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Viertes Kapitel.

Sprich mir kein Mitleid aus und leihe nur
Ein ernst Gehör der Kunde, die ich gebe.

      Hamlet.

Brief von Ernst Maltravers
an Eveline Cameron.

»Eveline!

Alles, was Sie von Treulosigkeit und Wortbrüchigkeit gelesen haben, wird Ihnen unbedeutend scheinen, verglichen mit dem Betragen, welches von mir zu erfahren Ihr Geschick ist. Wir müssen uns trennen und auf immer. Wir sahen einander zum letzten Mal; es ist nutzlos, nach der Ursache zu fragen; glauben Sie, daß ich leichtsinnig, falsch und herzlos bin, daß eine Laune mich verändert hat, wenn Sie wollen. Mein Entschluß ist unveränderlich. Wir sehen uns niemals wieder, selbst nicht als Freunde. Ich bitte Sie nicht, mich zu vergessen oder meiner nicht zu gedenken; betrachten Sie mich als einen Mann, der sogar Ihres Zornes unwürdig ist. Glauben Sie nicht, daß ich dieses im Wahnsinn, oder im Fieber, oder in Aufregung schreibe. Verurtheilen Sie mich nicht nach meiner scheinbaren Krankheit von heute Morgen. Ich erfinde keine Entschuldigung, keine Milderung meiner gebrochenen Treue und meiner verletzten Gelübde. Ruhig, kalt und mit Ueberlegung schreibe ich dieses; indem ich dieses schreibe, verzichte ich auf Ihre Liebe. Diese Sprache ist leichtfertige Grausamkeit – eine teuflische Beleidigung, nicht wahr, Eveline? Bin ich nicht ein Schurke, sind Sie dem Himmel nicht dankbar, daß Sie mir entgingen? Blicken Sie nicht auf die Vergangenheit mit einem Schauder über den Abgrund, an welchem Sie standen?

Ich bin mit diesem Gegenstand fertig und wende mich zu einem andern. Wir sind geschieden, Eveline, und auf immer. Glauben Sie nicht, ich wiederhole dieß, daß ein Irrthum, eine sonderbare Bethörung auf meiner Seele ruht, daß eine Möglichkeit vorhanden ist, den Urtheilsspruch zu vernichten. Leichter wäre es, die Todten aus ihrem Grabe zu rufen, als uns so wieder zusammenzubringen, wie wir waren und zu sein hofften.

Jetzt, da Sie hinsichtlich dieser Wahrheit überzeugt sind, so erfahren Sie, so bald Sie sich von der ersten Erschütterung dieser Kunde erholt haben, wie viel Ruchlosigkeit auf der Erde sich vorfindet – lernen Sie sich zur Zukunft zu wenden, um glücklichere und passendere Bande aufzufinden, als die, welche Sie mit mir hätten bilden können. Sie sind noch sehr jung; in der Jugend sind unsere ersten Eindrücke lebhaft, aber sie verschwinden leicht; Sie werden sich später wundern, daß Sie sich einbildeten, mich zu lieben. Ein anderes und schöneres Bild wird das meinige ersetzen; dieß wünsche und erflehe ich. So bald ich erfahre, daß Sie einen Andern lieben, einen Andern geheirathet haben, so werde ich wieder in der Welt erscheinen – bis dahin bin ich ein Wanderer und Verbannter. Ihre Hand allein vermag von meiner Stirn das Brandmal des Kain zu vertilgen!

Wenn ich abgereist bin, wird Lord Vargrave wahrscheinlich seine Bewerbung erneuern; mir wäre es lieber, Sie heiratheten einen Mann Ihres eigenen Alters, einen Mann, den Sie zärtlich lieben könnten, welcher die Erinnerung des Elenden, der Sie jetzt verläßt, verscheuchen würde. Vielleicht habe ich mich aber in Lord Vargrave's Charakter geirrt; vielleicht ist er Ihrer würdiger, als ich glaubte (wie darf ich als der Tadler Anderer auftreten?); vielleicht gewinnt und verdient er Ihre Neigung.

Eveline, leben Sie wohl! Gott, welcher den Wind dem geschorenen Lamme zumißt »sänftigt, mildert«. Anm.d.Hrsg., wird über Sie wachen.

Ernst Maltravers.«


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