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Zweites Kapitel

Hin zur Erde zieht es dich jetzt mit
   drückender Trauer.

     Horaz.

 

Weßhalb haschest du so nach des Traumes
   Gebilden? Du findest
Nimmer sie vor.

      Ovid.

 

Maltravers in seinen Schmerzen floh nicht in ein Land, welches für majestätischen Gram oder sanfte Schwermuth geeignet ist; nicht zu den Gletschern und blauen Seen der schönen Schweiz, der Mutter so mancher Verbannten, nicht zu dem schöneren Lande und dem sanfteren Himmel des lieblichen Italiens. Einst war er auf seinen Wanderungen zufällig durch eine Gegend gekommen, die einen so finsteren und öden Anblick bot, daß ein gewaltiger und unauslöschlicher Eindruck in seiner Seele zurückblieb. Dieses waren jene Sümpfe und Moraste, die einst das Schloß von Gil de Retz; des ehrgeizigen Barons, des gefürchteten Zauberers umgaben, welcher nach einer Laufbahn von Macht und Glanz auf dem Scheiterhaufen in einer Weise starb, daß der düstere Glaube an seine übernatürlichen Kräfte gerechtfertigt ward.

Hier ließ sich Maltravers in einem einsamen, elenden Wirthshause, von allen andern Wohnsitzen abgesondert, nieder. Bei sanfterem Kummer liegt eine Art Genuß in körperlicher Unbehaglichkeit – bei unerbittlicher, ungemilderter Seelenangst wird körperliche Unbehaglichkeit nicht empfunden. In äußerstem Schmerz scheint eine Art des thierischen Magnetismus zu liegen, wodurch der Körper, selbst eingeschlafen, keinen Unterschied zwischen dem Bett Damiens und dem Rosenlager des Sybariten zu kennen scheint. Wagen und Diener hatte er in dem einige Stunden entfernten Posthause gelassen. Er kam allein in die einsame Wohnung; in jener winterlichen Jahreszeit und öden Gegend lag für seine düstere Seele etwas Verwandtes, welches in den finsteren Zügen dieser dunklen und traurigen Natur seiner Stimmung nicht höhnte.

Vergeblich wäre die Beschreibung seiner Gefühle und seiner Leiden. Die Bemerkung genüge, daß die göttliche Kraft des Menschen nicht gänzlich in ihm erdrückt ward, daß er bei Tag und Nacht, daß er stündlich den Beistand des Höchsten erflehte, um gegen seine verbrecherische Liebe anzukämpfen. So ehrlich und glühend wie er jetzt mit seiner Leidenschaft rang, kämpft Niemand vergeblich; in uns Allen ist ein Geist enthalten, welcher, wenn wir ihn nur pflegen, zuletzt sich erheben muß, welcher das Schicksal und die Hölle, ob auch nach hartem Kampf, besiegt.

Eines Tages kehrte sein Bote, nach einem längeren Stillschweigen von Vargrave, dessen Briefe sämmtlich Trost und die Ueberzeugung aussprachen, daß Eveline allmählig Muth und Hoffnung wieder erlange, von dem Orte, worin die Post sich befand, mit einem Briefe überschrieben von de Montaigne's Hand zurück. Der Umschlag (de Montaigne's Schweigen erklärte ihm, wie bedeutend er in der Achtung seines Freundes verloren habe) enthielt folgende Mittheilung von Lord Doltimore.

»Mein theurer Herr!

Da ich vernommen habe, Ihre Pläne würden Sie jetzt längere Zeit auf dem Festlande zurückhalten, so nehme ich mir die Freiheit, meine Frage zu wiederholen, ob Sie Burleigh zu verkaufen vielleicht sich bewogen fühlen? Ich bin entschlossen, eine größere Summe, als der wirkliche Werth beträgt, zu zahlen und würde auf die Hypothek meines eigenen Landgutes eine Summe aufnehmen, welches zur Zahlung des ganzen Ankaufspreises genügen müßte. Vielleicht lassen Sie sich zu dem Verkaufe um so mehr durch den Umstand bewegen, da Sie im Haupte Ihrer Familie davon ein Beispiel haben. Oberst Maltravers, wie ich von Lord Vargrave vernehme, ist entschlossen, Lisle-Court zu verkaufen. Indem ich Ihre Antwort erwarte, bin ich &c.

Doltimore.«

 

»Ha!« sagte Maltravers bitter, indem er den Brief in der Hand zusammendrückte; »mag unser Name aus dem Lande vertilgt werden und unser Herd in den Besitz der Fremden übergehen. Wie könnte ich jemals den Ort wieder besuchen, wo ich sie zuerst gesehen habe!«

Er beschloß, sogleich nach England zu schreiben und die Angelegenheit seinen Geschäftsführern zu übergeben. Nur auf kurze Zeit wurden seine Gedanken dadurch abgelenkt; die gewöhnliche Düsterkeit derselben drang bald wieder auf ihn ein.

 

Was ich jetzt erzählen will, mag einer hastigen Kritik in das Uebernatürliche zu streifen scheinen; man kann jedoch den Vorfall auch nach den gewöhnlichen Triebfedern sehr leicht erklären, und das Ganze ist buchstäblich wahr.

In jener Nacht hatte Maltravers einen Traum. Er glaubte, er sitze allein in der alten Bibliothek von Burleigh und blicke auf das Portrait seiner Mutter; als er hinschaute, fühlte er sich von einem kalten und furchtbaren Zittern ergriffen; er bemühte sich, wieder seine Augen von der Leinwand wegzuwenden; sein Blick war durch unwiderstehlichen Zauber gefesselt. Darauf schien es ihm, als ändere sich das Porträt allmählig; die Gesichtszüge blieben dieselben, allein die Farbe des Antlitzes ward weiß und geisterähnlich; auch die Farbe der Kleidung verblich. Letztere erhielt eine weitere und mehr wallende Form, aber schwerfällig und starr, als sei sie in Stein gehauen – das Kleid des Grabes. Auf dem Antlitz aber lag ein sanftes und schwermüthiges Lächeln, welches dem leichenähnlichen Anblick den natürlichen Schauder entzog – die Lippen bewegten sich und es schien, als ob die erlöste Seele tonlos zu demjenigen redete, welcher der Erde noch angehörte.

»Kehre zurück,« sprach die Erscheinung, »in Dein Vaterland und Deine Heimath; laß nicht die letzte Reliquie von ihr, welche Dich gebar und Dich überwachte, in fremden Händen. Dein guter Engel wird Dich wieder an Deinem Herde treffen!«

Die Stimme schwieg. Maltravers durchbrach mit heftiger Anstrengung den Zauber, welcher seine Stimme gehemmt hatte. Er schrie laut und der Traum verschwand. Er war wach, sein Haar stand zu Berge; kalter Schweiß auf seiner Stirn. Das Bett, worauf er lag, oder vielmehr die Pritsche, stand dem Fenster gegenüber, und das winterliche Mondlicht strömte bleich und gespensterhaft in das freudenlose Zimmer. Zwischen ihm und dem Licht aber stand eine Gestalt – ein Schatten, in welchen sich das Portrait während des Traums verändert, welcher seine Seele angeredet und erstarrt hatte. Er sprang auf – »meine Mutter, sogar im Grabe kannst Du Deinen unglücklichen Sohn segnen; verlaß mich nicht, sage; daß Du –«

Die Täuschung verschwand und Maltravers sank bewußtlos zurück.

Als Maltravers im gesunden Lichte des Tages diesen denkwürdigen Traum überdachte, suchte er sich lange vergeblich zu überzeugen, daß die Träume keine Diener des Himmels oder der Hölle brauchen, um die vorübergleitende Täuschung auf die Pfade des Schlafes zu führen, daß die Wirkung jenes Traumes selbst auf seine erschütterten Nerven und aufgeregte Phantasie allein jenes Gespenst hinaufbeschworen habe, welches er erwachend zu sehen glaubte. Erst nach längerer Zeit konnte sein Urtheil den Sieg erlangen und die Vernunft sich der Herrschaft einer verstörten Phantasie entziehen; sogar als er zuletzt widerstrebend zu jener Ueberzeugung gelangte, ward er noch vom Traume heimgesucht und konnte ihn nicht aus der Brust verdrängen.

Aengstlich erwartete er die nächste Nacht; diese kam, brachte ihm aber weder Träume noch Schlaf. Der Regen schlug gegen das Fenster und der Wind heulte; eine zweite Nacht und der Mond schien wieder hell. Er versank in tiefen Schlaf; kein Gesicht störte denselben. Er erwachte beschämt über seine Erwartung, Das Ereigniß, so wie es war, gab aber seinen Gedanken eine andere Richtung; es hob und stärkte seinen Muth; sein Unglück drückte ihn weniger schwer. Vielleicht auch bewirkte die ihn stets heimsuchende Erinnerung hauptsächlich einen Wechsel seiner früheren Entschlüsse; er wollte zwar seine alte Halle noch verkaufen, aber auch zuerst zurückkehren und jenes heilige Portrait mit frommen Händen entfernen. Er wollte Alles retten und aufspeichern, was ihr gehört hatte, deren Tod ihm das Leben gab. Ach, sie hatte gewußt, welche Prüfungen ihrem Kinde vorbehalten waren!


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