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Viertes Kapitel.

» Mais en connaissant votre condition naturelle, usez des moyens, qui lui sont propres, et ne pré tendez pas ré gner par une autre voie que par celle qui vous fait roi.« Aber so Ihr nun Eure natürliche Stellung erkennt, wendet auch die ihr gemäßen Mittel an und kommt nicht auf den Gedanken, in anderer Weise herrschen zu wollen als der, welche Euch zum König macht. Anm.d.Hrsg.

     Pascal.

 

Im Herzen wie im Ocean gibt es Ebbe und Fluth. Die Wogen, welche einst Ernst Maltravers zu den Klippen und Untiefen des thätigen Lebens trieben, waren schon lange in das ruhige Meer zurückgeflossen, und hatten den Strand entblößt gelassen. Mit schwermüthiger, in den Hoffnungen getäuschter, Ekel empfindender Seele verließ er das Haus seiner Geburt; neue Scenen, sonderbar und wild, erhoben sich vor seinen wandernden Blicken. Der Civilisation müde, und an den Triumphen gesättigt, wofür die civilisirten Völker sich plagen, abarbeiten und vergeblich beunruhigen, hatte er sich unter Horden gemischt, welche kaum der Barbarei erster Menschen entzogen waren.

Die Abenteuer, welche er durchzumachen hatte; und worin er sein Leben nur durch behutsame Wachsamkeit und stets bereite Kraft erhalten konnte, entrissen ihn einige Zeit der Neigung, sich Betrachtungen zu überlassen. Sein Herz war allerdings unthätig geblieben; allein sein Verstand und seine physischen Kräfte waren stündlich geübt worden. Er kehrte in die Welt der ihm Gleichen mit einer Seele zurück, die von den Schätzen mannigfacher und großer Erfahrung beladen war; auch hatte er sich eine so düstere Moral gebildet, wie jene; welche den rastlosen Speculationen des Raffelas, als er aus den Katakomben hervortrat, die Ueberzeugung von der Eitelkeit des menschlichen Lebens und von der Thorheit menschlicher Bestrebungen einflößte.

Ernst Maltravers, niemals ein fehlerloser oder vollkommener Charakter, war damals, als er seine moralischen und geistigen Fähigkeiten nicht ausübte, gerade wegen seines Wunsches, die Grenzen des Großen und Guten zu überschreiten, scheinbar so weit wie jemals vom großen Geheimniß des Lebens entfernt. In Wirklichkeit war dieß nicht der Fall; seine Seele hatte erlangt, was sie zuvor entbehrte – die Stählung; wir stehen der wahren Tugend und dem wahren Glück näher, wenn wir zu wenig von Menschen erwarten, als wenn wir zu viel von ihnen verlangen.

Nichts destoweniger war seine Natur theils durch das sonderbare Leben, welches ihn unter Menschen geschleudert hatte, bei denen despotischer Befehl zur eigenen Sicherheit nothwendig war, theils aus der Gewohnheit der Macht und Verachtung der Welt, mit einem strengen, befehlshaberischen Wesen umkleidet, welches oft dem Harten und Finsteren nahe kam, obgleich Großmuth und Wohlwollen zu Grunde lag.

Manche seiner früheren Gefühle, obgleich liebenswürdiger und zusammengesetzter, hatten sich zu einer vorherrschenden Eigenschaft vereinigt, die mehr oder weniger für ihn immer charakteristisch gewesen war. Dieß war Stolz. Selbstachtung ohne Thätigkeit, und mißvergnügter Ehrgeiz erzeugen gewöhnlich hochfahrendes Wesen. Bei Maltravers war diese Eigenschaft, welche, gehörig gehemmt und nach Pflicht besänftigt, das Wesen und Leben der Ehre bildet, bis zum Exceß getrieben. Er war sich des Uebermaßes vollkommen bewußt, pflegte jedoch dasselbe wie eine Tugend. Der Stolz hatte dazu gedient, ihn im Kummer zu trösten; deßhalb war er ihm ein Freund; er hatte ihn gehalten, wenn er Ekel am Betrug empfand, oder der Gewalt Widerstand leistete; deßhalb war er ihm ein Kämpfer wie eine Festung.

Der Stolz war bei ihm von besonderer Art; er hielt sich nicht an einen besondern Punkt; nicht an Talent, Kenntniß, geistige Gaben, noch weniger an die Zufälligkeiten der Geburt und des Vermögens; er ergab sich vielmehr aus einer ungewöhnlichen und allgemeinen Verachtung der Menschen und ihrer Zwecke; des Ehrgeizes, des Ruhmes, des rauhen Geschäfts im Leben. Seine Lieblingstugend war Tapferkeit, und hierauf that er sich jetzt am meisten zu Gute. Er war stolz auf seine Kämpfe gegen Andere, noch stolzer auf seine Siege über seine eigene Leidenschaft. Er betrachtete das Schicksal als seinen ewigen Feind, gegen dessen Angriff er sich immer vorbereiten sollte. Er bildete sich ein, daß er sich durchaus gegen das Schicksal gesichert habe. In der Anmaßung seines Herzens dachte er: »Ich kann der Zukunft trotzen.« Er glaubte an die Prahlerei des Weisen im Alterthum: »Ich bin mir selbst eine Welt.« In der wilden Laufbahn, die er in seinen spätern Männerjahren zurückgelegt hatte; trieb er übrigens diese Philosophie nicht so weit; daß er die gewöhnliche Welt verwarf.

Der durch den Tod der Florence bewirkte Stoß wich allmählig der Zeit und dem Wechsel. Er war von Afrika's Wüsten und vom Orient in die glänzenden Städte Europa's übergegangen; aber weder sein Herz noch seine Vernunft war je durch seine Leidenschaft unterworfen worden. Er hatte die Lieblichkeit der Liebe nie wieder erkannt; wäre dieß der Fall gewesen; so hätte das Eis thauen und die Quelle wieder zum Meere fließen müssen.

Er war nach England zurückgekehrt; ohne zu wissen, in welcher Absicht, sicherlich aber nicht mit dem Plane, ins thätige Leben zu treten. Vielleicht hatte ihn nur die Ermüdung an fremden Scenen und an Sprachen, die ihm nicht vertraulich waren, sowie ein unbestimmter Wunsch des Wechsels zum Vaterlande zurückgeführt. Diese unphilosophische Ursache aber gestand er sich nicht ein; und sonderbarerweise wollte er sich auch nicht eine liebenswürdigere und vielleicht wahrere Ursache eingestehen – das höhere Alter und die größere Kränklichkeit seines alten Vormundes Cleveland, der ihn liebevoll um die Rückkehr ersuchte.

Maltravers wollte nicht glauben, daß sein Herz noch so gütig war. Eine sonderbare Art des Stolzes! Nein, er hatte sich vielmehr zu überreden gesucht, daß er Burleigh zu verkaufen beabsichtige, daß er seine Angelegenheiten abschließen, und dann für immer sein Geburtsland verlassen wolle. Um sich selbst zu beweisen, daß dieß der Fall sei, hatte er in Dover beabsichtigt, nach Burleigh zu eilen und dort Cleveland von seiner Rückkehr nur blos schriftlich zu benachrichtigen. Allein sein Herz erlaubte ihm nicht, diesen grausamen Luxus der Selbstkränkung zu genießen, und seine Pferde wurden nach Richmond gelenkt, als sie eine Station von London entfernt waren. Er hatte zwei Tage bei dem guten, alten Manne zugebracht, und diese zwei Tage hatten sein Gefühl so erwärmt und besänftigt, daß er über sich selbst erschrak, weil er feste Grundsätze aufgegeben habe. Indeß reiste er ab, bevor Cleveland jenen Wechsel an ihm entdeckte; auch hatte der alte Mann versprochen, ihn in Kurzem zu besuchen.

Dieß war der Zustand von Ernst Maltravers im sechsunddreißigsten Jahre, in einem Alter, worin Körper und Seele die größte Vollkommenheit erreicht haben. Seine Energie war gestärkt und gekräftigt, sein Geist mit Gaben verschwenderisch ausgestattet; sein Körper um so mehr gestärkt, da ein Leben voll Mühseligkeit ihm eine zweite und frischere Jugend ertheilt hatte. Harte Erfahrung hatte ihn so erzogen, daß er durch leichte Anstrengung alle Fehler und Mängel, die einst aus zu reizbarer Einbildungskraft und aus zu hohem Maßstab für menschliche Handlungen entsprangen, leicht wieder ausgleichen konnte. Er war im Stande, seinem Geschlecht die glänzendsten und dauerndsten Dienste zu erweisen und sich selbst das Glück zu sichern, welches sich bei einer zu größerer Nüchternheit herabgestimmten Phantasie ergibt – ein aufrichtiges Herz und ein billigendes Gewissen.

Jetzt also war Ernst Maltravers, ohnedem durch die Hülfsmittel der Geburt und des Vermögens unterstützt, in verkehrter Weise bemüht, seinen Genius, sein Leben und seine Seele in dornigen Blättern zu verschließen – in verbitterter Stimmung, weil er nur auf die dunkle Seite der Natur blickte, wie er einst nur durch die glänzende verblendet war – entschlossen, Thoren und Schurken nicht länger zu dienen, die von demselben Staub gebildet und von demselben Gott begabt waren. Seine Philosophie war krankhaft und mürrisch, von stolzem Geiste in einsamem Herzen erzeugt.


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