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Viertes Kapitel.

Euch ist diese Reise geweiht.

      Shakespeare.

 

Als Cleveland und Maltravers nach Hause zurückkehrten, unterbrach der Letztere plötzlich die heitere Geschwätzigkeit seines Freundes mit den Worten:

»Ich muß Sie um eine Gefälligkeit – um eine große Gefälligkeit bitten.«

»Um welche?«

»Lassen Sie uns morgen Burleigh verlassen; die Stunde gilt mir gleich; wir brauchen blos zwei oder drei Stationen zu machen, wenn Sie ermüdet sind.«

»Sehr gastfreier Wirth! Weßhalb?«

»Es ist mir Pein und Qual, die Luft von Burleigh zu athmen,« rief Maltravers mit wildem Ausdruck; »können Sie mein Geheimniß nicht errathen, habe ich es denn so geschickt verborgen? Ich liebe Eveline Cameron, und sie ist verlobt– sie liebt – einen Andern!«

Cleveland war vor Erstaunen athemlos; Maltravers hatte sein Geheimniß so gut verhehlt, und jetzt war seine Regung so ungestüm, daß der alte Mann stutzte und erschrak, der nie eine Leidenschaft erfahren hatte, ob er sich gleich früher dem Gefühle hingab. Er suchte zu trösten und zu besänftigen; nach dem ersten Ausbruch des Schmerzes kam Maltravers wieder zu sich und sagte sanft:

»Erwähnen wir niemals wieder diesen Gegenstand; es ist recht, daß ich diese Tollheit überwinde, und überwinden will ich dieselbe. Sie kennen jetzt meine Schwäche, Sie werden dieselbe schonen. Meine Heilung kann nicht eher beginnen, als wenn ich aus meinem Fenster das Dach nicht mehr sehe, welches die Verlobte eines Anderen umschließt.«

»Wohlan denn, morgen reisen wir ab, mein armer Freund! Es ist wahrhaftig –«

»Oh schweigen Sie,« unterbrach ihn der stolze Mann – »ich flehe um kein Mitleid; geben Sie mir nur Zeit und Schweigen, dieß sind die einzigen Mittel.«

 

An dem nächsten Tage war Burleigh wieder von seinem Herrn verlassen. Als der Wagen durch das Dorf fuhr, sah ihn Frau Elton durch das offene Fenster, allein ihr Beschützer, damals zu sehr in sich vertieft, um sogar Wohlwollen zu empfinden, vergaß ihr Dasein. Die Gewebe des Schicksals aber sind so verwickelt, daß die Brust jener demüthiger Fremden ein Geheimniß umschloß, welches für Maltravers von der höchsten Wichtigkeit war.

»Wohin reist er?« fragte Frau Elton ängstlich.

»Man sagt,« erwiderte die Bäuerin, »daß er auf kurze Zeit in's Ausland reisen will; um Weihnachten ist er wieder zurück.«

»Um Weihnachten bin ich vielleicht gestorben,« murmelte die Kranke vor sich hin, »doch was wird ihn oder irgend sonst Jemand die Sache angehen?«

 

Auf der ersten Station ward Maltravers und sein Freund wegen Mangels an Pferden kurze Zeit aufgehalten.

Lord Raby's Landsitz war am vergangenen Abend mit Gästen überfüllt gewesen, und die Ställe des kleinen, mit dem Wappen Lord Raby's gezierten Wirthshauses, das nur eine halbe Stunde von des vornehmen Mannes Landsitz entfernt lag, waren durch die zahlreichen, von Knaresdean zurückkehrenden Gäste erschöpft worden. Es war ein ruhiges, einsames Posthaus und Geduld, bis einige abgejagte Pferde zurückkehrten, das einzige Mittel. Der Wirth gab den Reisenden die Versicherung, daß er jeden Augenblick vier Pferde erwarte, und lud sie in sein Haus. Der Morgen war kühl und ein Kaminfeuer Herrn Cleveland nicht unwillkommen; somit gingen sie in das kleine Besuchzimmer. Hier fanden sie einen ältlichen Herrn von sehr einnehmendem Aeußern, der wegen desselben Zwecks wartete; er stand artig vom Sitze am Kamin auf, als die Reisenden eintraten und gab Cleveland die Provinzialzeitung. Cleveland verbeugte sich artig: »Ein kalter Tag, Sir, der Herbst beginnt anzubrechen.

»Allerdings« erwiderte der alte Herr, »und ich fühle die Kälte um so mehr, da ich vor Kurzem die mildere Luft des Südens verlassen habe.«

»Nein, nur Englands. Ich sehe aus dieser Zeitung (ein Politiker bin ich gerade nicht), daß eine Parlamentsauflösung nahe ist und daß Herr Maltravers wahrscheinlich als Candidat für diese Grafschaft auftreten wird. Sind Sie mit ihm bekannt, Herr?«

»Ein wenig,« sagte Cleveland lächelnd.

»Er ist ein Mann, an dem ich viel Interesse empfinde,« sagte der alte Herr, »und ich hoffe, bald mit seiner Bekanntschaft beehrt zu werden.«

»Wirklich! Reisen Sie in seine Nähe?« fragte Cleveland, indem er aufmerksamer den Fremden betrachtete und an einer gewissen einfachen Aufrichtigkeit in seinen Zügen und in seinem Wesen viel Vergnügen empfand.

»Ja, zur Pfarrei Merton.«

Maltravers, der bis dahin eine Stelle am Fenster eingenommen hatte, wandte sich um.

»So, zur Pfarrei Merton?« wiederholte Cleveland, – »Sie sind mit Herrn Merton bekannt?«

»Noch nicht, ich kenne aber einige Mitglieder seiner Familie. Indeß betrifft mein Besuch eher eine junge Dame, die in der Pfarrei wohnt, Miß Cameron.«

Maltravers seufzte schwer, der alte Herr blickte ihn neugierig an. »Vielleicht, Herr, wenn Sie in der Nachbarschaft bekannt sind, haben Sie gesehen –«

»Miß Cameron? Gewiß, die Ehre ist nicht leicht zu vergessen.«

Der alte Herr sah vergnügt aus.

»Das liebe Kind,« sagte er, mit dem Ausdruck ehrlicher Zuneigung und fuhr mit seiner Hand über die Augen.

Maltravers kam ihm näher mit den Worten: »Kennen Sie Miß Cameron? Sie sind zu beneiden.«

»Ich habe sie seit ihrer Kindheit gekannt. Lady Vargrave ist meine liebste Freundin.«

»Lady Vargrave muß einer solchen Tochter würdig sein; nur unter dem Licht eines sanften Charakters und eines reinen Herzens konnte eine so schöne Natur auferzogen werden.«

Maltravers sprach mit Begeisterung und verließ das Zimmer, als besorge er, sich nicht länger auf sich selbst verlassen zu können.

»Der Herr spricht mit nicht mehr Wärme als Wahrheit;« sagte der alte Mann mit Ueberraschung; »er hat ein Gesicht, welches, wenn die Physiognomie nicht täuscht, sein Lob zu einem nicht gewöhnlichen Complimente macht – darf ich nach seinem Namen fragen?«

»Maltravers.« erwiderte Cleveland, ein wenig eitel auf die Wirkung, die der Name seines ehemaligen Zöglings hervorbringen würde.

Der Pfarrer Aubrey – denn er war es – stutzte und wechselte den Ausdruck seiner Gesichtszüge.

»Maltravers! Aber er scheint im Begriff, das Land zu verlassen?«

»Ja, auf einige Monate.«

Der Wirth trat wieder ein; vier Pferde, die nur sieben Stunden gemacht hatten, waren gerade wieder in den Hof gekommen. »Könne wohl Herr Maltravers zwei Pferde jenem Herrn überlassen, der sie vor ihm bestellt hatte?«

»Gewiß« sagte Cleveland; »aber beeilen Sie sich.«

»Und ist Lord Vargrave noch bei Herrn Merton?« fragte der Pfarrer nachsinnend.

»O ja, ich glaube das, Miß Cameron wird bald an ihn verheirathet werden; ist das nicht der Fall?«

»Ich weiß nicht,« erwiderte Aubrey etwas verstört; »kennen Sie Lord Vargrave?«

»Sehr gut.«

»Halten Sie ihn der Miß Cameron für würdig?«

»Das ist eine Frage; die sie selbst beantworten muß. Ich sehe aber, die Pferde sind angespannt; guten Tag, Herr! Wollen Sie Ihrer schönen jungen Freundin sagen, daß Sie einen alten Herrn getroffen haben, der ihr Alles Glück wünsche, und wenn sie um seinen Namen frägt, so sagen Sie Cleveland.«

Bei den Worten verbeugte sich Cleveland, und betrat wieder den Wagen. Maltravers war noch nicht fertig; er kehrte zum Haus durch die Hinterthür zurück und begab sich noch einmal in das kleine Gastzimmer. Es war ihm von Werth, noch einmal einen Mann zu sehen, der bald mit Eveline zusammen sein würde!

»Wenn ich nicht irre,« sagte Maltravers, »sind Sie der Herr Aubrey, über dessen Tugenden ich Miß Cameron mit solchem Enthusiasmus habe reden hören? Ich bedaure außerordentlich, daß die Zeit, uns gegenseitig kennen zu lernen, eine so kurze ist.« Als Maltravers dieß einfach sprach, lag in seinen Zügen und seiner Stimme eine schwermüthige Süße, welche den guten Pfarrer sehr gewann. Und als Aubrey auf die edle Miene und die stolzen Züge blickte, wunderte er sich nicht länger über den Zauber, den er auf Eveline übte.

»Darf ich nicht hoffen, Herr Maltravers,« sagte er, »daß unsere Bekanntschaft in kurzem erneut werden wird? Könnte nicht Miß Cameron.« fügte er mit einem Lächeln und einem forschenden Blick hinzu, »Sie zu einer Reise nach Devonshire verführen?«

Maltravers schüttelte den Kopf, murmelte etwas nicht sehr Hörbares und verließ das Zimmer. Der Pfarrer hörte das Rollen der Räder, und der Wirth trat ein, um ihn zu benachrichtigen, sein Wagen sei bereit.

»Da sind Dinge verborgen, die ich nicht begreifen kann,« dachte Aubrey. »Sein Benehmen, seine zitternde Stimme, bezeugten Aufregung, die er zu verbergen strebte. Kann Lord Vargrave sein Ziel erreicht haben? Ist Eveline wirklich nicht mehr frei?«


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