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Drittes Kapitel.

Die düstern Stunden schleichen,
Allmählich weicht das Dunkel.

      Shakespeare.

 

Noch einmal erschien der Herr von Burleigh plötzlich und unerwartet vor den Thoren seiner öden Halle »Landsitzes«. Anm.d.Hrsg., und wiederum geriethen die alte Haushälterin und ihre Untergebenen in Schrecken und Bestürzung. Maltravers ging in sein Studirzimmer unter bestürzten und nicht willkommen heißenden Gesichtern. Sobald die Holzklötze brannten, der Lärm vorüber und er selbst allein war, nahm er ein Licht und ging in den Bibliotheksaal.

Es war ungefähr 9 Uhr Abends; die Luft des Zimmers war feucht und kalt, und das Licht kämpfte nur schwach gegen das trübe Dunkel der düsteren, mit Bücher besetzten Mauer »Wand«. Anm.d.Hrsg. und der finstern Tapete. Er stellte das Licht auf den Tisch, zog die Vorhänge bei Seite, welche das Portrait verhüllten, und blickte in tiefer, mit Ehrfurcht gemischter Regung auf das schöne Antlitz, dessen Blicke mit düsterer Sanftmuth auf ihn geheftet schienen.

Diese gemalten Geister unserer selbst, welche unseren Staub überleben, bewirken gleichsam einen mystischen Ausdruck. Wer glaubt nicht beinah, wenn er lang und gespannt darauf geblickt hat, jene Bilder schienen nicht unempfindlich gegen das eigene Schauen, als ertheile unser Blick ihnen Leben, als wären jene Augen, die uns folgen wohin wir uns auch bewegen, durch andere Kunst, wie durch die des Malers, belebt worden.

Maltravers beschaute mit gefalteten Armen, in Betrachtungen versunken und bewegungslos jene Gestalt, die bei den aufwärts dringenden Strahlen des flackernden Lichtes, zu dem betrübten Sohne sich zu beugen schien. Wie hatte er stets das Andenken seiner Mutter geliebt! Wie oft hatte er in seiner Kindheit sich hinweggeschlichen und Thränen über den Verlust jenes theuersten aller irdischen Bande vergossen, welches niemals ausgeglichen und ersetzt werden kann! Wie hatte er Achtung und Mitgefühl für den Widerwillen gehegt, den sein Vater gegen ihn, als die unschuldige Ursache des frühzeitigen Todes seiner Mutter, zuerst erwies! Er hatte sie nie gesehen, niemals ihren leidenschaftlichen Kuß empfunden, und dennoch schien es ihm, als er hinblickte, als habe er sie Jahre lang gekannt. Diese sonderbare Art innerlichen und geistigen Gedächtnisses, welche oft uns an Orte und Personen erinnert, die wir nie gesehen haben, und welche Platoniker als das ungelöschte, noch kämpfende Bewußtsein eines früheren Lebens erklären würden, ward jetzt in ihm rege und schien ihm zuzuflüstern: »Wir waren einst vereint.«

»Ja,« sagte er halb laut, »wir wollen uns nie wieder trennen. Gesegnet sei die Täuschung des Traumes, die in mein Herz die Erinnerung an dich zurückrief, die ich ohne Sünde lieben darf. Mein guter Engel wird mich an meinem Herde treffen! So sagtest du in der feierlichen Erscheinung. Ueberwacht mich noch deine Seele? Wie lange wird es noch dauern, bis das Hemmniß durchbrochen ist – wie lang, bis wir uns wiedersehen, aber nicht in Träumen!«

Die Thüre ging auf; die Haushälterin blickte in's Zimmer. »Ich bitte um Verzeihung, Sir, glaubte aber, Euer Gnaden würden die Freiheit entschuldigen, ob ich gleich weiß, daß es sehr keck von mir ist, zu –«

»Was gibt's, was wollt Ihr?«

»Nun, Sir, die arme Frau Elton liegt im Sterben; die Leute sagen, sie würde diese Nacht nicht durchmachen können, und da der Wagen am Fenster der Hütte vorbeifuhr, so sagte ihr die Amme, der Gutsherr sei zurückgekehrt; da hat sie ihre Wärterin hergeschickt, um zu bitten, sie möchte Euer Gnaden noch einmal sprechen. Ich war gewiß sehr abgeneigt, Sie mit einer solchen Botschaft zu unterbrechen, und ich sagte: Der Gutsherr ist von einer Reise so eben erst zurückgekehrt und –«

»Wer ist die Frau Elton?«

»Erinnern Sie sich der armen Frau, die überfahren wurde, und die Sie so gut waren ins Haus bringen zu lassen, als Miß Cameron –«

»Ich erinnere mich; sagt nur, ich würde in wenigen Minuten hinüber kommen. Sie ist im Begriff zu sterben,« murmelte Maltravers vor sich hin; »sie ist zu beneiden. Die Gefangene erlangt ihre Freiheit; die Barke verläßt die öde Insel.«

Er nahm seinen Hut und ging durch den nur schwach von Sternen erleuchteten Park zur Hütte der Leidenden. Er trat an ihr Bett und ergriff gütig ihre Hand; sie schien bei seinem Anblick wieder zum Bewußtsein zu kommen; die Wärterin ward entlassen und Beide waren allein.

Vor Tagesanbruch hatte der Geist den Leib jener armen Frau verlassen; der Thau der Morgendämmerung lag schon schwer auf dem Grase, als Maltravers heimkehrte. Sein Antlitz trug die Spuren neuer und sonderbarer Erregung, sein Schritt war elastisch, seine Wange geröthet. Die Hoffnung war wieder in ihm aufgegangen, aber mit Zweifel vermischt und durch Vernunft nur schwach bekämpft.

In der nächsten Stunde schon war Maltravers nach Brook-Green unterwegs. Ungeduldig, rastlos, fieberhaft trieb er die Pferde an; er verschwendete Gold auf dem Wege, und zuletzt hielt sein Wagen an dem Thore des Dorfwirthshauses. Er stieg ab, erkundigte sich nach dem Wege zum Pfarrhause, ging über den Kirchhof, kam durch den Schatten des alten Eibenbaumes und trat in Aubrey's Garten. Der Pfarrer war zu Haus; die folgende Unterredung war für den Besuchenden von tiefstem Interesse. – Wir müssen jetzt in gehöriger Ordnung und Verbindung die Einzelnheiten der Geschichte dem Leser vorlegen, deren Kunde damals Maltravers in abgebrochenen Theilen erlangte.


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