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Sechstes Kapitel.

Ich will sie Ihnen schildern, bleiben Sie –
   sie ist es – Lelia.

      Der Capitän.

 

Maltravers war nicht in das System falscher Philosophie durch mürrische und krankhafte Träume, aus absichtlicher Selbsttäuschung, gekommen; im Gegentheil, seine Irrthümer beruhten auf seinen Ueberzeugungen – sobald die Ueberzeugung gestört wurde, wurden auch seine Irrthümer stark erschüttert.

Wenn jedoch sein Geist sich rastlos zu den Pflichten des thätigen Lebens zurückwandte, wenn er sich die Plackereien und Arbeiten des politischen Kampfes, oder die aufreibenden Mühen der Literatur mit ihren kleinen Anfeindungen, ihrer falschen Freundschaft und ihren mageren, launischen Belohnungen ins Gedächtniß zurückrief – dann versank er in Zaghaftigkeit über seine Einsamkeit zu Haus! Keine Lippen, um die Niedergeschlagenheit zu trösten, kein Herz, um im Triumphe Mitgefühl zu hegen, keine Liebe zu Haus, um dem Haß außerhalb desselben ein Gegengewicht zu bieten! Und den besten Theil des Menschen, seine häuslichen Neigungen, mußte er »er« ergänzt. Anm.d.Hrsg. dem Verwelken oder der Verschwendung an ideale Bilder oder melancholische Erinnerung überlassen!

Man kann, einer allgemeinen Ansicht entgegen, annehmen, daß die in ihrem Hause glücklichsten Männer außerhalb desselben die thätigsten sind. Die animalischen Lebensgeister sind nothwendig für gesunde Thätigkeit; Niedergeschlagenheit und Gefühl der Einsamkeit wird auch die kräftigsten Männer zu Träumern machen; der Eremit ist der Antipode des thätigen Bürgers; keine Götter beleben und begeistern uns so wie die Laren.

Eines Abends saß Maltravers, nachdem er ungefähr vierzehn Tage lang auf einem Landhause de Montaigne's in der Nähe von St. Cloud gewesen war, als ein großer Liebhaber der Musik, ob er gleich diese Kunst nicht länger übte, in der Loge der Frau von Ventadour in der italienischen Oper, und Valerie, welche über weibliche Eifersucht, hinsichtlich der Schönheit, erhaben war, sprach mit großer Wärme über die Reize einer jungen, englischen Dame, die sie am vergangenen Abend bei Lady G– getroffen hatte.

»Sie ist mein Ideal der wahren englischen Schönheit,« sagte Valerie; »es ist nicht allein die ausgesuchte Schönheit der Gesichtsfarbe und die so rein blauen Augen, deren dunkle Wimpern jene den hellen Augen der Schotten und Deutschen so gewöhnliche Kälte entfernen, welche bei ihr die nationale Schönheit bietet, sondern die Einfachheit des Wesens, die Bewußtlosigkeit der Bewunderung, das Gemisch von Bescheidenheit und Verstand im Ausdruck. Ich habe zwar schönere Frauen, aber niemals eine liebenswürdigere gesehen; Sie schweigen? Ich erwartete einen Ausbruch des Patriotismus zum Dank für das Compliment, welches ich Ihrer Landsmännin ertheilte.«

»Aber ich bin in diese wunderbare Pasta so versunken – –«

»Das ist nicht der Fall; Ihre Gedanken sind abwesend. Können Sie mir etwas über die schöne Fremde und ihre Verwandte sagen? Erstens ist dort ein Lord Doltimore, den ich früher kannte – von dem brauchen Sie mir nichts zu sagen; zweitens dessen junge Gemahlin – hübsch mit dunklem Haar – Sie befinden sich nicht wohl?«

»Es war nur die Zugluft; fahren Sie fort, ich ersuche Sie – der Name der jungen Dame, Ihrer Freundin?«

»An den Namen erinnere ich mich nicht; sie war aber mit einem Ihrer Staatsmänner, Lord Vargrave, verlobt – die Verlobung ist abgebrochen – ich weiß nicht, ob das die Ursache einer gewissen Melancholie in ihrem Antlitz ist – einer Melancholie, die ihrem hebegleichen Ausdruck sicherlich nicht natürlich ist. Wer aber ist in die gegenüberliegende Loge gekommen? Ah, Herr Maltravers, sehen Sie, dort ist die schöne Engländerin!«

Maltravers erhob seine Augen und sah wieder das schöne Antlitz der Eveline Cameron.


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