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Sechstes Kapitel.

Nichts unterm Himmel lockt so stark den Sinn
Des Mannes an und herrscht in seiner Seele,
Als Liebesköder, den die Schönheit beut.

      Spenser.

 

Legard war, wie ich vorher schon angegeben habe, ein junger Mann von großmüthigem und ausgezeichnetem Charakter, wenn auch durch die Art seiner Erziehung und seine muntere, sorglose Gesellschaft etwas verdorben, welche kräftigende Mittel seiner Eitelkeit und Opiate seinem geistigen Vermögen gereicht hatten. Die Wirkung, welche die Schönheit, die Anmuth und die Unschuld Evelinens bei ihm hervorgerufen, war tief und heilsam gewesen. Verschwendung war dadurch schaal und geschmacklos geworden; er schaute tiefer in sein eigen Herz und in die Regeln des Lebens. Ob er gleich theils wegen seiner verdrießlichen Abhängigkeit von einem zugleich großmüthigen und groben Oheim, theils wegen des mißtrauischen und tief empfundenen Gefühls über seine eigenen, unzulänglichen Ansprüche an die Hand der Miß Cameron, theils wegen der älteren und anerkannten Rechte des Lord Vargrave das ihm angebotene Amt halb in Verzweiflung angenommen hatte, so war es ihm doch unmöglich, das Bild zu verbannen, welches glühenden und unlöschbaren Eindruck bei ihm hinterlassen hatte.

Im Geheimen war er über den Gedanken entrüstet, daß er seine unabhängige Stellung einem glücklichen Nebenbuhler verdanke; auch beschloß er die erste Gelegenheit zu benützen, um sich von den Verpflichtungen loszumachen, die eingegangen zu sein er tief beklagte. Zuletzt erfuhr er, Lord Vargrave habe einen Korb erhalten und Eveline sei frei; wenige Tage nach dieser Kunde starb der Admiral am Schlage, und Legard besaß plötzlich, wo nicht Reichthum, doch ein genügendes Auskommen, um seinen Charakter als Freier von dem Verdacht eines Vermögensjägers und Abenteurers zu reinigen.

Ungeachtet der neuen, durch den Tod seines Oheims ihm er öffneten Aussichten und ungeachtet des mürrischen Eigensinns, der sich in des alten Admirals Güte gemischt hatte, ward Legard dennoch durch dessen Tod sehr erschüttert, und seine dankbare und sanfte Natur war zuerst nur für den Gram des erlittenen Verlusts empfänglich. Als er jedoch zuletzt von seinem Kummer sich wieder erholte, Eveline frei und sich selbst in ehrenvoller Lage sah, um als Bewerber ihrer Hand aufzutreten, vermochte er den süßen und leidenschaftlichen Hoffnungen, die auf ihn einbrachen, nicht zu widerstehen.

Wie wir gesehen haben, gab er sein Amt auf und reiste nach Paris. Jene Stadt erreichte er ein oder zwei Tage nach der Ankunft von Lord und Lady Doltimore. Ersteren, welcher die Warnung Vargrave's nicht vergessen hatte, fand er zuerst kalt und zurückhaltend; jedoch, theilweise aus träger Gewohnheit, sich Legards Beschlüssen in Sachen des Geschmacks zu unterwerfen, theils aus Behagen an seiner Gesellschaft, hauptsächlich aber wegen dessen Beliebtheit in den modischen Kreisen, die Legard immer zu Theil geworden und jetzt durch seine Ererbung von Vermögen durchaus nicht vermindert war – aus allen diesen Gründen überließ sich Lord Doltimore, schwach und eitel, bald dem Einfluß seines alten Gefährten, und Legard ward ruhig zum enfant de la maison eingesetzt.

Caroline war in diesem Punkte den Plänen Vargrave's nicht sehr treu. Der schlaue Intriguant hatte in seiner eigenthümlichen Verbindung mit Lady Doltimore den gewöhnlichen Fehler pfiffiger Leute begangen: durch zu große Schlauheit hatte er sich selbst geprellt. Im Beginn der sonderbaren und grundsatzlosen Verbindung hatte Vargrave vielleicht keinen andern Gedanken als den, Caroline zu reizen, seiner Eitelkeit Behagen zu erwecken, sich die Langeweile zu vertreiben und eher seinen Neigungen zur Galanterie nachzugeben, als eigennützige Zwecke zu verfolgen. Allmählig aber und besonders zu Knaresdean wurde Vargrave immer mehr in eine Angelegenheit verfangen, die er früher nie für wichtiger als eine vorübergehende Unterhaltung betrachtet hatte; anstatt sich eine Freundin in seinen Plänen auf Eveline zu sichern, erkannte er plötzlich, daß er sich eine Geliebte erworben hatte, die ängstlich auf seine Liebe und eifersüchtig auf seine Huldigung war. Mit seiner gewöhnlichen Schnelligkeit und Selbstvertrauen befreite er sich hierauf von allen üblen Folgen seiner Unbedachtsamkeit.

Durch ihre Verheirathung mit Lord Doltimore schaffte er sich Caroline als Geliebte vom Halse und behielt sie als Werkzeug. Durch den großen Einfluß, welchen sein Charakter auf den ihrigen übte, durch ihren eigenen, eigennützigen Ehrgeiz, gelang es ihm, sie dahin zu bringen, daß sie alle Romantik einer Verbindung aufopferte, wodurch sie Rang und Vermögen erhielt; Vargrave hoffte alsdann, die gewandte Frau würde ihm nicht allein eine bleibende Macht über den politischen Einfluß und das Privatvermögen ihres schwachen Gatten erwerben, sondern auch alle seine Plane unterstützen, um ihm eine in gleicher Weise wünschenswerthe Verbindung zu sichern.

Hier aber ward Vargrave durch seine Unfähigkeit überwunden und betrogen, die feineren Gefühle und Bedenklichkeiten in der Neigung und Natur eines Weibes zu verstehen, mochte erstere noch so schuldig, letztere noch so eigensinnig sein. Caroline, obgleich die Frau eines Andern, konnte ohne Seelenpein eine ähnliche Knechtschaft für ihren Geliebten nicht ertragen; da sie noch einige der besseren Eigenschaften ihres Geschlechtes besaß, so widerstrebte es ihr, eine Mitschuldige bei denjenigen Schlichen zu werden, welche das junge, unerfahrene und arglose Geschöpf, das sie Freundin nannte, in die Arme eines Mannes treiben sollte, der die eigennützigsten Beweggründe offen anerkannte, der Götter wie Menschen zu Zeugen nahm, daß sein Herz einer Andern geweiht sei. Diese Bedenklichkeiten wurden nur in Vargrave's Gegenwart bemeistert; im Augenblick, wo er entfernt war, kehrten sie mit voller Kraft zurück. Sie hatte aus Furcht seinem Befehle nachgegeben, Eveline nach Paris zu bringen, zitterte aber bei, dem Gedanken an die unbestimmten Winke und düsteren Drohungen, die er hinsichtlich seines weiteren Verfahrens fallen ließ, und ward durch den Gedanken gefoltert, in einen verbrecherischen oder leidenschaftlichen Plan verwickelt zu werden.

Als deßhalb der Mann, den Vargrave am meisten fürchtete, beinahe ein Bewohner ihres Hauses wurde, leistete sie nur einen schwachen Widerstand; sie glaubte, wenn Legard ein willkommener und angenehmer Freier vor Lumley's Ankunft würde, müsse der letztere seine Hoffnungen aufgeben, und sie würde dadurch aus einer Verlegenheit gerissen, deren Aussicht sie schreckte und niederdrückte.

Außerdem bemerkte jetzt Caroline, ein Narr lasse sich nicht so leicht regieren; ihr Widerstand gegen das vertraute Verhältniß mit Legard hätte wenig geholfen. Doltimore besaß in solchen Angelegenheiten einen hartnäckigen Eigenwillen. Wie groß auch Carolinens Einfluß auf ihren Gatten früher gewesen sein mochte, so hatte sich doch derselbe kürzlich sehr vermindert, weil sie sich ihrer Laune hingab, welche stets reizbar und jetzt durch Kummer, Gewissensbisse, Verachtung gegen ihren Gatten und die traurige Entdeckung verbittert war, daß Vermögen, Jugend, Schönheit und höhere Stellung keinen Zauber gegen Elend bieten.

Die Saison von Paris war auf ihrem Höhepunkt; Caroline stürzte sich eifrig in den Strudel der Zerstreuungen; sie wollte sich selbst entgehen. War Doltimore's Herz getäuscht, so fand sich seine Eitelkeit durch die von Caroline erregte Bewunderung geschmeichelt; er selbst war noch in einem Alter und in einer Stimmung, um das Treiben und die Vergnügungen seiner Frau zu theilen. Die junge Eveline nahm mit ihrer Wirthin an diesen Vergnügungen Theil, welche ihr neu waren und sie durch ihren Zauber und Glanz verblendeten; stets ihr zur Seite erblickte man die reizende Gestalt Legards.

Beide standen in der Blüthe ihrer Jugend; Beide waren sowohl geschaffen zu gefallen, wie an jener schönen Armida, welche man die große Welt nennt, Gefallen zu finden; nothwendigerweise fand sich eine gewisse Verwandtschaft ihrer Ansichten und Gefühle, ihrer Beschäftigungen und Zwecke; auch war in jener glänzenden Stadt Niemand geeigneter wie Georg Legard, um Auge und Gefühl in Anspruch zu nehmen. Legard jedoch, bis auf einen gewissen Grad mißtrauisch gegen sich selbst und blöde, hatte noch nicht von Liebe geredet; auch war ihr vertrautes Verhältniß damals noch nicht bis zu dem Punkt gereift, wo Eveline sich hätte fragen können, ob Gefahr in der Gesellschaft von Legard oder ein ernster Zweck in seiner offenbaren Bewunderung liege. Ob jene Melancholie, worauf Lady Vargrave in Bezug auf ihren Umgang mit Lumley angespielt hatte, durch Gedanken an Maltravers, oder durch nicht eingestandene Erinnerung an Legard veranlaßt war, mag der scharfsinnige Leser selbst entscheiden.

Die Doltimore's waren ungefähr drei Wochen in Paris und Legard während vierzehn Tage dieser Zeit ihr beständiger Gast, beinahe der Bewohner ihres Hotels gewesen, als Maltravers an jenem Abende, den wir in unserem letzten Buche erwähnt haben, plötzlich wiederum Eveline erschaute und zugleich erfuhr, ihre Hand sei frei. Er verließ Valeriens Loge; mit brennendem Puls, klopfendem Herzen, mit Freude, Ueberraschung und Hoffnung in seinen funkelnden Blicken, und in seiner ganzen Gestalt gleichsam erstrahlend, eilte er zu Eveline.

Um die Zeit erwähnte Legard, welcher hinter Miß Cameron saß, der Annäherung eines Nebenbuhlers unbewußt, mit einem jener Zufälle, wie sie im Gespräch vorkommen, den Namen des Maltravers. Er fragte Eveline, ob sie ihn schon gesehen habe.

»Wie, ist er in Paris?« fragte Eveline schnell. »Ich hörte allerdings,« fuhr sie fort, »daß er Burleigh verlassen habe, um nach Paris zu reisen; ich glaubte jedoch, daß er sich nach Italien begeben habe.«

»Nein, er ist noch hier, kömmt aber, wie ich glaube, wenig in die Gesellschaften, welche Lady Doltimore hauptsächlich besucht; interessiren Sie sich für ihn, Miß Cameron?«

Die Röthe auf Evelinens schöner Wange erhöhte sich etwas, als sie antwortete: »Ist es möglich, einen so begabten Mann nicht zu bewundern und kein Interesse an ihm zu finden?«

»Er besitzt sicherlich edle und schöne Eigenschaften,« erwiderte Legard; »ich kann mich bei ihm aber nicht behaglich finden; eine Kälte, ein Hochmuth, ein zurückhaltendes Wesen scheint sogar die Achtung zu untersagen. Ich sollte aber nicht so sagen,« fügte er mit Selbstvorwurf hinzu.

»Nein, Sie sollten das allerdings nicht sagen,« erwiderte Eveline, indem sie ihren Kopf mit einer niedlichen Affektion des Aergers schüttelte; »denn ich weiß, daß Sie zu lieben vorgeben, was ich liebe, und zu bewundern, was ich bewundere; ich aber bin enthusiastisch in Allem, was auf Maltravers Bezug hat.«

»Ich weiß, daß ich alle Dinge im Leben mit Miß Camerons Augen erschauen möchte,« flüsterte sanft Legard, und dieß waren die bezeichnendsten Worte, die er je zu Evelinen gesprochen hatte.

Eveline wandte sich hinweg und schien in die Oper versunken. In dem Augenblick öffnete sich die Thür der Loge und Maltravers trat ein; bei ihrem offenen, unverstellten Entzücken, als sie ihn wiedersah, hegte er wirklich ein Gefühl, als sei ihm das Paradies in ihrem Anblick erschlossen. Bei seiner Aufregung bemerkte er kaum, daß Legard aufgestanden war und ihm seinen Sitz abtrat; er machte Gebrauch von der Höflichkeit, begrüßte seinen alten Bekannten mit einem Lächeln und einer Verbeugung und befand sich nach wenigen Minuten in tiefem Gespräch mit Eveline.

Noch niemals hatte er mit so viel Erfolg den eigenthümlichen Zauber, der zu seiner Verfügung stand, geübt, welcher jetzt um so stärker wegen seiner gewöhnlichen Kälte wirkte; sogar im Ausdruck seiner Augen, im Ton seiner Stimme lag ein Etwas, welches, in Maltravers glücklicheren Augenblicken, unwiderstehlich die Aufmerksamkeit gänzlich in Anspruch nahm; dann vergaß man Alles, außer ihm, außer seiner reichen, leichten, und doch ernsten Beredsamkeit, welche seiner Sprache gleichsam eine Färbung und seiner Stimme Melodie ertheilte. In dieser Stunde des erneuten Verkehrs mit einem Mann, der zuerst Evelinens Phantasie und tieferes Sinnen, wenn auch nicht ihr Herz erregt hatte, ward sogar Legard nicht vermißt. Als sie lächelte und zuhörte, träumte sie nicht von den Schmerzen, die sie verursachte.

Legard lehnte sich an die Wand der Loge und beobachtete die Aufmerksamkeit Evelinens, die anbetenden Blicke von Maltravers mit dem gänzlichen und niederdrückenden Gefühl des Elends, welches blos Eifersucht und auch nur so lange als sie ein jungfräulicher Schmerz bleibt, hervorzurufen vermag. Er hatte niemals vorher an jenen Nebenbuhler gedacht; allein jener unaussprechliche Instinkt, welcher Liebenden eigen ist und welcher so selten irrt, verkündete ihm auf einmal, das größte Hinderniß und die größte Gefahr für seine Leidenschaft bestehe in Maltravers. Er wartete in der Hoffnung, daß Eveline wenigstens die Gelegenheit benützen würde, sich zu ihm zu wenden, als der vierte Akt vorüber war; sie that dieß nicht und er verließ plötzlich die Loge, da er weder seine Aufregung zurückhalten, noch auf die faden Bemerkungen Lord Doltimore's antworten konnte.

Als die Oper vorüber war, bot Maltravers Evelinen seinen Arm; sie nahm ihn an und sah sich dann nach Legard um. Er war fort, sie fühlte sich darüber betrübt – weßhalb wußte sie kaum selbst.


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