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Zweites Kapitel.

Du sollst Horaz sein, und Tullius ich.

      Pope.

 

Lord Vargrave wurde in seinem Nachsinnen durch das Eintreten des Lord Saxingham gestört.

»Sie sind willkommen,« sagte Lumley. »Sie sind gerade der Mann; den ich zu sehen wünschte.«

Lord Saxingham, der sich wenig verändert hatte, seitdem wir ihn zum letzten Male in dem vorhergehenden Theile dieses Werkes antrafen, mit Ausnahme; daß er etwas blässer und dünner geworden war, und daß sein Haar das Eisgrau mit der Schneeweiße vertauscht hatte, – Lord Saxingham warf sich in den Lehnstuhl neben Lumley und erwiderte:

»Vargrave, wie verdrießlich, daß unsere eigenen Anhänger uns stets so kontroliren! Ich kann die neugebackene Politik nicht begreifen. – Diese Einrichtung von Maßregeln, um der Opposition zu gefallen; und Bissen dem tausendköpfigen Ungeheuer, öffentliche Meinung genannt, hinzuwerfen! Gewiß; das nimmt einen schlimmen Ausgang!«

»Ich bin davon überzeugt,« antwortete Lord Vargrave, »alle Kraft und Einigkeit scheint uns verlassen zu haben! Setzt man gegen unsern Willen die *** Frage durch, so weiß ich nicht, was zu thun ist.«

»Was mich betrifft,« sagte Lord Saxingham sehr mürrisch, »so nehme ich meine Entlassung; es ist die einzige Wahl, welche Männern von Ehre noch übrig bleibt.«

»Sie haben Unrecht; ich kenne noch eine andere Wahl.«

»Wie so?«

»Bilden Sie selbst ein Kabinet! Sehen Sie, mein theurer Lord; man hat Sie mißhandelt. Man geht mit Ihrem hohen Charakter, Ihrer langen Erfahrung sehr verächtlich um. Sie sind beschimpft und mit Ihnen Ihre Stellung. Sie nur Siegelbewahrer! Sie sollten Premier-Minister sein! Lassen Sie sich von mir leiten, so werden Sie Premier-Minister.«

Lord Saxingham erröthete und seufzte.

»Lumley, Sie haben mir schon oft den Wink gegeben; allein Sie sind zu parteiisch, und mir zu sehr befreundet.«

»Durchaus nicht! Haben sie den Hauptartikel in der *** heute gelesen? Zwei andere werden nach fünf Stunden in den Abendblättern folgen. Wir haben einen Halt in der Presse, im Unterhause und am Hofe. Wir müssen nur zusammenhalten. Diese *** Frage, wodurch sie sich was vom Halse zu schaffen hoffen, soll sie zu Grunde richten. Noch in diesem Jahre werden Sie Premier-Minister. Wahrhaftig, das sollen Sie werden! – Aber alsdann hoffe ich auch in's Kabinet zu kommen.«

»Aber wie das Alles – wie? – Lumley; Sie sind zu rasch, zu keck.«

»Bis jetzt ist dieß nicht mein Fehler gewesen. Keckheit aber wird bei unsern Umständen zur Vorsicht. Drängt man uns jetzt fort, so sehe ich den unvermeidlichen Gang der Ereignisse. Wir sind auf Jahre lang, vielleicht für unser ganzes Leben von der Regierung ausgeschlossen. Das Kabinet wird sich von unsern Grundsätzen und von unserer Partei immer mehr entfernen. Jetzt müssen wir einen festen Stand einnehmen; jetzt müssen wir uns erheben oder verderben. Ich reiche meine Entlassung nicht ein. Der König ist für uns; bald soll man unsere Kraft erkennen. Diese stolzen Einfaltspinsel sollen in die Schlinge fallen, die sie uns gelegt haben.«

Lumley sprach mit Wärme und mit dem Selbstvertrauen eines Menschen, der des Erfolges gewiß war. Lord Saxingham ward aufgeregt; glänzende Traumgestalten flatterten an ihm vorüber. – Die Stelle eines Premier-Ministers, ein Herzogthum! Er war aber alt und kinderlos, seine Ehren mußten mit ihm, dem letzten der Saxingham aussterben.

»Sehen Sie.« fuhr Lumley fort, ich habe unsere Hülfsquellen so genau berechnet, wie ein Agent bei Wahlen die Listen der Stimmenden entwerfen würde. In der Presse haben wir uns *** und *** gesichert; im Unterhause haben wir den gewandten ***, den kräftigen ***, und alle Stimmen, worüber *** verfügt; im Kabinet haben wir**; Sie kennen unsere Kraft bei Hofe. Lassen Sie uns unsern Augenblick wählen. – ein plötzlicher coup, »eine Unterredung mit dem Könige – eine Darlegung unserer gewissenhaften Bedenklichkeiten über diese niederträchtige Maßregel. – Ich kenne die eitele, starre Seele des Premier-Ministers; er wird zornig werden und seine Entlassung einsenden; zu seinem Erstaunen wird diese dann angenommen. Alsdann läßt man Sie rufen; wir lösen das Parlament auf – wir spannen jeden Nerv in den Wahlen an; wir haben sicherlich Erfolg. Mittlerweile sein Sie aber still und vorsichtig; kein Wort darf Ihnen entwische; erwecken Sie bei Jenen den Glauben, wir seien geschlagen; schläfern Sie jeden Verdacht ein; beklagen wir unsere Schwäche und lassen einige Worte fallen, wir würden unsere Entlassung einsenden, dabei aber die Versicherung geben, wir würden auch ferner die Minister unterstützen. Ich weiß, wie wir die Herren blenden müssen, wenn Sie mir nur die ganze Sache überlassen.«

Der schwache Geist des alten Grafen war eine Marionette in der Hand seines schlauen Verwandten. In einem Augenblick hegte er Furcht, im anderen Hoffnung; bald war sein Ehrgeiz erregt, bald war sein Ehrgefühl beunruhigt. Die Intrigue Lumley's, die Regierung, woran er Theil nahm, zu verdrängen, bot etwas Listiges und Niedriges, welches Lord Saxingham, dessen persönlicher Charakter der eines trefflichen Mannes war, durchaus nicht billigen konnte. Allein Vargrave beschwatzte ihn mit vollendeter Gewandtheit, und als Beide sich trennten, trug der Graf seinen Kopf um einige Zoll höher; er bereitete sich für sein Steigen im Leben.

»Das ist gut,« sagte Lumley, als er allein gelassen, sich die Hände rieb. – »Der alte Narr wird mein Stellvertreter sein, bis Jahre und Ruf mich zu seinem Nachfolger befähigen. Mittlerweile werde ich in Wirklichkeit derjenige sein, dessen Titel er führt.«

Jetzt trat Lord Vargrave's wohlgenährter Diener, welcher mittlerweile zur Würde eines Herrn von Stande und eines Verwalters vorgerückt war, mit einem Briefe in der Hand ein, Das Aussehen des Briefes war von schlimmer Vorbedeutung; er war nur mit einer Oblate versiegelt, das Papier bläulich, die Handschrift die eines Kaufmanns; ein Couvert war nicht vorhanden. Der Brief zeigte schon von außen ein höllisches Aussehen; es war ein Mahnbrief.

Lumley eröffnete das Schreiben mit einem verdrießlichen Pah! Der Schreiber war ein Silberarbeiter (Lumley's Silbergeschirr wurde allgemein sehr bewundert), hatte schon Jahre lang vergeblich um Bezahlung gemahnt; die Summe war groß; jetzt wurde mit Execution gedroht – mit Execution! – Eine Lumperei für einen Reichen, allein nicht für ihn, den man als arm beargwöhnte, welcher gerade in dem Augenblick nach einem so hohen Ziele strebte, dem ferner die öffentliche Meinung so nothwendig war, welcher sehr wohl wußte, daß ihn nur jener Titel, und auch kaum noch dieser, vor dem Rufe eines Abenteurers rettete! Er mußte wieder zu Geldverleihern seine Zuflucht nehmen. Sein kleines Vermögen war schon zu sehr verpfändet, um neue Sicherheit zu bieten. Wucher und wieder Wucher! Er kannte dessen Preis; er seufzte – aber was war zu thun?

»Nur noch wenige Monate und Eveline muß mein sein; Saxingham hat mir schon geliehen, soviel er konnte; jetzt ist er selbst in Verlegenheit. Dieses verdammte Amt, was ist das für eine Taxe! Und die Schurken sagen noch, daß wir zu hoch bezahlt sind! Ich noch dazu, der ich in einer Dachstube glücklich leben könnte, wenn dieß geldstolze England nur erlaubte, daß man sein Einkommen nicht überschreitet! Ha, mir fällt mein Mitcurator ein, der Bankier, meines Oheims alter Correspondent! Der Gedanke ist gut. – Er kennt die Bedingungen des Testaments! Er weiß, daß ich wenigstens 30 000 Pfund erhalte, wenn ich noch einige Monate länger lebe!«


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