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Neuntes Kapitel.

Uns haben Götter nicht erkoren
   Zu wissen der Zukunft Kunden.
Sie lachen, wenn erschreckt die Thoren
   Ueber das, was Schurken erfunden.

     Gedley.

 

Am nächsten Tage kehrte Caroline zur Pfarrei im Wagen der Lady Raby zurück. Herr Merton hatte die hauptsächlichsten Personen in der Nachbarschaft zur Gesellschaft für einen so ausgezeichneten Gast eingeladen, und Lord Vargrave, im Bestreben, vor Eveline zu glänzen, entzückte Alle durch Leutseligkeit und Witz. Er glaubte, Eveline scheine blaß und übler Laune; unablässig weihte er ihr den ganzen Abend. Ihr gereifter Verstand war jetzt mehr wie früher geeignet, seine Fähigkeit zu durchschauen; in ihren Gedanken verglich sie sein Gespräch mit dem von Maltravers und der Vergleich fiel nicht zum Vortheil des Ersteren aus. In Lord Vargrave's fließender Leichtigkeit war viel Amüsantes, aber Nichts, was Interesse erweckte. Als er gefühlvoll zu sein versuchte, war seine Ader hart und hohl; er war allein in Dingen der großen Welt zu Hause. Carolinens Laune war wie gewöhnlich in Gesellschaft munter; aber ihr Lachen schien erzwungen und ihr Auge abwesend.

Am nächsten Tage ging Lord Vargrave nach dem Frühstück allein nach Burleigh; als er durch das Gebüsch kam, welches den Park begrenzte, sprang ein großer persischer Windhund laut bellend auf ihn zu; als er seine Augen erhob, erblickte er die Gestalt eines Mannes, welcher langsam auf dem Pfade im Walde spazieren ging. Er erkannte Maltravers. Beide hatten sich nicht mehr gesehen seit ihrer letzten Begegnung vor Florence's Tode; Gewissensangst fuhr durch das kalte Herz des Intriguanten. – Jahre waren vorübergerollt; er erinnerte sich des jungen, großmüthigen, glühenden Mannes, den er einst seinen Freund nannte, ehe der Charakter oder die Laufbahn Beider sich entwickelte. Er gedachte ihrer wilden Abenteuer und munteren Thorheiten in fernen Ländern, worin sie einst fest zusammenhingen; – der bartlose Knabe, dessen Herz und Börse ihm stets offen standen, für dessen Jugendirrthümer und unerfahrne Leidenschaft er, der Aeltere und Weisere, der Führer und Versucher gewesen war – dieser stand vor ihm im Gegensatz zu der ernsten und melancholischen Gestalt des getäuschten und einsamen Mannes, dessen stolze Laufbahn zu durchkreuzen er mitgewirkt hatte, – dessen Herz seine Entwürfe vor der Zeit verbitterten, dessen beste Jahre in der Verbannung verbracht waren – einem Opfer dem Grabe »als ein Opfer für das Grab« Anm.d.Hrsg., welches selbstsüchtige und ehrlose Schurkerei gegraben hatte! – Cesarini, der Bewohner eines Tollhauses – Florence in ihrem Leichentuch – dieß waren die Gesichte, welche der Anblick des Maltravers bei ihm herauf beschwor. Der Seele, welche beim ungewohnten und augenblicklichen Gewissensbiß erwachte, flüsterte eine ahnende Stimme zu: »Und glaubst du, daß deine Entwürfe gelingen, deine Bestrebungen Erfolg haben?« – Vielleicht zum erstenmale in seinem Leben empfand der kalte Vargrave das Geheimniß der Ahnung und des Bösen.

Die beiden Männer begegneten sich; mit einer Regung, welche die eines ehrlichen und wirklichen Gefühles zu sein schien, streckte Lumley schweigend seine Hand aus und wandte zur Hälfte seinen Kopf weg.

»Lord Vargrave,« sagte Maltravers mit gleicher Aufregung. »Es ist lange Zeit, daß wir uns nicht begegneten.«

»Lang, sehr lange,« erwiderte Lumley, indem er sich stark anstrengte, seine Selbstbeherrschung wieder zu erlangen: »die Jahre haben uns Beide verändert, doch hoffe ich, haben sie eine Erinnerung unserer alten Freundschaft zurückgelassen, wie es bei mir der Fall ist.«

Maltravers schwieg. Lord Vargrave fuhr fort: »Sie antworteten mir nicht. Maltravers! Kann politischer Streit, entgegen gesetzte Bestrebung oder der bloße Verlauf der Zeit schon allein genügen, einen unausfüllbaren Abgrund zwischen uns zu eröffnen? Können wir nicht wiederum Freunde sein?«

»Freunde?« sagte Maltravers. »In unserem Alter wird das Wort nicht so leicht hingeworfen; ein solches Band wird nicht so unbedacht gebildet, wie damals, als wir noch jung waren.«

»Läßt sich das alte Band nicht erneuen?«

»Unsere Lebenswege sind verschieden. Wollte ich Ihre Beweggründe und Ihre Laufbahn mit dem forschenden Auge der Freundschaft erforschen, so würde uns dieß nur um so mehr trennen. Ich bin erkrankt an dem Gaukelspiel des Ehrgeizes; ich hege kein Mitgefühl für Leute, welche in eine Flasche hineinkriechen, oder entblöste Schwerter verschlingen.«

»Verachten Sie das Schauspiel, so lassen Sie uns zusammen darüber lachen; ich bin Cyniker, wie Sie.«

»Ach,« sprach Maltravers halb betrübt, halb bitter lächelnd. »Sie gehören doch nicht zu den Betrügern?«

»Wer vermag besser über die eleusinischen Geheimnisse zu urtheilen, als einer der Eingeweihten? Um jedoch ernstlich zu reden: weßhalb soll politischer Streit Privatfreundschaft trennen? Dem Himmel sei Dank! dieß war nie mein Grundsatz.«

»Sind die Meinungsverschiedenheiten das Resultat ehrlicher Ueberzeugung von beiden Seiten, – gewiß nicht! – Sind Sie aber ehrlich, Lumley?«

»Wahrlich! Ich habe die Gewohnheit, dieß zu glauben angenommen, und Gewohnheit ist eine zweite Natur. Indeß wir treffen uns vielleicht noch auf dem Kampfplatz, und somit, darf ich meine schwachen Seiten nicht verrathen. Wie kömmt es, Maltravers, daß man Sie so wenig in der Pfarrei sieht? Sie sind dort äußerst beliebt. Haben Sie eine Pfründe zu vergeben, die Herr Merton gern für sich haben möchte? Sie schütteln den Kopf. Was halten Sie von Miß Cameron, meiner Beabsichtigten?«

»Sie sprechen leichthin; Sie mögen vielleicht –«

»Tief fühlen, wollten Sie sagen. – Allerdings! Mit der Hand meines Mündels Eveline Cameron hoffe ich dasjenige zu erlangen, was mir bisher fehlte: häusliches Glück und den für meine Laufbahn nothwendigen Reichthum.«

Lord Vargrave fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Obgleich mein Beruf mich viel von ihr getrennt hat, so hege ich doch keinen Zweifel an ihrer Neigung, und ich darf hinzufügen, an ihrem Ehrgefühl. Sie allein kann mir wieder ausgleichen, was sonst Ungerechtigkeit an Richtig müsste es heißen: »von«. Anm.d.Hrsg meinem Oheim gewesen wäre.« Er setzte hierauf seine Rede fort, indem er die moralischen Verpflichtungen wiederholte, die der verstorbene Lord Evelinen auferlegt hatte, Verpflichtungen, die er noch sehr vergrößerte. Maltravers hörte aufmerksam zu und sprach wenig.

»Betrachtet man diese Verpflichtungen gehörig,« fügte Vargrave lächelnd hinzu; »so könnten die Nebenbuhler, wenn ich dergleichen wirklich besäße, es kaum mit ihrer Ehre vereinbaren, das bestehende Verlöbniß zu hintertreiben.«

»Allerdings nicht, so lange das Verlöbniß vorhanden ist,« erwiderte Maltravers, »bis der eine oder andere Theil es zu erfüllen ablehnt, so daß beide frei werden. Ich hoffe jedoch, dieß wird eine Ehe werden, worin man Alles, nur nicht die Liebe vergißt. Eine Verbindung durch die Ehre allein wäre nur ein hartes Band.«

»Sicherlich,« sprach Vargrave, und gleichsam zufrieden mit dem, was vorgegangen war, wechselte er das Gespräch, rühmte Burleigh, sprach von Grafschaftsangelegenheiten, nahm seine gewöhnliche Heiterkeit wieder an, versprach bald einmal vorzusprechen und nahm zuletzt Abschied.

Maltravers setzte seinen einsamen Spaziergang fort und sein Selbstgespräch war finster und forschend. »So!« dachte er, »dieser Preis ist für Vargrave zurückbehalten. Warum sollte ich glauben, er sei unwerth des Schatzes? Ist er nicht vielleicht jedenfalls desselben würdiger, als mein verbittertes Temperament, mein irrendes Herz? Ist er aber auch Ihrer Liebe gewiß? Weßhalb die Eifersucht? Weßhalb wird die Quelle in meinem Innern nie erschöpft? Weßhalb habe ich noch während so mancher Scenen und Leiden die eitle Thorheit meiner Jugend bewahrt, die überall hin mir folgende Empfänglichkeit für Liebe?«


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