfe nicht mehr sagen. Sobald er weitere Mittheilung erhalte, werde er ihr dieselbe zustellen; er sei mit wahrer Zuneigung der Ihrige.

Den übrigen Theil des Morgens widmete Lord Vargrave Lord Saxingham und seinen Verbündeten; indem er erklärte und auch glaubte, er werde von London nicht lange entfernt sein, hielt er ziemlich früh sein Mittagessen und war wieder im Begriff, sich dem Wagniß der Reise zu unterziehen, als Herr Douce, im Augenblick, wo er durch den Flur ging, hastig auf ihn zukam.

»Mylord, ich muß ein Wort mit Eurer Lo-Lo-Lordschaft re-re-reden. Sie wollen reisen – das heißt, Sie wollen abfahren (der kleine Mann sah erschrocken aus). Sie beabsichtigen na-na–«

»Nicht Ihnen durchzugehen, Herr Douce, kommen Sie in meine Bibliothek; ich habe große Eile, aber immer Zeit für Sie. Wie geht's?«

»Nun denn, Mylord. – I-I-Ich habe nichts mehr von Eure Lordschaft über den Kau-Kau-Kau–«

»Freilich, über den Kauf. Ich reise nach Paris, um alle Einzelnheiten darüber in Ordnung zu bringen; sagen Sie das den Advokaten.«

»Dü-dü-dürfen wir das Geld erheben, um zu zeigen, daß wir Ernst machen … sonst besorge ich – beargwohne ich – ich meine, Oberst Maltravers tritt zurück.«

»Nein, Herr Douce, darüber muß ich zuerst mit meinem Mündel sprechen; in zwei oder drei Tagen werden Sie von mir hören und von den zehntausend Pfund, die ich Ihnen schulde.«

»Ja, ja! die ze-ze-zehntausend Pfund. Mein Compagnon ist sehr –«

»Sicherlich sehr besorgt. Machen Sie ihm meine Empfehlung. Gott beschütze Sie! Tragen Sie Sorgfalt für Ihre Gesundheit. Ich muß fort, um mein Gepäck in Sicherheit zu bringen.« Vargrave eilte hinweg, indem er vor sich hin murmelte: »Der Himmel schickt Geld und der Teufel die Mahner!«

Douce schnappte wie ein Fisch nach Athem; als seine Blicke den schnellen Schritten Vargrave's folgten, lag der Groll getäuschter Hoffnung in seinen kleinen Zügen. Lumley saß mittlerweile, von seinem Mantel umhüllt, im Wagen und hatte das Dasein seines Gläubigers vergessen. Als er seinen Kopf aus dem Wagenfenster beugte, flüsterte er seinem aristokrakischen Sekretär zu:

»Ich habe Lord Saxingham gebeten, Sie nach Paris zu senden, wenn die geringste Nothwendigkeit meiner Anwesenheit in London vorhanden ist. Ich habe Sie zurückgelassen, Howard, weil Ihre Schwester bei Hof und Ihr Vetter bei dem ausgezeichneten Premierminister ist. Somit werden Sie jeden Wechsel im Wind merken können – Sie verstehen mich – Ich sage Ihnen, Howard, glauben Sie nicht, daß ich Ihre Güte vergesse! Sie wissen, noch Niemand hat mir vergeblich gedient! – Oh, da steht der schreckliche Herr Douce hinter Ihnen. Sagen Sie dem Kutscher, schnell weiter zu fahren.«


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