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Neuntes Kapitel.

Ein Rauch erhob sich aus dem
   Dampf von Seufzern.

      Shakespeare.

 

Es ist gewiß, daß Eveline für Maltravers Gefühle hegte, welche, wenn sie auch nicht in Liebe bestanden, doch irrthümlich dafür gehalten werden konnten. Ob es nun diese allbeherrschende Leidenschaft oder nur ein ihr ähnliches Gefühl, durch Phantasie erweckt war, so ist Liebe in erster Jugend und in unschuldigen Naturen, wenn plötzlich erscheinend, schon lange vorhanden, bevor sie sich als sichtbar zeigt. Eveline war vorbereitet worden, eine Theilnahme an ihrem einsam lebenden Nachbar zu empfinden. Seine Seele, wie sie in seinen Werken entwickelt war, hatte mitgewirkt, ihre eigene zu bilden. Ihr Abenteuer während ihrer Kindheit war nie vergessen worden. Ihre gegenwärtige Kenntniß des Maltravers war eine Vereinigung von gefährlichen und oft entgegengesetzten Ideenverbindungen – des Idealen und Realen.

Die Liebe in der ersten dunklen und unvollkommenen Form besteht allein in der Concentrirung der Einbildungskraft auf einen Zweck; sie ist ein Genius des Herzens, dem des Verstandes ähnlich; sie appellirt an Gefühle und Sympathien, die in unserer Natur verborgen lagen, erregt dieselben und ruft sie hervor. Ihr Seufzer ist der Geist, der sich auf den Wassern des Oceans regt und die Anadyomene in's Leben ruft. Deßhalb geschieht es, daß die Seele tiefere Neigung wie die der äußern Form hervorruft; deßhalb geschieht es, daß Frauen den Ruhm verehren, den berührbaren und sichtbaren Repräsentanten des Genius, dessen Wirkung sie nicht immer verstehen können. Der Genius hat mit der Liebe so viel gemein; die Einbildungskraft, welche den Einen belebt, ist so sehr das Eigenthum der Andern, daß es kein sichereres Zeihen vom Dasein des Genius gibt, als die Liebe, die er erschafft und als Erbe hinterläßt. Er dringt tiefer, wie der Verstand, er fesselt einen edleren Gefangenen, wie die Phantasie, er ertheilt dem Menschenherzen Schatten und Licht, wie die Sonne der Sonnenuhr. Nationen sind seine Verehrer und Freier; die Nachwelt lernt von seinen Orakeln zu träumen, zu streben, anzubeten!

Hätte Maltravers die Leidenschaft, die ihn verzehrte, eingestanden, so würde sie wahrscheinlich eine ähnliche hervorgerufen haben. Allein seine häufige Abwesenheit, sein zurückhaltendes Benehmen hatte darauf hingewirkt. Gefühle zu erdrücken, die in einem jungen und jungfräulichen Herzen selten mit großer Kraft fließen, bis man sie eingeladen und erweckt hat. Das Bedürfniß zu lieben ist vielleicht bei Mädchen von großer Kraft, wird aber durch ein anderes, das Bedürfniß geliebt zu werden, genährt! Wenn Eveline deßhalb gegenwärtig für Maltravers Liebe fühlte, so war dieselbe nicht in das Herz des Lebens gedrungen; der Baum hatte nicht so tiefe Wurzeln geschlagen, daß er Verpflanzung nicht hätte ertragen können. Sie hegte zu viel Stolz, um nicht vor dem Gedanken zurückzuschrecken, daß sie Liebe Jemandem ertheilen würde, welcher sie um diesen Schatz nicht gebeten habe. Der Neigung fähig, vertrauender und deßhalb, wenn auch weniger heftig, lieblicher und dauernder wie die Liebe, welche die kurze Tragödie der Florence Lascelles belebte, hätte die Liebe der Eveline nicht die unbekannte Correspondenz veranlassen, oder die Seele enthüllen können, weil die Züge eine Maske trugen.

Auch muß man zugestehen, daß Eveline noch in mancher Hinsicht zu jung und unerfahren war, um Alles, was in Maltravers als liebenswürdig und anziehend sich vorfand, durchaus zu würdigen. Im vierundzwanzigsten Jahre würde sich vielleicht keine Furcht mit ihrer Achtung gemischt haben; aber zwischen siebenzehn und sechsunddreißig ist ein zu großer Zwischenraum. Sie empfand nie, daß dieser Unterschied in Jahren vorhanden war, als bis sie Legard traf; alsdann begriff sie denselben plötzlich. Mit Legard stand sie gleich; er war nicht zu weise und zu hoch für ihre täglichen Gedanken. Er erregte weniger ihre Einbildungskraft und weniger ihre Achtung. Allein auf die eine oder andere Weise drang die Stimme, welche ihre Macht aussprach, das Auge, welches sich nie von dem ihrigen abwandte, tiefer in ihr Herz ein. Wie Eveline einst zu Caroline gesagt hatte: »Es ist ein großes Räthsel.« Ihre eigenen Gefühle waren ihr ein Geheimniß; sie lehnte sich an den »goldenen Wasserfall«, ohne ihr Bild auf den Spiegel des unten liegenden Teiches hinzuwerfen.

Maltravers erschien wieder in der Pfarrei. Er schloß sich den Gesellschaften derselben bei Tage an und brachte dort wie früher seine Abende zu. Ich weiß nicht genau, was hierin sein Beweggrund war; vielleicht kannte er denselben selbst nicht; vielleicht war sein Stolz erwacht; vielleicht konnte er den Gedanken nicht ertragen, daß Lord Vargrave sein Geheimniß durch eine sonst unerklärliche Abwesenheit errathen würde; er hätte diesen Triumph Vargrave's nicht ertragen können; vielleicht hegte er bei der strengen Beurtheilung seiner selbst die Einbildung, daß er schon alle liebevolle Theilnahme an Evelinens Schicksal überwunden habe, so daß er zu eitel auf seine eigene Kraft vertraute; vielleicht auch konnte er der Versuchung nicht widerstehen, daß er zu erschauen erstrebte, ob Eveline mit ihrem Loose zufrieden und Vargrave des ihn erwartenden Glückes würdig sei. Ob einer von diesen Beweggründen oder alle zusammen ihn bewogen, der Gefahr zu trotzen, ob er der Schwäche nachgab, oder ob er zu einem Verfahren einwilligte, welches, da ihn Eveline selbst eingeladen hatte, beinahe eine sociale Nothwendigkeit war: dieß mag der Leser und nicht der Erzähler entscheiden.

Legard war abgereist; Doltimore blieb in der Nachbarschaft, nachdem er sich ein Jagdhaus nicht fern von Sir John Mertons Gütern gemiethet hatte, wo er die Erlaubniß zu jagen leicht erhielt. Wenn er sonst nicht anderswo speiste, so fand er immer ein Gedeck an dem gastfreien Tische des Pfarrers, und dieser Platz war gewöhnlich neben Caroline. Herr und Frau Merton hatten alle Hoffnung auf Maltravers hinsichtlich ihrer ältesten Tochter aufgegeben, und sonderbarerweise faßten sie diese Ueberzeugung am ersten Tage ihrer Bekanntschaft mit dem jungen Lord.

»Meine Theure,« sagte der Pfarrer, als er seine Uhr aufzog, bevor er sich in's Ehebett begab; »ich glaube nicht, daß Herr Maltravers heirathet.«

»Ich wollte gerade dieselbe Bemerkung machen,« sagte Frau Merton, indem sie die Betttücher über sich herzog. »Lord Doltimore ist ein sehr hübscher junger Mann, seine Güter sind noch ganz schuldenfrei.«

»Ich habe ihn außerordentlich gern, meine Theure; er ist offenbar in Caroline verliebt, wie uns Lord Vargrave und Frau Hare sagten.«

»Frau Hare ist ein verständiges, schlaues Weib; beiläufig gesagt, wir wollen ihr eine Ananas schicken; Caroline ist zu einer Dame von Rang geschaffen!«

»Allerdings, sie besitzt so viel Selbstbeherrschung.«

»Und wenn Herr Maltravers Burleigh verkaufen oder vermiethen wollte!«

»Das wäre sehr angenehm.«

»Wollen Sie nicht Caroline darüber einen Wink geben?«

»Mein Theurer, sie ist so verständig; lassen Sie unsere Tochter ihren eigenen Weg gehen.«

»Sie haben Recht, meine theure Betsy; ich habe stets gesagt, daß Niemand gesunderen Verstand wie Sie besitze; Sie haben unsere Kinder vortrefflich aufgezogen!«

»Theurer Karl!«

»Es ist etwas kalt heute Nacht,« sagte der Pfarrer, als er das Licht löschte.

Von jener Zeit an war es nicht der Fehler des Herrn und der Frau Merton, wenn Lord Doltimore nicht ihr Haus für das angenehmste in der Grafschaft hielt.

 

Eines Abends war die Gesellschaft in der Pfarrei in dem heiteren Besuchzimmer versammelt. Cleveland, Herr Merton, Sir John und Lord Vargrave (letzterer wider seinen Willen gezwungen, den vierten Mann abzugeben) saßen am Whisttische; Eveline, Caroline und Lord Doltimore am Feuer, und Frau Merton arbeitete an einem Schemel. Das Feuer brannte hell; die Vorhänge waren heruntergelassen, die Kinder zu Bett. Es war ein Familienbild eleganter Behaglichkeit.

Herr Maltravers ward gemeldet.

»Ich freue mich, daß Sie endlich gekommen sind,« sagte Caroline, indem sie ihm ihre schöne Hand reichte. »Herr Cleveland konnte für Sie nicht einstehen. Wir sprachen gerade davon, welche Lebensweise wohl die glücklichste sei.«

»Und Ihre Meinung?« fragte Maltravers, indem er sich auf einen leeren Stuhl setzte (dieser stand zufällig Evelinen am nächsten).

»Meine Meinung ist entschieden zu Gunsten Londons für ein Leben in der Hauptstadt mit deren fortwährenden und angenehmen Aufregungen, mit der besten Musik, der besten Gesellschaft, kurzum allen Dingen am besten. Das Leben auf dem Lande ist so einförmig seine Vergnügungen so langweilig; von den Neuigkeiten des vergangenen Jahres zu sprechen – die Kleider des vergangenen Jahres abzutragen – ein Gewächshaus zu bestellen und in Kinderspiele sich einzulassen – wie furchtbar!«

»Ich stimme mit Miß Merton überein,« sprach Lord Doltimore feierlich; »ich liebe zwar das Land auf drei oder vier Monate im Jahr, mit guter Jagd und einem großen, von Besuchen vollen Hause, übrigens unabhängig von der Nachbarschaft; sollte ich mir aber einen Ort, um dort zu leben, wählen, so wäre dieß Paris.«

»Ach, Paris! ich war noch nie in Paris, ich möchte so gerne reisen,« sagte Caroline.

»Aber die Gasthöfe drüben sind so sehr schlecht,« sagte Lord Doltimore; »ich kann nicht begreifen, wie die Leute so wahnsinnig auf Italien sind. Ich habe niemals so viel in meinem Leben gelitten wie in Calabrien, und in Venedig ward ich durch Muskitos beinahe zu Tode gestochen; Nichts gleicht Paris, ich gebe Ihnen die Versicherung. Sind Sie nicht der Meinung, Herr Maltravers?«

»Vielleicht kann ich Ihnen in kurzer Zeit besser antworten; ich gedenke Herrn Cleveland nach Paris zu begleiten,« sagte Maltravers.

»Wirklich,« sagte Caroline »ich beneide Sie. Der Entschluß ist ein plötzlicher?«

»Das gerade nicht.«

»Werden Sie lange ausbleiben?« fragte Lord Doltimore.

»Die Zeit meines Aufenthalts ist noch ungewiß.«

Und wollen Sie nicht Burleigh mittlerweile vermiethen?«

»Burleigh vermiethen? Nein, gebe ich es einmal aus meinen Händen, so ist das für immer.«

Maltravers sprach ernst, und der Gesprächsgegenstand ward verändert. Lord Doltimore forderte Caroline zum Schachspiel auf; Beide setzten sich abgesondert, und Lord Doltimore stellte die Figuren auf.

»Ein verständiger Mann ist Maltravers,« sagte der junge Lord; »aber ich komme nicht mit ihm aus. Vargrave ist angenehmer, meinen Sie nicht auch?«

»Ja–a!«

»Lord Vargrave ist gegen mich sehr artig; ich erinnere mich niemals, daß Jemand sich so gegen mich benommen hat; er verschaffte Legard die Stelle, ganz allein, weil er mir einen Gefallen thun wollte; ich gedenke mich unter seine Flügel nächste Saison zu begeben.«

»Gewiß können Sie nichts Besseres thun,« sagte Caroline, »er ist so angesehen; er wird gewiß nächstens Premierminister.«

»Ich nehme Ihnen den Läufer – glauben Sie das wirklich, Sie verstehen ja wohl Politik?«

»O nein, gerade nicht; allein mein Vater und mein Onkel sind große Politiker; Herren sind darin geschickter wie Damen. Wir müssen stets ihren Meinungen folgen. –Ich glaube, ich darf Ihnen den Bauer dort bei der Königin nehmen – Ihre Partei ist dieselbe, wie die Lord Vargrave's?«

»Ja, ich glaube, wenigstens will ich meine Vollmacht zum Stimmen ihm lassen; ich bin erfreut, daß Sie sich nicht in Politik mischen, sie ist so langweilig.«

»Wie, so jung, und mit solchen Verbindungen?« Caroline hielt an und machte einen falschen Zug.

»Ich wünschte, wir reisten zusammen nach Paris – wir würden den Ort so genießen.« Doltimore's Springer bedrohte den Thurm und die Königin.

Caroline hustete und streckte schnell ihre Hand aus.

»Verzeihen Sie, so verlieren Sie das Spiel!« Bei diesen Worten legte Doltimore seine Hand auf die ihrige, ihre Augen begegneten sich. Caroline wandte sich hinweg und Lord Doltimore zupfte an seinem Rockkragen.

 

»Ist es wahr, wollen Sie uns verlassen?« fragte Eveline. Sie war wirklich betrübt darüber; aber ihr Kummer war vielleicht nicht der der Liebe; sie war betrübter gewesen, als Legard fortging.

»Ich glaube nicht, daß ich lang fortbleiben werde« sagte Maltravers, indem er sich bemühte, gleichgültig zu sprechen. »Burleigh ist mir theurer geworden wie früher, vielleicht weil ich mir dort Pflichten erschaffen habe, und an andern Orten bin ich einsam und nutzlos in der großen Masse.«

»Sie? – Aber überall, wo sie hinkommen, müssen doch Sie Beschäftigung und Anknüpfungspunkte finden – Sie sollten sich doch nirgends allein fühlen. Aber Sie werden doch nicht so sehr bald abreisen?«

»Nein.« Eveline wurde wieder heiter. »Haben Sie das Buch gelesen, das ich Ihnen übersandte z« (es war ein Werk der Staël).

»Ja, es hat mich aber getäuscht Richtig: » enttäuscht«. Anm.d.Hrsg.

»Weßhalb, es ist doch so beredt.«

»Aber ist es wahr? Bietet das Leben so viel Trübsinn? Ist die Liebe so voll Bitterkeit? Was mich betrifft, so bin ich so glücklich, wenn ich mich bei denen befinde, die ich liebe; wenn ich bei meiner Mutter bin, so scheint mir die Luft duftender, der Himmel blauer – nicht die Liebe, sondern die Abwesenheit derselben macht uns trübsinnig.«

»Vielleicht! Hätten wir aber die Liebe niemals gekannt, so würden wir sie nicht vermissen und die glänzende Französin spricht von ihrer Erinnerung; während Sie von Hoffnung sprechen, spricht sie nach ihrem Gedächtniß, gleichsam dem geschiedenen Geist der Freude. Sicherlich jedoch liegt sogar, wenn man sich der Liebe hingibt, bei Zeiten in derselben eine gewisse Melancholie, eine gewisse Furcht. Haben Sie dieß Gefühl nie gehegt, sogar nicht bei Ihrer Mutter?«

»O ja, wenn sie krank war, oder wenn ich dachte, sie liebe mich weniger, als ich wohl wünschte.«

»Das muß ein unnützer Gedanke gewesen sein; sieht Ihnen Ihre Mutter ähnlich?«

»Ich wünschte, ich könnte dieß glauben; o würden Sie doch meine Mutter kennen! Ich habe so oft gewünscht, daß Sie miteinander bekannt wären; sie hat mich Ihre Lieder gelehrt.«

»Meine theure Frau Hare, wir können unsere Karten auflegen,« sprach die helle und scharfe Stimme des Lord Vargrave; »Sie haben bewunderungswürdig gespielt und ich weiß, daß Ihre letzte Karte Trumpf-Aß sein wird. Das Glück ist aber gegen uns.«

»Nein, spielen Sie weiter, Mylord.«

»Ganz nutzlos, Madame« sagte Sir John, indem er zwei Honneurs zeigte; »wir brauchen allein das Trick zu machen.«

»Ganz nutzlos,« wiederholte Lumley, indem er seine Souvereigns einraffte und mit sorglosem Gähnen aufstand.

»Wie geht's, Maltravers?«

Maltravers erhob sich und Vargrave wandte sich zu Eveline und flüsterte ihr etwas zu. Der stolze Maltravers ging fort und unterdrückte einen Seufzer. Nach einem Augenblicke sah er, daß Lord Vargrave den Stuhl einnahm, den er leergelassen hatte. Er legte seine Hand auf Clevelands Schulter.

»Der Wagen wartet, sind Sie bereit?«


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