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Drittes Kapitel.

» Le plus grand dé faut de la pé né tration
n' est pas de n' aller point jusqu' au, c' est
de le passer.« Das größte Manko beim Ergründen besteht nicht darin, nicht genau auf den Punkt zu kommen, sondern ihn zu verfehlen. Anm.d.Hrsg.

      La Rochefoucauld.

 

Eveline hatte den Ball von Knaresdean mit tieferem Gefühle erwartet, als es gewöhnlich die Phantasie eines Mädchens entflammt, welches stolz auf ihre Kleidung und voll Vertrauen auf ihre Schönheit ist. Mochte sie Maltravers in der wahren Bedeutung des Wortes lieben oder nicht, so hatte er sich wenigstens einen bedeutenden Einfluß auf ihre Seele und Einbildungskraft erworben. Sie empfand das tiefste Interesse an seinem Wohl, den ängstlichsten Wunsch, ihm zu gefallen, den tiefsten Kummer beim Gedanken ihrer Entfremdung. In Knaresdean konnte sie Maltravers treffen, allerdings im Gedränge, aber sie konnte ihn doch treffen; sie konnte ihn sehen, wie er vor dem großen Haufen hervorragte; sie konnte ihn rühmen hören, sie konnte ihn, den Alle beobachteten, besonders beachten.

Jedoch hatte noch eine andere Ursache eine tiefere Freude veranlaßt. Sie hatte an dem Morgen einen Brief von Aubrey erhalten, worin er seine Ankunft für den nächsten Tag ankündigte. Der Brief, obgleich liebevoll, war kurz; Eveline war einige Monate entfernt gewesen; Lady Vargrave war bereits beschäftigt, Anordnungen für ihre Rückkehr zu treffen; es war jedoch ihrer Wahl anheimgestellt, ob sie den Pfarrer nach Hause begleiten wollte. Abgesehen von ihrer Freude, noch einmal den theuren, alten Mann zu sehen und von seinen Lippen zu vernehmen, ihre Mutter befinde sich wohl und sei glücklich, begrüßte Eveline in seiner Ankunft das Mittel, sich aus ihrer Lage in Bezug auf Lord Vargrave herauszuhelfen. Sie konnte dem Pfarrer ihren gesteigerten Widerwillen gegen diese Ehe eingestehen; sie würde mit Lord Vargrave eine Unterredung haben; und dann? Maltravers fiel ihr wieder ein? Nein! Ich besorge, Maltravers war es nicht, welcher dieß Lächeln und diesen Seufzer erweckte! – Sonderbares Mädchen, du kennst deine eigene Seele nicht; aber das ist bei wenigen in deinem Alter der Fall.

In aller Heiterkeit der Hoffnung, in dem Stolz der Kleidung und der halb bewußten Lieblichkeit, trat Eveline mit leichtem Schritt in Carolinens Zimmer, Miß Merton hatte schon ihre Kammerjungfer entlassen und saß an ihrem Schreibtisch, indem sie die Wange nachdenklich auf die Hand stützte.

»Ist es Zeit, daß wir abfahren?« fragte sie, aufblickend; »gut, wir werden Papa, die Pferde und den Kutscher in gute Laune bringen. Eveline, wie gut sehen Sie aus! Eveline, Sie sind wirklich schön!« z

Caroline blickte mit ehrlicher, aber doch halb neidischer Bewunderung auf die so gerundete und doch so zarte Feengestalt und auf das Antlitz, welches über seine eigenen Reize zu erröthen schien.

»Ich darf Ihnen gewiß die Schmeichelei zurückgeben,« sagte Eveline, indem sie verschämt lächelte.

»Was mich betrifft, so bin ich in meiner Art hübsch genug; vielleicht werden wir dereinst rivalisirende Schönheiten. Ich hoffe jedoch, wir bleiben gute Freundinnen und beherrschen die Welt mit getheiltem Reiche. Wünschen Sie nicht das Getümmel, die Aufregung und den Ehrgeiz Londons? Der Ehrgeiz steht uns offen, wie den Männern.«

»Nein, wirklich nicht,« erwiderte Eveline lächelnd; »wenn ich ihn hegte, so wäre es nicht für mich selbst, sondern für –«

»Vielleicht für einen Gatten; gut, Sie werden großen Bereich für Ihr Mitgefühl haben. Lord Vargrave –«

»Wieder Lord Vargrave!« Evelinens Lächeln verschwand und sie wandte sich fort.

»Ach,« sagte Caroline. »ich würde Lord Vargrave eine ausgezeichnete Frau abgegeben haben; Schade, daß er das nicht glaubt. Wie die Sache sich verhält, so muß ich für mich selbst sorgen und eine maîtresse femme werden – Sie glauben also, daß ich heute Abend gut aussehe? Es ist mir lieb. Lord Doltimore ist ein Mann, der sich nur nach dem, was andere Leute sagen, leiten läßt.«

»Hinsichtlich Lord Doltimore's sprechen Sie nicht im Ernst?«

»Allerdings, leider!«

»Unmöglich; dieß könnten Sie nicht mehr sagen, wenn Sie ihn wirklich liebten.«

»Wenn ich ihn liebte? – Nein, aber ich gedenke ihn zu heirathen!«

Eveline war empört, aber noch ungläubig.

»Und auch Sie werden Jemand heirathen, den Sie nicht lieben; es ist unser Schicksal.«

»Niemals!«

»Wir wollen sehen.«

Evelinens Herz ward niedergedrückt und ihr Muth sank.

»Sagen Sie mir jetzt,« fügte Caroline hinzu, – »glauben Sie nicht, daß diese Aufregung, mag sie auch nur theilweise und provinziell sein, das Gefühl Ihrer Schönheit, die Hoffnung der Eroberung, das Bewußtsein Ihrer Macht besser ist, als die dumpfe Einförmigkeit des Hütte »Landhaus«. Anm.d.Hrsg. von Devonshire. Seien Sie ehrlich.«

»Nein, gewiß nicht,« erwiderte Eveline betäubt und leidenschaftlich, »eine Stunde bei meiner Mutter, ein Lächeln von ihren Lippen ist mehr als das Alles werth!«

»In Ihren Träumereien von Ehe denken Sie also an nichts, als an Rosen und Tauben. Liebe in einem Landhaus!«

»Liebe im häuslichen Leben, einerlei, ob im Palast oder in der Hütte,« erwiderte Eveline.

»Häusliches Leben,« erwiderte Caroline mit Bitterkeit, »ist synonym mit dem französischen ennui; ich höre jedoch meinen Vater auf der Treppe.«

 

Wie alltäglich ist ein Ballsaal! In Novellen Das englische »novel« bedeutet eigentlich: »Roman«. Anm.d.Hrsg. abgetreten, eben so im gewöhnlichen Leben; dennoch haben Ballsäle einen bestimmten Charakter und erwecken ein bestimmtes Gefühl bei allen Charakteren und zu jeder Zeit. Ein Etwas in der Beleuchtung, im Gedränge, in der Musik, erweckt Gedanken, die der Phantasie und Romantik angehören. Es bietet Männern von gewissem Alter eine schwermüthige Scene. Es erweckt manche leichtere und anmuthigere Bilder, welche mit den wechselnden Wünschen der Jugend in Verbindung stehen; Schatten, die unsere Pfade durchkreuzen und Liebe schienen, aber dieß nicht waren, – welche die Anmuth und den Reiz, aber nicht die Leidenschaft der Liebe bieten! So manche unserer lieblichsten Jugenderinnerungen sind mit jenem Fußboden, jener schmerzlich heiteren Musik, mit jenen ruhigen Ecken und Winkeln verknüpft, wo die Gespräche, welche am Herzen umschwärmen und dasselbe nicht berühren, gehalten werden. Abgesondert und ohne Sympathie bei jener strengeren Klugheit, welche auf Erregung der Leidenschaften folgt, sehen wir nur Gestalt nach Gestalt wie die Schmetterlinge vorbeijagen, die uns nicht länger unter den Blumen blenden, welche ihren Duft für uns auf immer verloren haben.

Auf die eine oder die andere Weise erinnern uns diese Scenen ganz besonders an den Verlust unserer Jugend. Wir werden zu genau mit den jungen und kurz lebenden Vergnügungen in Berührung gebracht, die uns einst gefielen, und allen Reiz für uns verloren haben. Glücklich ist der Mann, welcher von der klimpernden Musik und von der Gallerie der Porträts sich hinwegwenden und an ein wachendes Auge und an ein gütiges Herz zu Hause denken kann. Allein sie, denen keine Häuslichkeit zu Theil ist (der Stamm ist zahlreich), fühlen sich niemals einsamere Eremiten oder traurigere Moralisten, als in solchem Gedränge.

Maltravers lehnte sich zerstreut an die Wand; vielleicht drangen solche Gedanken jetzt durch sein Inneres.«als die Federn wallten und die Diamanten um ihn glänzten. Zu stolz, um eitel zu sein, hatte ihm das Monstrari digito Mit dem Finger gezeigt werden. selbst im Beginn seiner Laufbahn nicht geschmeichelt. Jetzt bekümmerte er sich nicht um die Augen, die seinen Blick suchten, nicht um das bewundernde Gemurmel der Lippen, die gerne von ihm Etwas hören mochten. – Ernst Maltravers, als reich, aus alter Familie, als unverheirathet und noch in der Blüthe des Lebens, wäre schon an sich in den kleinen Provinzialkreisen der Gegenstand der Diplomatie für Mütter und Töchter geworden; der falsche Glanz des Ruhmes erhöhte nothwendig die Neugier und erweiterte den Kreis der Spekulanten und Bewunderer.

Plötzlich jedoch erweckte ein neuer Gegenstand Jedermanns Interesse; ein neues Geflüster drang durch die Versammlung und erweckte Maltravers aus seiner Träumerei. Er blickte auf und sah alle Augen auf eine Form »Form«. Anm.d.Hrsg. geheftet! Seine eigenen Augen begegneten denen der Miß Cameron!

Es war das erste Mal, daß er diese junge Schönheit in allem Glanz und Pomp als die Erbin des reichen Templeton sah – das erste Mal, daß er sie als das glänzendste Gestirn im Schwarm der Andern erblickte, welcher die Reize ihres Vermögens in ihrem Gesichte bewundert haben würden, wären auch ihre Züge unbedeutend gewesen. Als sie jetzt, von Jugend strahlend und mit erröthender Aufregung auf ihrer sanften Wange seinem Auge begegnete, sagte er zu sich selbst:

»Hätte ich mir eine Dame, die in der Welt so neu ist, als Gefährtin für mich wünschen können, für welchen Alles, was sie entzückt, langweilig und schaal geworden ist? Hätte ich mich jemals rechtfertigen können, wenn ich sie der Bewunderung entzog, welche für ihr Alter und Geschlecht so süße Schmeichelei besitzt? Oder hätte ich andererseits auf ihre Jahre zurückgehen und mit Gefühlen sympathisiren können, welche die Zeit mich verachten gelehrt hat? Besser so, wie es jetzt ist.«

Von diesen Gedanken erfüllt, enttäuschte und betrübte Maltravers durch die Art seines Grußes Evelinen, sie wußte nicht, weßhalb; sein Gruß war zurückhaltend und ernst.

»Sieht Miß Cameron nicht recht gut aus?« flüsterte Frau Merton, auf deren Arm die Erbin sich stützte; »bemerken Sie, welchen Eindruck sie macht?«

Eveline hörte dieß und erröthete, als sie einen verstohlenen Blick auf Maltravers warf. Etwas Schwermüthiges lag in der Bewunderung, welche aus seinen tiefen, ernsten Augen sprach.

»Ueberall,« sagte er ruhig und in demselben Tone. »überall, wo Miß Cameron erscheint, muß sie alle Andern überstrahlen.« Er wandte sich an Eveline und sprach mit Lächeln: »Sie müssen es erlernen, sich gegen Bewunderung abzuhärten; nach einem oder zwei Jahren werden Sie nicht mehr über Ihre eigenen Gaben erröthen!«

»Auch Sie tragen dazu bei, mich zu verziehen; pfui!«

»Lassen Sie sich so leicht verziehen? Treffe ich Sie später, so werden Sie glauben, meine Complimente seien kalt gegen die gewöhnliche Sprache Anderer.«

»Sie kennen mich nicht; vielleicht werden Sie mich niemals kennen lernen.«

»Ich bin zufrieden mit den schönen Seiten des Buches, die ich schon gelesen habe.«

»Wo ist Lady Raby?« fragte Frau Merton; »ah, dort – Eveline, meine Theure, wir müssen uns unserer Gastgeberin vorstellen.«

Die Damen gingen fort. Als Maltravers zunächst einen Blick von Eveline auffing, war sie bei Lady Raby und Lord Vargrave an ihrer Seite.

Das Geflüster um Maltravers ward lauter.

»Sehr liebenswürdig! – Noch dazu so jung! – Soll sie wirklich an Lord Vargrave verheirathet werden? Er ist ja viel älter als sie; wahrhaftig, ein Opfer!«

»Wohl nicht, er ist so angenehm und noch so hübsch. Wissen Sie aber gewiß, daß die Sache abgemacht ist?«

»Ja, Lord Raby selbst hat es mir gesagt. Die Verheirathung wird bald stattfinden.«

»Wissen Sie denn, wer die Mutter war? Ich kann es nicht herausbringen.«

»Nichts Besonderes. Sie wissen, der verstorbene Lord Vargrave war ein Mann von niedriger Geburt. Ich glaube, sie war eine Wittwe seines eigenen Ranges; sie lebt ganz in der Einsamkeit.«

»Wie geht's, Herr Maltravers? Erfreut, Sie zu sehen,« sprach die schnelle und durchdringende Stimme der Frau Hare. »Schöner Ball – Niemand arangirt Derartiges so schön, als Lord Raby – tanzen Sie nicht?«

»Nein, Madame.«

»Ihr jungen Herren seid jetzt so fein geworden!« (auch auf das Wort ›jung‹ legte Frau Hare einen großen Nachdruck; sie glaubte nämlich, ein sehr elegantes Compliment gemacht zu haben, und sprach weiter mit gesteigerter Selbstgefälligkeit): »Ich höre, Sie wollen Burleigh an Lord Doltimore vermiethen. – ist das wahr?«

»Nein!«

»Wahrhaftig, was die Leute für Geschichten erzählen. Ein eleganter Mann, Lord Doltimore! Ist es wahr, daß Miß Caroline Seine Lordschaft heirathen wird? Große Heirath! – Keine Klatscherei, wie ich hoffe. Sie werden mich entschuldigen! Zwei Heirathen im Werke – aufregende Dinge für unsere langweilige Grafschaft – Lady Vargrave und Lady Doltimore, zwei neue Pairinnen – welche halten Sie für die schönste? Miß Merton ist die schlankste, aber es liegt etwas Hochmütiges in ihren Augen? Glauben Sie das nicht? Beiläufig gesagt, ich wünsche Ihnen Glück. Sie werden mich entschuldigen.«

»Sie wünschen mir Glück, Madame?«

»O, Sie sind so zurückhaltend! Mein Mann sagt, er wolle Sie unterstützen. Sie werden alle Damen für sich haben. Wahrhaftig, Lord Vargrave will tanzen! Wie alt wird er sein?

Maltravers äußerte ein hörbares »Pah« und ging fort; allein seine Buße war noch nicht vorüber. Lord Vargrave tanzte zwar nicht gern, hielt es aber doch für klug, Eveline um ihre Hand zu ersuchen. Eveline konnte keine abschlägige Antwort geben. Als nun die Gesellschaft um die Tanzenden einen Kreis bildete, mußte Maltravers neue Ausrufungen über Evelinens Schönheit und Vargrave's Glück vernehmen. Ungeduldig wandte er sich von diesem Ort hinweg, mit der nagenden Pein im Herzen, die allein der Eifersüchtige kennt. Er sehnte sich, fortzugehen, besorgte aber, dadurch Aufsehen zu erregen. Es war das letzte Mal, daß er Eveline sehen würde, vielleicht auf Jahre lang; das letzte Mal, daß er sie als Miß Cameron sehen würde!

Er ging in ein anderes Zimmer, welches von Allen, mit Ausnahme vier alter Herren, die Whist spielten, verlassen war; Cleveland war einer derselben. Dort warf er sich auf eine Ottomane, die an einem Nebenfenster stand. Von den Vorhängen halb verborgen, vertiefte er sich dort in seine Gedanken. Sein Herz war betrübt; er hatte noch niemals zuvor so tief und leidenschaftlich seine Liebe zu Eveline empfunden, noch niemals zuvor ein solches Gefühl gehegt, wie fest jene Dame mit seinem Herzen verwachsen war. Sonderbar, daß ein so junges Mädchen, von dem er so wenig gesehen hatte und auch dieses Wenige unter so ruhigen und alltäglichen Verhältnissen, eine so starke Leidenschaft bei einem Manne erweckte, welcher bereits so strenge Prüfungen und heftige Aufregungen durchgemacht hatte! Allein die Entstehung jeder Liebe ist seltsam. Die Einsamkeit, worin Maltravers lebte, die Abwesenheit jeder andern Aufregung hatte vielleicht bedeutend dazu beigetragen, die Flamme anzufachen. Seine Liebe hatte so lange geruht, und nach langem Schlaf erwachen die Leidenschaften mit riesenmäßiger Kraft. Er empfand jetzt, daß die letzte Rose des Lebens für ihn blühe; sie war schon in der Geburt verwelkt, ließ sich aber niemals wieder ersehen. Von jetzt an mußte er allein sein – die Hoffnungen der Häuslichkeit waren für immer entschwunden und andere Thätigkeit des Geistes und der Seele, Literatur, Vergnügen und Ehrgeiz waren schon in demjenigen Alter abgeschworen, worin die Menschen ihnen sich hauptsächlich hingehen. O Jugend! Beginne nicht zu bald deine Laufbahn und laß eine Leidenschaft auf die andere in gehöriger Ordnung folgen, so daß jede Zeit des Lebens ihre passende Beschäftigung und ihren Reiz hat!

Stunden verschwanden. Maltravers rührte sich nicht; sein Nachsinnen ward auch nicht weiter gestört, als daß nur die vier alten Herren gelegentliche Ausrufungen vernehmen ließen, wenn sie unter sich über die Launen des Kartenspiels moralisirten.

Zuletzt hörte er dicht neben sich eine Stimme, deren leisester Schall ihm das Blut durch die Adern treiben konnte; von seinem verborgenen Ort aus sah er Caroline und Eveline in der Nähe sitzen.

»Ich bitte Sie um Verzeihung,« sagte die erstere, »ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Sie hinwegrief, allein ich sehnte mich, Ihnen Mittheilungen zu machen. Der Würfel ist gefallen; Lord Doltimore hat mir seine Hand angetragen und ich habe sie angenommen – – ach, ich wünschte beinahe, daß ich zurücktreten könnte.«

»Meine liebste Caroline,« sprach die silberne Stimme der Eveline; »um des Himmels willen, beschließen Sie nicht leichtsinnig über Ihr eigen Glück! Sie thun sich unrecht, Caroline! Sie besitzen nicht den eitlen, ehrgeizigen Charakter, den Sie vorgeben! – Was erstreben Sie – Reichthum? Sind Sie nicht meine Freundin? Bin ich nicht für Beide reich genug – Rang? Kann er Ihnen das Elend einer Ehe ohne Liebe ausgleichen? Verzeihen Sie mir, daß ich so rede; halten Sie mich nicht für anmaßend oder romantisch, ich weiß von meinem eigenen Herzen, was das Ihrige dulden muß.«

Caroline drückte die Hand ihrer Freundin mit Rührung.

»Eveline, Sie sind eine schlimme Trösterin; meine Mutter und mein Vater werden eine ganz verschiedene Lehre predigen; ich bin wirklich thöricht mit meinem Kummer, da ich das Ziel, welches ich erstrebte, erreicht habe. Armer Doltimore! Er kennt wenig den Charakter und das Gefühl derjenigen, die er zur Glücklichsten ihres Geschlechtes gemacht zu haben glaubt.« Caroline schwieg, ward blaß wie der Tod und fuhr dann mit schwacher Stimme fort: »Sie, Eveline, werden dasselbe Schicksal haben, wir werden es zusammen ertragen.«

»Nein, nein! Glauben Sie das nicht; ich vergebe meine Hand nicht, ohne auch mein Herz zu vergeben.«

In diesem Augenblicke richtete sich Maltravers etwas auf und seufzte hörbar.

»Still,« sagte Caroline erschreckt; in demselben Augenblicke brach der Whisttisch auf und Cleveland trat mit den Worten zu Maltravers:

»Ich stehe zu Ihren Diensten, ich weiß, daß Sie nicht bis zum Abendessen bleiben. Sie werden mich im nächsten Zimmer treffen; ich will nur ein paar Worte mit Lord Saxingham sprechen.« – Der galante, alte Herr machte darauf den Damen ein Compliment und ging fort.

»So, auch Sie sind ein Deserteur vom Balle,« sagte Miß Merton zu Maltravers, als sie aufstand.

»Ich befinde mich nicht ganz wohl; lassen Sie sich aber durch mich nicht verscheuchen.«

»O nein, ich höre die Musik; es ist die letzte Quadrille vor dem Abendessen, und hier steht mein glücklicher Tänzer und sieht sich nach mir um.«

»Ich habe Sie überall gesucht,« sprach Lord Doltimore mit dem Tone des zarten Vorwurfs; »kommen Sie, wir werden beinahe zu spät anlangen.«

Caroline schlang ihren Arm in den des Lord Doltimore, die mit ihr in das Ballzimmer eilte.

Miß Cameron sah unentschlossen aus, ob sie bleiben oder folgen sollte, als Maltravers sich zu ihr setzte, die Blässe seiner Stirn und ein Ausdruck der Pein in den zusammengedrückten Lippen ging ihr zu Herzen. In ihrer kindlichen Zärtlichkeit hätte sie Alles hingeben mögen für das Vorrecht einer Schwester zu Mitgefühl und zur Tröstung. Das Zimmer war jetzt verlassen und Beide allein.

Die Worte, die er von Evelinens Lippen gehört hatte: »Wenn ich meine Hand vergebe, vergebe ich auch mein Herz,« legte Maltravers nur in dem Sinne aus, daß sie ihren Verlobten liebe. So sonderbar es auch scheinen mag, so empfand er doch bei dem Gedanken, welcher sein endliches Schicksal besiegelte, weniger Schmerz, als tiefes Mitleid. So jung, so beliebt, so in Versuchung geführt wie sie – und mit solchem Beschützer! Mit dem kalten, gefühllosen, herzlosen Vargrave! Sie, deren Gefühl so warm stets auf ihrer Lippe und in ihren Augen zittert. Ach, wie herb würde ihr Schicksal und wie groß ihre Gefahr sein, wenn sie aus ihrem Traum erwachte und denjenigen erkennen würde, welchen sie liebte.

»Miß Cameron,« sagte Maltravers, »erlauben Sie, daß ich Sie einen Augenblick aufhalte; ich will mich nicht lange Ihnen aufdrängen. Darf ich mir noch einmal und zum letztenmal das strenge Recht der Freundschaft anmaßen? Miß Cameron, ich habe viel vom Leben gesehen und meine Erfahrung theuer erkauft; vielleicht bin ich hart und einsiedlerisch geworden, jedoch habe ich dasjenige Gefühl noch nicht überlebt, das zu erregen Sie geschaffen sind. Nein« (Maltravers lächelte schwermüthig) »ich will Ihnen kein Compliment, keine Schmeichelei sagen; ich rede nicht mit Ihnen, wie die Jugend zur Jugend; die Verschiedenheit der Jahre, welche der Schmeichelei die Süße benimmt, läßt der Freundschaft die Aufrichtigkeit. Sie haben mir ein tiefes Interesse eingeflößt; ein tieferes, als ich jemals dachte, daß lebendige Schönheit mir wiederum erwecken könnte! Vielleicht, daß etwas im Tone Ihrer Stimme, in Ihrem Benehmen, eine namenlose Anmuth, die ich nicht bestimmt bezeichnen kann, mich an eine Dame erinnert, die ich in der Jugend kannte; eine Dame, die nicht Ihre Vortheile der Erziehung, der Geburt und des Reichthums besaß, gegen die aber die Natur gütiger war, als das Glück.«

Er schwieg einen Augenblick, und ohne aufzublicken begann er dann auf's Neue:

»Sie betreten das Leben unter glänzenden Umständen, lassen Sie mir die Hoffnung, daß Ihr Mittag die Versprechungen des Morgens halten wird! Sie sind für Gefühl empfänglich und von lebhafter Einbildungskraft, verlangen Sie nicht zu viel und überlassen Sie sich nicht zärtlichen Träumereien. Wenn Sie verheirathet sind, so glauben Sie nicht, daß die Ehe ihrer Prüfungen und Sorgen entbehrt; wenn Sie sich geliebt wissen (und dieß wird sicherlich der Fall sein), so verlangen Sie nicht von dem geschäftigen und ängstlichen Geist Ihres Mannes, was die Romantik verspricht, aber das Leben selten gewährt. Und ach!« fuhr Maltravers fort, indem eine ernste Leidenschaft ihn erfüllte und seine Worte mit beinahe athemloser Schnelle ihm eingab: »Empört sich je Ihr Herz, und ist es jemals unzufrieden, so fliehen Sie dieß falsche Gefühl wie eine Sünde! In die große Welt voll tausend Gefahren geworfen, wie dieß bei Ihrem Range der Fall sein muß – mit keinem beharrlicherern und sicherern Führer, als Ihre Unschuld, befreunden Sie sich dieser Welt nicht zu sehr! Wäre es möglich, daß Ihre Häuslichkeit jemals einsam oder unglücklich sein könnte, so bedenken Sie, daß die unglücklichste Häuslichkeit für ein Weib glücklicher ist, als alle Aufregung außerhalb jener. Später werden sich tausend Bewerber Ihnen nahen; glauben Sie mir, die Wespe lauert unter der Zunge des Schmeichlers. Nehmen Sie sich fest vor, was auch kommen mag, mit Ihrem Loose zufrieden zu sein. Wie Viele habe ich schon gekannt, rein und liebenswürdig wie Sie, welche gerade durch ihre Neigungen, durch ihre natürliche Schönheit sich zum Untergange hinreißen ließen. Hören Sie auf mich als einen Warnenden, als einen Bruder, welcher die See bereits befahren hat, worauf Ihr Schiff erst hinausgelassen wird. Lassen Sie mich immer wissen, in welchen Ländern Ihr Name mich auch erreichen wird, daß eine Dame, welche in mir allen meinen Glauben an menschliche Vorzüglichkeit wieder erweckt hat, der Ruhm Ihres Geschlechtes bleibt, während sie der Abgott des unseren ist. Verzeihen Sie mir diese sonderbare Zudringlichkeit, mein Herz ist voll und mußte überfließen. Und jetzt, Miß Cameron – Eveline Cameron, dieß ist das letzte Mal, daß ich Ihnen Anstoß gebe, leben Sie wohl.«

Er streckte seine Hand aus; unbewußt drückte Eveline dieselbe, als wolle sie ihn zurückhalten, bis sie Worte zur Erwiderung finden würde. Plötzlich vernahm er Lord Vargrave's Stimme hinter sich. Der Zauber war gebrochen; im nächsten Augenblick war Eveline allein; das Gedränge wogte in das Zimmer zum Banket; Lachen und heitere Stimmen ließen sich vernehmen, und Lord Vargrave war wieder Evelinen zur Seite.


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