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Viertes Kapitel.

Gegen Ende der Woche erhielten wir eine Karte
von den Damen aus der Stadt.

     Landprediger von Wakefield.

 

Der Pfarrer war abgereist und der Unterricht eingestellt; im Uebrigen folgte ein Tag dem andern in Brook-Green; der eine war dem andern so ähnlich, als Regen und Sonnenschein es eben erlaubten; eines Morgens aber kam Frau Leslie mit einem Brief in der Hand zu Lady Vargrave, die gerade Blumen in einem kleinen Gewächshause begoß, welches sie zum Landhause hinzugefügt hatte. Sie hatte dasselbe aus verschiedenen Beweggründen als abgelegene Wohnung mit der üppigen, von ihrem Gatten ererbten Villa vertauscht.

Den Blumen – den entzückenden Kindern der Natur, an denen unser Alter dasselbe ruhige Vergnügen wie unsere Jugend empfinden kann – weihte Lady Vargrave einen großen Theil ihrer einförmigen und nie unterbrochenen Beschäftigung; sie schien dieselben beinahe wie lebendige Wesen zu lieben; ihre Erinnerung verknüpfte sie mit so glänzenden Stunden, wie die Blumen selbst.

»Liebe Freundin,« sprach Frau Leslie, »ich habe Neuigkeiten für Sie. Meine Tochter, welche in Cornwall ihre Schwiegermutter besucht hat, schreibt mir, daß sie auf ihrer Rückkehr zur Pfarrei in V–shire bei uns einsprechen wird. Sie wird Sie nicht besonders stören,« fügte Frau Leslie lächelnd hinzu, »denn Herr Merton begleitet sie nicht; sie bringt allein ihre Tochter Caroline mit, ein lebhaftes, hübsches, verständiges Mädchen, das über Eveline entzückt sein wird. Für Sie wird die einzige Ursache zum Bedauern darin liegen, daß meine Tochter meinen Besuch beendigen und mich mitnehmen wird. Können Sie ihr dieß vergessen, so werden Sie ihr nichts zu verzeihen haben.«

Lady Vargrave erwiderte mit ihrer gewöhnlichen einfachen Güte; sie war aber offenbar besorgt über den Besuch einer Fremden (denn sie hatte Frau Merton noch nicht gesehen) und noch mehr bei dem Gedanken betrübt, Frau Leslie eine oder zwei Wochen früher, wie sie vermuthet hatte, zu verlieren. Indeß Frau Leslie beruhigte sie schnell, Frau Merton war so ruhig und gutmüthig, die Frau eines Landgeistlichen von einfachen Gewohnheiten; und dann auch könne Frau Leslie's Besuch ja eben so lange dauern, wenn Lady Vargrave zufrieden sein würde, ihre Gastfreundschaft auf Frau Merton und Caroline auszudehnen.

Als der Besuch Eveline angekündigt wurde, war ihr junges Herz allein für Vergnügen und Neugier empfänglich. Sie besaß keine Freundin ihres Alters; auch war sie fest überzeugt, daß sie die Enkelin ihrer theuern Frau Leslie lieben würde.

Eveline, welche bei Zeiten von der liebevollen Emsigkeit ihrer Natur die Sorgfalt erlernt hatte, ihrer Mutter die wenigen häuslichen Sorgen abzunehmen, die eine so ruhige Wohnung mit einer so regelmäßigen Haushaltung darbieten konnte, war heiter geschäftig bei den tausend kleinen Vorbereitungen. Sie füllte die Zimmer der Besuchenden mit Blumen, ohne Besorgniß, daß Jemand diese für ungesund halten könnte, legte auf die Tische ihre eigenen Lieblingsbücher, ließ ihr kleines Pianoforte aus ihrem eigenen Zimmer auf das Carolinens bringen, denn Caroline liebte gewiß sehr die Musik; sie bedachte sich auch, ob sie einen Käfig mit zwei Kanarienvögeln ebenfalls in Caroline's Zimmer bringen sollte; als sie demselben aber mit dieser Absicht näher trat, zwitscherten die Vögel so munter, schienen so vergnügt, sie zu sehen und Zucker zu erwarten, daß ihr Herz über die beabsichtigte Aufgebung und Undankbarkeit ihr Vorwürfe machte. Nein, sie konnte die Kanarienvögel nicht fortgeben; aber die Glaskugeln mit den Goldfischen – diese würden sich eben so schön gerade beim Fenster ausnehmen, und die dummen Fische würden sie nicht vermissen.

Der Morgen, der Mittag, die wahrscheinliche Stunde der wichtigen Ankunft nahte endlich; Eveline, nachdem sie dreimal in der letzten halben Stunde das Zimmer besucht, und die in der früheren Anordnung hergerichteten Dinge aufgestellt und wieder fortgenommen und dann wieder aufgestellt hatte, begab sich auf ihr Zimmer, um ihre Garderobe und Margarethe um Rath zu fragen, letztere früher ihre Amme, jetzt ihre Kammerjungfer. Ach, die Garderobe der einstigen Lady Vargrave, der Verlobten eines emporkommenden Staatsmannes, der Erbin des reichen Templeton, war von solcher Art, daß die Tochter manches Gewerbtreibenden sie verachtet haben würde. Eveline machte so wenig Besuche; der Geistliche des Ortes und zwei alte Jungfern, die auf hohem Fuße von 180 Pfd. jährlich in einem Landhaus, mit einer Magd, zwei Katzen und einem Ausläufer lebten, begrenzten den Kreis ihrer Bekanntschaft. Ihre Mutter kümmerte sich so wenig um ihre Kleidung, sie selbst hatte so viel andere Gelegenheit, Geld auszugeben! Eveline war auch nachdenklicher wie andere ihres Alters; sie wandte sich von einem Musselin zum Andern, von dem bunten zum weißen, vom weißen zum bunten mit lieblicher Aengstlichkeit und kummervollem Zweifel. Zuletzt entschied sie sich für den neuesten, und als er angelegt und die einzige Rose in dem üppigen und schönen Haar angebracht war, hätte Caron selbst keinen Reiz hinzufügen können. Glückliches Alter! Wer bedarf der Künste der Putzmacherin bei siebzehn Jahren?

»Hier ist das schöne Halsband, das Lord Vargrave brachte, als Mylord zuletzt hieher kam, es wird so prächtig aussehen.«

Die Smaragden glänzten im Kästchen; während sie hinblickte, fuhr ein Schatten über ihre Stirne, sie seufzte und schloß das Augenlid.

»Nein, Margarethe, ich will es nicht, nimm es fort.«

»O Gott, Miß! was wird Mylord sagen, wenn er wieder hieher kömmt? Die Steine sind so schön! Sie werden so schön aussehen! Wie sie funkeln! Sie werden aber noch schönere tragen, wenn sie Mylady sind!«

»Ich höre meine Mutter schellen; geh, Margarethe, sie braucht dich.«

Alleingelassen versank die junge Schönheit in Zerstreuung, und obgleich der Spiegel ihr gegenüberstand, hielt er ihr Auge nicht auf; sie vergaß ihre Garderobe, ihr Musselinkleid, ihre Besorgniß und ihre Gäste.

»Ach,« dachte sie, »wie große Furcht empfinde ich hier, wenn ich an Lord Vargrave und diese verhängnißvolle Bestimmung denke; dieß fühle ich jeden Tag mehr und mehr. Nie werde ich meine theure Mutter, unser theures Haus verlassen können; ich konnte ihn wohl leiden, als ich noch ein Kind war, jetzt schaudere ich bei seinem Namen. Und doch, warum eigentlich? Er ist gütig, er läßt sich herab, zu suchen, mir zu gefallen. Es war der Wunsch meines armen Vaters, ach, er war mir wirklich ein Vater; und dennoch, o hätte er mich nur arm und frei gelassen!« Bei diesem Theile des Nachdenken von Eveline vernahm man den ungewöhnlichen Schall von Rädern auf dem Kiese; sie fuhr auf, wischte die Thränen aus den Augen und eilte die Treppe hinab, um die erwarteten Gäste zu bewillkommnen.


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