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Zweites Kapitel.

Die Leidenschaft, oft ward's erlebt
Zuletzt in Mißmuth sich begräbt;
Drum, um das Glück nicht zu verpesten,
Fort rannt' ich von den frohen Gästen. Dieser Teil des Mottos fehlt in Kottenkamps Übersetzung; er wurde nach der Übersetzung von Gustav Pfizer ergänzt. Anm.d.Hrsg.
– – – – – – – – – – – –
Und Nymphen dort aus hohlen Eichen
Verkünden, was die Zeiten reichen.

      Math. Green.

 

Seiner Angabe gemäß frühstückte Lord Vargrave am nächsten Morgen in Burleigh. Maltravers bemühte sich zuerst, seine vertraute Herzlichkeit mit gleicher Freundlichkeit zurückzugeben. Indem er sich selbst wegen seines früheren, unbegründeten Verdachts verurtheilte, kämpfte er gegen ein Gefühl an, das er sich nicht erklären konnte oder wollte, wodurch Lumley ein unwillkommener Besucher und mit peinlichen Ideenverbindungen, sowohl für die Gegenwart als die Vergangenheit, verknüpft war. Es gab jedoch gewisse Punkte, wobei Maltravers' durchdringender Blick seine Abneigung zu rechtfertigen schien.

Das Gespräch, welches hauptsächlich von Cleveland und Vargrave geführt wurde, betraf hauptsächlich öffentliche Fragen; während der Eine dem Andern opponirte, bot Vargrave's Darlegung von Ansichten und Beweggründen so viel Selbstsucht des Ministers, daß dadurch Jeder hätte beleidigt werden können, welcher eine Färbung von der hohen Manie politischen Don-Quixotismus besaß. Mit sonderbarer Mischung von Gefühlen hörte Maltravers zu; in einem Augenblicke wünschte er sich mit Stolz Glück, daß er eine Laufbahn verlassen habe, wo solche Meinungen zu gedeihen schienen; im andern erweckten seine besseren und gerechteren Empfindungen sein lange Zeit schlafendes Vermögen zum Kampfe, und er sehnte sich beinahe nach dem unruhigen, aber erhabenen Kampfplatze, wo die Wahrheit verfochten und der Fortschritt des Menschengeschlechts befördert wird.

Die Unterredung veranlaßte nicht die Erneuerung der Vertrautheit, welche Vargrave zu suchen schien. Maltravers war froh, als der Minister sich empfahl.

Lumley, welcher eine Morgenvisite bei Lord Doltimore beabsichtigte, hatte Herrn Mertons Cabriolet geliehen, weil dasselbe besser als eine schwere Equipage die vielen Nebenwege passiren konnte, welche zum Hause des Admirals führten; als er sich auf den kleinen Sitz, mit seinem Diener zur Seite, zurecht legte, sagte er lachend: »Ich fühle mich jetzt beinahe wieder als jungen Burschen in dieser zweiräderigen Nußschale – ohne Würde, aber rasch.«

Lumley's Antlitz zeigte, als er die Worte sagte, so viel munteren Freimuth und sein Benehmen war so einfach, daß Maltravers nur mit Schwierigkeit in ihm denselben Mann erkannte, welcher einige Minuten zuvor Gedanken geäußert hatte, wie sie nur ein verhärteter und alter Intriguant im Treibhause des Ehrgeizes jemals fassen konnte.

So bald Lumley fort war, ließ Maltravers Cleveland allein, weil dieser Briefe zu schreiben hatte (Cleveland war ein exemplarischer und sehr eifriger Correspondent), und streifte mit seinen Hunden im Dorfe umher. Die Wirkung, welche die Gegenwart von Maltravers unter seinen Bauern hervorbrachte, verfehlte selten, seine bitteren und verstörten Gedanken zu erfrischen und zu besänftigen. Die Bauern hatten allmälig (denn die Armen sind scharfsichtig) seine Gerechtigkeit erkannt – eine schönere Eigenschaft, als diejenigen, welche liebenswürdig erscheinen. Sie erkannten wohl, daß sein wirklicher Zweck darauf ziele, sie besser und glücklicher zu machen; sie hatten bemerkt, daß die von ihm angewandten Mittel gewöhnlich zum Ziele führten; außerdem war er niemals eigensinnig oder unvernünftig, wenn auch bisweilen finster. Dazu noch pflegte er geduldig zu hören und gütig zu rathen. Die Leute waren ein wenig scheu gegen ihn, allein dieß wirkte nur darauf hin, sie fleißiger und ordentlicher zu machen, den Faulen anzuregen und den Trunkenbold zu bessern.

Er hing dem System der kleinen Pachtungen an, das er zwar nicht als untrüglich, aber als ein großes Reizmittel zur Thätigkeit und Unabhängigkeit betrachtete; seine Belohnung für gutes Benehmen bestand in solchen Bequemlichkeiten, welche unter den bisher Leidenden, Stumpfen und Hoffnungslosen den Wunsch, ihre Lage zu verbessern, erweckten. Auf die eine oder andere Weise erkannte die gute Frau, ohne daß sie Almosen erhielt, ihre kleinen Ersparnisse im zerbrochenen Theetopf oder im alten Strumpfe hätten sich seit der Rückkehr des Gutsherrn sehr vermehrt, während ihr Mann nüchterner und in besserer Stimmung aus dem Wirthshause kam. Die vorhandene Ersparniß war ein Grund, die Summe zu vermehren. Auch war die neue Schule weit besser geleitet, als die alte; die Kinder gingen wirklich gern hinein; dann und wann wurden kleine Dorffeste mit der Schule verbunden; Spiel und Arbeit wurden so angenehm vereinigt.

Maltravers besah die Hütten und die kleinen Pachtungen; es war ihm angenehm, sich selbst sagen zu können: »Ich bin im Leben doch nicht ganz ohne Nutzen.« Als er aber seinen einsamen Spaziergang fortsetzte und als der Strahl der Selbstbilligung mit den Scenen erstarb, welche denselben hervorgerufen hatten, senkte sich die Wolke wieder auf seine Stirn; er empfand wieder, daß die Leidenschaften in der Einsamkeit am Herzen nagten. Als er so durch den engen, von Hecken begrenzten Pfad wandelte, während die Insekten des Sommers laut im schattigen Laube und im dichten Grase an beiden Seiten summten, kam er plötzlich auf eine kleine Gruppe, die all' seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Dort wurde ein in Lampen gekleidetes, blutendes und scheinbar in Ohnmacht liegendes Weib vom Aufseher des Kirchspiels und einem Arbeiter getragen.

»Was gibt's?« fragte Maltravers.

»Ein armes Weib ist von einem Herrn in einem Cabriolet überfahren worden,« erwiderte der Aufseher. »Vor einer halben Stunde hielt er vor meinem Hause, um mir zu sagen, daß die Frau auf der Straße liege. Er gab mir für sie zwei Souvereigns. Das arme Geschöpf! Sie war zu schwer für mich und ich war gezwungen, sie hier zu lassen und Tom zu rufen, damit er mir helfe.«

»Der Herr hätte wohl bleiben können, um die Folgen seiner Handlung zu sehen,« murmelte Maltravers vor sich hin, als er die Wunde am Schlafe »an der Schläfe«. Anm.d.Hrsg. untersuchte, woraus das Blut reichlich hervorrann.

»Er sagte, er habe große Eile.« sprach der Dorfbeamte, der die Worte von Maltravers gehört hatte. »Ich glaube, er gehört zu den vornehmen Leuten in der Pfarrei, denn ich wußte, es sei Herrn Mertons Brauner; – das ist ein rascher Herr!«

»Wohnt das arme Weib in der Nachbarschaft – kennt Ihr sie?« fragte Maltravers, indem er sich von der Betrachtung dieses neuen Beispiels der Selbstsucht Vargrave's abwandte.

»Nein! Das alte Weib scheint hier fremd zu sein; eine Landstreicherin oder eine Bettlerin, wie ich glaube. Indeß, wir brauchen sie doch nicht zu unterhalten, wenn wir sie hereinnehmen. Wir können sie zum Wirthshaus in's Dorf bringen. Euer Gnaden.«

»Was ist das nächste Haus? Euer eigenes?«

»Ja, aber wir sind jetzt so beschäftigt!«

»Sie soll nicht in Euer Haus und vernachlässigt werden; das Wirthshaus ist zu lärmend. Wir müssen sie in die Halle »ins Schloss«. Anm.d.Hrsg. schaffen.«

»Euer Gnaden!« rief der Aufseher aus, indem er die Augen weit aufriß.

»Es ist nicht weit, die Frau ist schwer verletzt, verschafft Euch eine Bahre und legt eine Matraze darauf; ich will warten, bis Ihr wiederkehrt.«

Die arme Frau ward sorgfältig auf das Gras am Wege gelegt, während die Beiden forteilten, seinen Befehlen zu gehorchen.


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