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Fünftes Kapitel.

So wie im Spiegel laß ich hier
das Leben Aller schau'n.
      Terenz.

 

Ernst Maltravers war noch in Paris und gab alle Gedanken, weiter zu reisen, auf. Er war wirklich des Reisens müde. Indeß auch noch ein anderer Grund fesselte ihn an jenen › Omphalos gaiae‹ – den Nabel der Erde; es gibt keinen besseren Ort, um Gerüchte von London zu sondiren, wie das englische Quartier zwischen dem Boulevard des Italiens und den Tuilerien. Hier konnte er jedenfalls das Schlimmste erfahren; jeden Tag, so wie er eine englische Zeitung in die Hand nahm, kam ein krankhaftes Gefühl der Furcht über ihn. Nein! Bis das Siegel unter die Urkunde gesetzt – bis der Rubikon überschritten, bis Miß Cameron die Gattin des Lord Vargrave war, konnte er weder nach einem Hause zurückkehren, welches ihm so beredte Erinnerungen an Eveline darbot, noch durch weitere Entfernung von England die Erhaltung einer Nachricht verzögern, hinsichtlich welcher er sich vergeblich einredete, er sei genügend vorbereitet, dieselbe zu vernehmen.

Er fuhr fort, seine eigenen Gedanken durch solche Zerstreuungen zu fliehen, die in seinem Bereiche lagen. Da sein Herz für die ihm längst gleichgültig gewordenen Vergnügungen kein Interesse mehr haben konnte, so waren diese Zerstreuungen von ernster und edler Art, wie sie ein höheres Geistesvermögen den Leidenschaften einzuflößen das Vorrecht hat.

 

De Montaigne war weder ein Doctrinär noch ein Republikaner, und dennoch vielleicht etwas von Beiden. Er glaubte, daß alle europäischen Staaten eine Richtung zur Demokratie haben, betrachtete jedoch diese Regierungsform als kein allgemeines Heilmittel für alle Uebel der Gesetzgebung. Er war der Meinung, daß ein Staatsmann sich begnügen müsse, mit seiner Zeit zu gehen, während ein Schriftsteller ihr wohl vorauseilen dürfe; daß eine Nation sich nicht wie eine fremde Pflanze durch künstliche Mittel zur Reife bringen lasse, daß sie im Gegentheil allein sich durch natürlichen Einfluß entwickeln könne. Er glaubte, Regierungsformen seien in ihren Wirkungen nie allgemein; hieraus folgerte de Montaigne, daß wir irrigerweise mehr Wichtigkeit auf Reform der Gesetzgebung wie des geselligen Zustandes »der sozialen Lage«. Anm.d.Hrsg legen. Er betrachtete z. B. unsern immer mehr wachsenden Widerwillen gegen Todesstrafen als das sicherste Zeichen unserer fortschreitenden Civilisation. Er glaubte nicht an die endliche Vollkommenheit der Menschen, aber an ihre fortschreitende Vervollkommnung. Er glaubte, der Begriff der Verbesserung sei unendlich, schrieb aber ihre Förderung nicht mehr der republikanischen Regierung als der monarchischen zu. »Vorausgesetzt,« pflegte er zu sagen, »daß die Stöße, welche der Gewalt gegeben werden, richtigen Erfolg haben, so ist es gleichgültig, welchen Händen die Gewalt anvertraut ist.«

»Aegina und Athen,« sagte er, »werden Republiken, handelnde und seefahrende Staaten – unter demselben Himmel gelegen, von denselben Nachbarn umringt und von denselben Kämpfen zwischen Oligarchie und Demokratie zerrissen. Während die eine ein unsterbliches Erbtheil des Genius der Welt hinterließ, wo sind die Philosophen, Dichter und Staatsmänner der andern? Arrian erzählt uns von Republiken Indiens, deren Dasein auch neuere Reisende vermuthen; diese aber erwecken nicht mehr Freiheit der Gedanken, noch Gährung der Geistesvermögen, wie die Monarchien. In Italien gab es ebenso freie Republiken wie Florenz; sie erzeugten aber nicht einen Macchiavell oder Dante. Welcher kühne Gedanke, welches riesenhafte Schlußvermögen Richtig: »Spekulieren«. Anm.d.Hrsg., welche Demokratie von Weisheit und Genius hat sich in den Despotieen Deutschlands entwickelt? Sie können zwei Individuen nicht so erziehen, daß dieselben Resultate sich aus beiden ergeben; sie können nicht durch ähnliche Verfassungen (Erziehungsmittel der Nationen) dasselbe Resultat in verschiedenen Staaten hervorrufen. Der gehörige Zweck der Staatsmänner sollte darin liegen, dem Volke seine Entwickelung möglichst zu erleichtern – ihm die Möglichkeit zu bieten, über die Endzwecke nachzusinnen, zu streiten und zu verhandeln. Sie können aber als praktischer Gesetzgeber über Ihrem Vaterlande kein Treibhaus erbauen, es muß von selbst wachsen.«

Ich will nicht sagen, ob de Montaigne Recht hatte, oder nicht; Maltravers sah wenigstens, daß er seiner Theorie treu blieb, daß alle seine Beweggründe aufrichtig, und daß seine Handlungsweise rein war. Auch mußte er zugeben, daß de Montaigne in allen seinen Beschäftigungen und Arbeiten einen hohen Genuß zu empfinden schien; daß ferner de Montaigne, indem er alle seine Seelenkräfte auf thätige und nützliche Gegenstände wandte, bei weitem glücklicher sich fühlte wie Maltravers durch die Philosophie der Gleichgültigkeit und die Verschmähung des Ehrgeizes geworden war. Eigenthümlich war der Einfluß, den der vielseitige und praktische Franzose auf das Schicksal und die Geschichte von Maltravers äußerte. Offenbar und direkt hatte er auf dessen äußeres Geschick allerdings keine Einwirkung geäußert; desto mehr jedoch indirekt, durch Einwirkung auf seine Seele. Vielleicht hatte er dessen erstem schwankenden und ungewissen Antrieb zu literarischer Thätigkeit eine feste Form ertheilt; er tröstete ihn dann über die Kränkungen im Beginn seiner Laufbahn, und vielleicht konnte es ihm jetzt bei der vollen Kraft seines Verstandes gelingen, den Engländer mit den Ansprüchen des Lebens dauernd wieder auszusöhnen.

Gewisse Gespräche, welche Maltravers mit de Montaigne hielt, muß ich im Keim und im Marke hier darlegen, denn ich schreibe sowohl die innere wie äußere Geschichte eines Manne, und die wichtigen Ereignisse eines Lebens werden nicht allein durch die dramatische Handlung von Andern, sondern auch durch unsere Gewohnheit des Denkens und Schließens von einem Gegenstand auf den andern herbeigeführt. Was ich jetzt hier schreibe, mag langweilig sein; aber es ist keine Episode, und ich verspreche, daß hiemit die letzte didaktische Unterhaltung im Werke geboten wird.

 

Eines Tages erzählte Maltravers de Montaigne von Allem, was er in Burleigh zur Verbesserung des Zustandes seiner Bauern entworfen habe und legte ihm seine Theorien über Taglöhnerschulen und Armenabgaben dar, als de Montaigne sich plötzlich mit den Worten zu ihm wandte: »So haben Sie also auf Ihrem kleinen Dorfe wirklich gefunden, daß Ihre nicht sehr mühsamen und kaum ein Zehntheil von Ihrer Zeit in Anspruch nehmenden Bemühungen, praktisch gute Folgen gehabt haben?«

»Gewiß glaube ich das,« erwiderte Maltravers mit einigem Erstaunen.

»Und noch gestern haben Sie erklärt, daß alle Bemühungen der Philosophie und Gesetzgebung vergeblich, ihre Wohlthaten zweideutig und ungewiß wären, daß die Civilisation, dem Meere gleichend, welches an einem Punkte verliert, was es am andern gewinnt, uns allein einen theilweisen Nutzen verschafft, daß sie uns eine Tugend stiehlt, während sie eine andere gewährt und die Verhältnisse des Guten und Bösen stets als dieselben läßt.«

»Allerdings; ich habe aber nicht gesagt, daß ein Mensch Individuen durch individuelle Thätigkeit nicht helfen könne, obgleich er durch abstrakte Theorien und sogar durch praktische Handlung im weiteren Kreise der Masse keine Wohlthaten zu gewähren vermag.«

»Wenden Sie nicht in Bezug auf Individuen dieselbe moralische Wirksamkeit an, welche weise Gesetzgebung oder gesunde Philosophie hinsichtlich der Masse äußern wird? Z. B. Sie erkennen, daß die Kinder Ihres Dorfes glücklicher, ordentlicher, gehorsamer sind und weisere und bessere Menschen in ihrer Lebensstellung zu werden verheißen, seitdem Sie das neue, – ich gebe zu – ausgezeichnete System der Schuldisciplin und Lehre errichtet haben. Warum sollte die Gesetzgebung nicht in einem Königreiche ausführen können, was Sie in einem Dorfe zu Stande brachten? Ferner, indem Sie Hoffnung und Nacheiferung der Industrie einfach darboten Richtig: »indem Sie einfach den Fleiß durch Hoffnung und Nacheiferung anspornten«. Anm.d.Hrsg. – einen strengen Unterschied zwischen Thätigen und Faulen, der unabhängigen Regsamkeit und der Bettelei aufstellten, haben Sie einen Hebel gefunden, durch welchen Sie die kleine Welt Ihrer Umgebung im buchstäblichen Sinne bewegten und änderten. Worin liegt denn der Unterschied zwischen der Herrschaft eines Dorfherrn und dem Verfahren einer weisen Gesetzgebung? Das moralische Gefühl, worauf Sie sich berufen, existirt allgemein; die moralischen Mittel, welche Sie anwandten, stehen sowohl der Gesetzgebung wie dem individuellen Grundeigenthümer zu Gebote.«

»Ja; aber wenn Sie denselben Grundsatz, welcher ein Dorf umbildet, auf eine Nation anwenden, so entstehen neue Grundsätze, welche ein Gegengewicht bilden. Gebe ich Erziehung meinen Bauern, so schicke ich sie in die Welt mit Vortheilen, wodurch sie ihren Standesgenossen überlegen werden; da diese Vortheile bei jener Klasse nicht sehr gewöhnlich sind, so werden dieselben durch sie in den Stand gesetzt, ihre Standesgenossen zu überholen. Wäre aber diese Erziehung dem ganzen Stande allgemein, so würde Niemand einen Vortheil vor den Andern voraushaben, indem die von ihnen erworbene Kenntniß von Allen getheilt würde, müßten sie, was sie jetzt sind, bleiben, Holzhacker und Wasserträger; das Prinzip individueller Hoffnung, welches aus der Kenntniß entspringt, würde bald niedergehalten werden durch die ungeheure Bewerbung Richtig: »Wettbewerb, Konkurrenz«. Anm.d.Hrsg., wie sie durch allgemeine Kenntniß erzeugt werden müßte. So müßte durch allgemeine Verbesserung allgemeine Unzufriedenheit entstehen.

Betrachten Sie diesen Gegenstand von feinerem Standpunkt aus; Vortheile, die den Wenigen in meiner Umgebung ertheilt werden, höherer Lohn, leichtere Arbeit, größeres Bewußtsein der Würde des Menschen bringen keine Veränderung der Gesellschaft hervor. Ertheilen Sie diese Vortheile der ganzen Masse der arbeitenden Klasse, so wird dasjenige, was im kleinen Kreise den Wunsch des Individuums, sich zu erheben, bildet, in größerer Peripherie der Wunsch einer Klasse, sich zu erheben; so entsteht sociale Ruhelosigkeit, socialer Wechsel, gewagte Revolutionen; denn Revolutionen entstehen nur durch die Bestrebungen der einen Klasse und den Widerstand einer andern. Folglich ist Verbesserung durch Gesetzgebung von individueller bei weitem verschieden. Dieselbe Wirkung, welche den kleinen Körper reinigt, wirkt zerstörend, sobald man sie auf den großen anwendet. Liegt kein Unterschied im Resultat, wenn man die Flamme an den Holzklotz, auf dem Herde oder an den Wald bringt? Der sanfte Wind, welcher die Quelle erfrischt, geht auf den Ocean über, ein Strom drängt den andern. Wogen drängen Wogen und der sanfte Wind wird zum Sturme.«

»Wäre diese Darlegung richtig,« erwiederte de Montaigne, »hätten wir es immer vermieden, die Genüsse und Vortheile der Wenigen der Masse mitzutheilen; wären wir stets von dem Guten zurückgeschaudert, weil das Gute Wechsel und dessen theilweise Uebel erzeugt, was wäre dann aus der Gesellschaft geworden? Liegt kein Unterschied im allgemeinen Glück und allgemeiner Tugend, zwischen den bemalten Pikten oder dem Gottesdienst der Druiden und der glorreichen Harmonie, Erleuchtung und Ordnung der großen englischen Nation?«

»Die Frage ist populär,« sagte Maltravers mit einem Lächeln, »und wären Sie mein Opponent bei einer Wahl, so würde man Sie vor jedem Wahlgerüst »Wahlkampfpodium«. Anm.d.Hrsg. im Königreich mit Beifall begrüßen. Ich habe jedoch unter wilden Stämmen gelebt, vielleicht unter eben so wilden wie jene, welche Cäsar Widerstand leisteten, und ihr Glück scheint mir, wenn auch vielleicht nicht dasselbe der Wenigen zu sein, deren Quellen des Genusses zahlreich, verfeinert, und nur durch ihre eigenen Leidenschaften beschmutzt sind, jedoch dem der großen Masse in den civilisirtesten und vorgerücktesten Staaten gleichzustehen. Arbeiter, welche in der verdorbenen Luft der Fabriken zusammengedrängt werden, an deren innerstem Leben physische Uebel von der Wiege bis zum Grabe nagen, welche von der Morgendämmerung bis zu Sonnenuntergang in niedriger Arbeit sich plagen, und die, um sich Erholung zu verschaffen, zu der furchtbaren Aufregung des Branntweinladens, oder zu den wilden und eitlen Hoffnungen despotischen Fanatismus fliehen – diese sind in meinen Augen nicht glücklicher, als die wilden Indier mit abgehärtetem Körper und ruhigem Temperament, die an die Entbehrungen, wegen welcher Sie dieselben bemitleiden, gewöhnt und nicht mit dem Fluch von Wünschen nach einem besseren Zustand belastet sind, den sie niemals erreichen können Der Araber der Wüste hat all' die Ueppigkeit des Pascha's in seinem Harem gesehen; er beneidet dieselbe nicht, sondern ist zufrieden mit seinem Pferdegeschirr, seinem Zelt, seiner öden Wüste und seinem Quell erfrischenden Wassers.

Sagt man uns nicht täglich, predigen unsere Priester uns nicht von der Kanzel, die Hütte bedecke ein Glück, welches dem des Palastes gleichkomme? Ist aber der Unterschied zwischen Bauern und Fürsten verschieden von dem zwischen Bauern und Wilden? Es gibt mehr Genüsse und mehr Entbehrungen in einem wie im andern; wenn aber in letzterem Fall die Genüsse, obgleich weniger an der Zahl, um so kräftiger gefühlt werden – wenn die Entbehrungen, obgleich scheinbar härter, auf dumpferes Gefühl und abgehärtete Körper fallen, so verliert Ihr Maß der Verhältnisse an Werth. Der Arme sieht täglich und stündlich die ungeheure Ungleichheit der civilisirten Gesellschaft; er ist der Lazarus, welcher von weitem und aus dem Abgrund der Verzweiflung auf den Reichen in dem Schooße des Paradieses blickt; dadurch werden seine Entbehrungen und Leiden durch Vergleich mit der Ueppigkeit Anderer schmerzlicher empfunden. Nicht so in der Wüste und im Walde. Dort trennen nur kleine Auszeichnungen, und zwar gemildert durch Ueberlieferung undenklicher Zeiten und durch ererbte Gebräuche, deren Herkömmlichkeit zu einer Art Religion geworden ist, den Wilden von seinem Häuptling. Die Thatsache besteht darin, daß wir in der Civilisation eine glänzende Anhäufung erschauen: Literatur und Wissenschaft, Reichthum und Luxus, Handel und Ruhm; wir sehen aber nicht die Million Schlachtopfer, die unter den Rädern der Maschine zermalmt werden, die geopferte Gesundheit, den brodlosen Tisch, die gefüllten Gefängnisse, die dunstigen Hospitäler, das in seiner Quelle vergiftete menschliche Leben, das wie Wasser vergossene Blut! Auch erinnern wir uns nicht aller der durch Verheerung, Verbrechen und Blut bezeichneten Schritte, wodurch dieser unfruchtbare Gipfel erreicht wurde. Nehmen Sie die Geschichte jedes civilisirten Staates Englands, Frankreichs, Spaniens, bevor letzteres zur zweiten Kindheit verfaulte – der italienischen, der griechischen Republiken, der gekrönten Buhlerin der sieben Hügel – welche Kämpfe, welche Verfolgungen, welche Verbrechen, welch' ein Morden! Wo können wir auf die Geschichte zurückblicken und sagen: Hier hat Verbesserung die Summe des Bösen vermindert? Dehnen Sie auch ihr Ziel jenseits des einzelnen Staates aus, so hat ein Staat immer seine Vortheile durch die Wehen eines andern erlangt. Spanien erhebt sich über die alte Welt auf den blutbefleckten Trümmern der neuen; die Seufzer und das Gold Mexiko's bewirkten den Glanz Karls V.!

Schauen Sie England, das weise, liberale, freie England! Durch welche Kämpfe ist dieser Staat hindurch gegangen! Ist das Volk zufrieden? Denken Sie an die finstere Adelsherrschaft der Normannen, an unsere verbrecherischen Angriffe auf Schottland und Frankreich, an das geplünderte Volk und die geschlachteten Könige – dann an die Verfolgung der Lollhards – die Kriege von Lancaster und York, die neue Dynastie der Tudors, welche zugleich die Freiheit zurückwarf und die Civilisation förderte – an die Reformation, welche im Busen eines scheußlichen Despoten gehegt und mit Gewaltthat und Raub genährt wurde, an die Scheiterhaufen der Maria und die listigen Grausamkeiten der Elisabeth – an England, wie es durch die Verheerung Irlands gekräftigt ward – an die bürgerlichen Kriege – an die Herrschaft der Heuchelei, welche auf die Herrschaft des nackten Lasters folgte – an die Nation, welche, nachdem sie den anmuthigen Karl enthauptet hatte, ruhig am Schaffot des erhabenen Sidney zuschaute – an die eitle Revolution von 1688, welche, wenn sie ein Jubelfest für England, mörderisch für Irland war – an Marlboroughs eitlen Ruhm – an die organisirte Verderbniß des Walpole – an den wahnsinnigen Krieg mit unsern amerikanischen Söhnen und an den erschöpfenden Kampf mit Napoleon!

Wohl, schließen wir die Seite – sagen wir: Schaue ein Jahrtausend unaufhörlicher Kämpfe und Leiden! – Millionen sind umgekommen, aber die Kunst hat sie überlebt; unsere Bauern tragen Strümpfe, unsere Weiber trinken Thee, unsere Dichter lesen Shakespeare und unsere Astronomen bauen auf Newton fort! Sind wir jetzt zufrieden? Nein, rastloser wie jemals! Neue Klassen sind zur Gewalt gelangt; neue Regierungsformen werden verlangt; noch stets vernimmt man dieselben Losungsworte, Freiheit hier, Religion dort. Die eine Partie schwatzt von Ordnung, die andere von Verbesserung. Wo ist das Ziel und was haben wir gewonnen? Bücher werden geschrieben – Seidenzeuge gewoben – Paläste erbaut – große Verbesserungen für die Wenigen: der Bauer aber bleibt Bauer! Der große Haufen befindet sich noch immer unten am Rade; Sie sagen, er befinde sich besser. Nein, er ist nicht zufriedener! Der Handwerker strebt ebenso nach Veränderung wie früher der Leibeigene; die Dampfmaschine hat ebensowohl ihre Opfer, wie das Schwert.

Sie sprechen von Gesetzgebung; alle isolirten Gesetze pflastern den Weg für allgemeine Veränderung in den Regierungsformen! Emancipiren Sie die Katholiken und Sie eröffnen die Thür dem demokratischen Grundsatz, daß die Meinung frei sein sollte. Wird sie dem Bekenner einer andern Religion freigegeben, so darf sie auch dem Wähler nicht entzogen werden. Die Abstimmung durch Kugelung »die geheime Abstimmung«. Anm.d.Hrsg. ist nur eine Folge der katholischen Emancipationsbill. Gestehen Sie die Kugelung zu, und daraus folgt wieder ein erweitertes Stimmrecht. Das erweiterte Stimmrecht wird nur durch eine zurückweichende Oberfläche (durch einen sich erweiternden Kreis auf der Oberfläche des Wassers) vom allgemeinen Stimmrecht geschieden. Allgemeines Stimmrecht ist Demokratie. Ist Demokratie besser als aristokratische Republik?

Betrachten Sie die Griechen, welche beide Forderungen kannten, stimmen sie überein, welche die bessere sei? Plato, Thucydides, Xenophon, Aristophanes – der Träumer, der Historiker, der Philosoph der Handlung, der scharfe Witzling haben kein Ideal über Demokratie! Algernon Sidney, der Märtyrer der Freiheit gesteht der Menge keine Regierung zu. Brutus starb für eine Republik; aber eine Republik von Patriziern! welche Regierungsform ist nun wohl die beste? Alle streiten, die Weisesten können nicht übereinstimmen. Die große Menge sagt, eine Republik; aber doch, wie Sie selbst zugeben werden, thut das despotische Preußen dasselbe, was alle Republiken thun. Ja, aber ein guter Despot ist ein glücklicher Zufall; allerdings, aber eine gerechte und wohlwollende Republik ist ein ebenso kurz lebendes Ungeheuer. Hat das Volk keinen andern Tyrannen, so wird die öffentliche Meinung zu einem solchen. Kein geheimes Spioniren ist einem freien Geist unerträglicher, als der grobe Blick eines amerikanischen Auges.

Eine Republik von Bauern ist blos ein patriarchalischer Stamm; keine Nacheiferung, kein Ruhm – Friede und Sumpf. Welcher Engländer, welcher Franzose möchte ein Schweizer sein? Eine Handelsrepublik ist nur eine bewunderungswürdige Maschine, Geld zu machen. Ist der Mensch für nichts Edleres geschaffen, als Schiffe zu befrachten und auf Seide und Zucker zu spekuliren? Wirklich bietet die Gesetzgebung kein sicheres Ziel; wir wollen Utopia kolonisiren und mit Phantomen in den Wolken fechten. Begnügen wir uns damit, Niemand Unrecht zuzufügen und in unserer kleinen Sphäre Gutes zu thun. Staaten und Senate mögen das Sieb der Danaiden füllen und den Stein des Sisiphus rollen.«

»Mein theurer Freund,« sagte de Montaigne. »Sie haben sicherlich so gut wie möglich bewiesen, daß, wenn Sie Recht hätten, die Regierung den Thoren und Schurken überlassen und die Staatenvereine der Menschen in den Morast der Verzweiflung versenkt werden müßten. Allein eine sehr alltägliche Ansicht der Frage würde schon genügen, Ihr System zu erschüttern. Ist das Leben, sogar das bloße animalische Leben, ein Fluch oder ein Glück?«

»Die Mehrzahl der Menschen in allen Ländern,« erwiderte Maltravers, »genießt das Dasein und fürchtet den Tod. Wäre es anders, so würde die Welt nicht von Gott, sondern vom Teufel geschaffen sein.«

»Wohlan denn; beobachten Sie, wie der Fortschritt der Gesellschaft, die Beute des Grabes vermindert! In großen Städten, wo die Wirkung der Civilisation am sichtbarsten sein muß, steht die Verminderung der Sterblichkeit im entsprechenden Verhältniß zur Vermehrung der Civilisation in höchst auffallender Weile. In Berlin verhielt sich die jährliche Sterblichkeit vom Jahre 1747 bis 1755 wie 1 zu 28; von 1816 bis 1828 wie 1 zu 34!

Sie fragen, was England durch seine Fortschritte in den Künsten gewonnen hat? Ich will Ihre Fragen mit den Listen der Sterblichkeit beantworten. In London, Birmingham und Liverpool haben die Todesfälle in weniger als einem Jahrhundert von 1 zu 20 bis 1 zu 40 (gerade die Hälfte) abgenommen. Ferner, sobald ein Staat, sogar eine einzelne Stadt, in Civilisation und ihren Begleitern, Thätigkeit und Handel, abnimmt, steigt die Sterblichkeit. Ist aber die Civilisation für die Verlängerung des Lebens günstig, so muß sie auch für Alles günstig sein, was das Leben beglückt – für die körperliche Gesundheit, die geistige Heiterkeit, die Fähigkeiten des Genusses. Und wie großartiger, wie erhabener wirkt die Aussicht auf Gewinn, wenn wir bedenken, daß für jedes so erweckte Leben, eine Seele, ein Schicksal jenseits des Grabes, eine vervielfachte Unsterblichkeit vorhanden ist! Welch ein Vertheidigungsgrund für den bleibenden Fortschritt der Staaten! Können Sie aber auch sagen, daß wir ungeduldig und unzufrieden bleiben, so lange wir fortschreiten, so können Sie doch wirklich nicht voraussetzen, daß es keinen Unterschied in dem Grad und dem Wesen der Unzufriedenheit gibt, weil der Mensch in jedem Stande mit seinem Loose unzufrieden ist – keinen Unterschied in dem Gefühl dessen, der sich um's Brod abhärmt und dem, der nach dem Monde schmachtet! Das Wünschen ist uns angeboren als das Princip des Daseins; das physische Wünschen erfüllt die Welt, das moralische verbessert sie. Wo noch Wunsch vorhanden ist, muß auch Unzufriedenheit sich vorfinden; sind wir mit allen Dingen zufrieden, so ist der Wunsch erstorben. Ein gewisser Grad von Unzufriedenheit ist mit dem Glücke nicht unverträglich und bietet sogar an sich ein gewisses Glück dar. Welches Glück gleicht der Hoffnung? Was ist Hoffnung anders als etwas wünschen? Der europäische Leibeigene, dessen Herr über sein Leben befehlen, oder die Keuschheit seiner Tochter als ein Recht verlangen konnte, sehnt sich, seinen Zustand zu verbessern. Gott bemitleidet seinen Zustand; die Vorsehung beruft den Ehrgeiz der Führer, den Kampf der Parteien, die Bewegung menschlicher Bestrebungen und Leidenschaften zur Handlung; ein Wechsel durchdringt die Gesellschaft und Gesetzgebung, und der Sklave wird frei! Er sehnt sich nach Anderem, aber nach was? Nicht länger nach persönlicher Sicherheit, nicht länger nach den Vorrechten des Lebens und der Gesundheit, sondern nach höherem Lohn, größerer Behaglichkeit und leichter zu erlangender Gerechtigkeit bei vermindertem Unrecht. Liegt kein Unterschied in der Beschaffenheit dieses Sehnens? War das eine größere Qual wie das andere? Erheben Sie die Wagschale noch höher; eine neue Classe wird erschaffen, die mittlere Classe, das eigenthümliche Geschöpf der Civilisation. Schauen Sie den Bürger, wie er ringt, kämpft und sich sehnt, und deßhalb unzufrieden ist. Allein es ist die Unzufriedenheit der Hoffnung, nicht der Verzweiflung; es ruft Fähigkeiten, Kräfte und Leidenschaften in's Leben, worin mehr Freude wie Kummer liegt. Es ist dasselbe Sehnen, welches den Bürger im Privatleben zu einem besorgten Vater, zu einem fleißigen Geschäftsmann, zu einem thätigen und deßhalb nicht unglücklichen Menschen macht. Sie gestehen ein, daß Individuen individuelles Gut erschaffen können; dieselbe Rastlosigkeit, dieselbe Unzufriedenheit mit dem Ort, den er einnimmt, macht den Bürger zum Wohlthäter in seinem engen Kreise. Der Handel nährt noch besser als Barmherzigkeit die Hungrigen und kleidet die Nackten. Der Ehrgeiz ertheilt viel eher als thierische Neigung unsern Kindern Erziehung und lehrt sie Liebe zum Fleiß, den Stolz der Unabhängigkeit, Achtung hinsichtlich ihrer selbst und Anderer.«

»Mit andern Worten,« fiel Maltravers ein, »lehrt er sie, diejenigen Eigenschaften sich anzueignen, die sie am besten in der Welt fortbringen und das meiste Geld zusammenscharren können.«

»Sie mögen die Sache von diesem Gesichtspunkte aus betrachten; je weiser aber und civilisirter ein Staat ist, desto weniger Wahrscheinlichkeit bietet sich dem Schurken in demselben fortzukommen! Wohl mag List, Heuchelei, Geiz, Verhärtung des Herzens im väterlichen Beispiel und Benützung irgend einer Thätigkeit liegen. Lassen sich aber solche nüchterne Schwächen mit den Lastern vergleichen, welche aus Trotz und Verzweiflung entspringen? Ihr Wilder hat Tugenden, aber diese sind meist physischer Art, Tapferkeit, Enthaltsamkeit und Geduld – geistige und moralische Tugenden sind zahlreich oder wenig im Verhältniß zum Bereich der Ideen und der Verhältnisse des socialen Lebens; bei dem Wilden müssen sie deßhalb geringer sein, als bei civilisirten Menschen; somit sind sie auch auf die einfachen und rohen Elemente beschränkt, welche die Sicherheit seines Zustandes ihm nothwendig macht. Der Wilde ist gewöhnlich gastfrei, bisweilen ehrlich. Allein Laster sind für seine Existenz ebenso wie Tugenden nothwendig; er ist mit einem Stamme im Kampf, der vielleicht seinen eigenen vernichtet; Verrätherei ohne Bedenklichkeit, Grausamkeit ohne Gewissensbiß sind ihm wesentliche Eigenschaften; er empfindet deren Nothwendigkeit und nennt sie Tugenden. Sogar der halbcivilisirte Mensch, der Araber, den Sie so rühmen, glaubt, er bedürfe Ihres Geldes, und seine Räuberei wird ihm zur Tugend. In civilisirten Staaten sind aber Laster wenigstens für die Existenz der Mehrheit nicht nothwendig; sie werden deßhalb nicht als Tugenden verehrt. Die Gesellschaft verbindet sich gegen sie; Verrath, Räuberei, Mord sind nicht wesentliche Bedingungen für die Kraft oder Sicherheit eines Staates. Allerdings sind sie auch vorhanden, allein sie werden nicht befördert, sondern bestraft. Der Dieb in St. Giles besitzt die Tugenden Ihres Wilden; er ist seinen Gefährten treu, tapfer in Gefahr; geduldig im Mangel; er übt die Tugenden, welche für die Verpflichtungen seines Berufs und die stillschweigend zugestandenen Gesetze seines Treibens nothwendig sind. Er würde einen bewunderungswürdigen Wilden abgegeben haben; aber sicherlich ist die Masse civilisirter Menschen besser wie Diebe?«

Maltravers stutzte und schwieg eine Weile, ehe er weiter sprach. Aber er wechselte den Gegenstand des Streites. »Wenigstens müssen aber alle unsere Gesetze, alle unsere Bemühungen die Masse in einem jeden Staate zu einer Arbeit, welche das Geistesvermögen tödtet, und zu einer Armuth verurtheilen, welche das Leben verbittert.«

»Vorausgesetzt, dieß wäre wahr, so gibt es noch große Menschenmengen außerhalb der großen Volksmasse. In jedem Staate erschafft die Civilisation eine mittlere Klasse, die jetzt bei weitem zahlreicher ist wie der ganze Bauernstand vor tausend Jahren. Kann Bewegung und Fortschritt ohne göttlichen Nutzen sein, sogar wenn sie ihre Wirkung nur auf die Erschaffung einer solchen Klasse beschränkt? Betrachten Sie auch die Wirkung der Kunst, der Verfeinerung und gerechter Gesetze auf die höheren Klassen. Erkennen Sie, wie deren Lebensgewohnheiten dahin wirken, die Summe der Genüsse zu erhöhen – erkennen Sie die große Thätigkeit, welche sogar deren Luxus und frivoles Treiben erschafft! Würde es ohne Aristokratie eine mittlere Klasse gegeben haben? Würde ohne mittlere Klasse ein Zwischenglied zwischen Herrn und Knecht vorhanden gewesen sein? Bevor noch der Handel eine mittlere Klasse erschaffen hat, geschah dieß durch die Religion. Die Priesterschaft, wie auch ihre Irrthümer sein mochten, beugte die Gewalt. Um jedoch zur Volksmasse zurückzukehren – so sagen Sie, daß diese zu allen Zeiten dieselbe war. Ist das der Fall? Ich kehre wieder zur Statistik zurück. Ich erkenne, daß nicht allein die Civilisation, sondern daß auch die Freiheit eine wunderbare Wirkung auf das menschliche Leben äußert. Gleichsam durch den Instinkt der Selbsterhaltung wird die Freiheit von der Menge so leidenschaftlich erstrebt; von Negersklaven z. B. sterben einer von fünf oder sechs, während von freien Afrikanern im englischen Dienst nur einer von fünfunddreißig sterben. Freiheit ist deßhalb kein bloßer abstrakter Traum, kein schöner Name, keine platonische Bestrebung; sie ist mit dem praktischsten aller Güter, mit dem Leben selbst verwoben! Können Sie wirklich behaupten, daß die Arbeit durch Gesetze nicht erleichtert und die Armuth nicht vermindert wird? Wir sind schön dahin übereingekommen, daß der Leibeigene vom Bauer verschieden ist, in so weit es Grade der Unzufriedenheit gibt; – wissen Sie, was der Bauer nach tausend Jahren sein wird? Unzufrieden, werden Sie sagen, noch immer unzufrieden. Ja, wenn er aber nicht unzufrieden wäre, so würde er noch ein Leibeigener sein! Weit entfernt diesen Wunsch nach Verbesserung niederzudrücken, sollten wir ihn als die Quelle immerwährenden Fortschrittes begrüßen. Dieser Wunsch, wirkt, wie die Einbildung beim Dichter, er entrückt in die Zukunft –

Spes fovet agricolas;
Crura sonant ferro, sed canit inter opus. Hoffnung ist günstig den Bauern / Mühsam treibt er den Pflug, aber er singt bei dem Werk.

Die allmählige Umwandlung von dem Wunsche der Verzweiflung zu dem Wunsche der Hoffnung bildet den Unterschied zwischen Mensch und Mensch, zwischen Elend und Glück.

Aber alsdann naht die Krise, die Hoffnung reift zu Theilen; es beginnt die stürmische Revolution, vielleicht der bewaffnete Despotismus; zuletzt folgt der Rückfall in eine zweite Kindheit der Staaten.

Können wir mit neuen Hülfsmitteln, die uns zur Verfügung stehen, mit neuer Moral, mit neuer Wissenschaft die Zukunft nach der Vergangenheit vorhersagen? In antiken Staaten bestand die Masse aus Sklaven. Die Civilisation und Freiheit befand sich bei Oligarchien; in Athen gab es 20 000 Bürger und 400 000 Sklaven. Wie leicht ist Verfall, Entartung, Umsturz in solchen Staaten! – Eine Hand voll Krieger und Philosophen ohne ein Volk! Jetzt haben wir nicht länger Hemmungen für den Umlauf des Blutes der Staaten! Die Abwesenheit der Sklaverei, die Existenz einer Presse, die gesunden Verhältnisse der weder zu engen, noch zu großen Königreiche, haben neue Hoffnungen erweckt, welche die Geschichte nicht stören kann. Als Beweis betrachten Sie alle Revolutionen der letzten Jahrhunderte; in England die Bürgerkriege und die Reformation – in Frankreich die furchtbare Erschütterung und den Militärdespotismus! Ist eine der beiden Nationen zurückgesunken? Die Sündfluth geht vorüber; und es entsteht eine schönere Ansicht der Dinge als früher. Vergleichen Sie die Franzosen von heute mit denen des alten Régime. Sie schweigen; nun wohl, in allen Staaten mag die Thätigkeit nicht die Gefahr des Bösen bieten; ist das aber ein Grund, unthätig sich niederzulegen – den großen Haufen allein um das Steuerruder kämpfen zu lassen? Wieviel Individuen können aber durch Verbreitung ihrer Gedanken, sowohl in Schrift wie durch Handlung, die Ordnung großer Ereignisse reguliren – bald hindernd – bald mildernd – bald belebend oder auch führend einwirken! Und doch soll ein Mann, dem die Vorsehung und das Glück solche Vorrechte ertheilt hat, sich entfernt halten, weil er weder die Zukunft voraussehen, noch Vollkommenheit erschaffen kann? Und Sie sprechen von einem ungewissen und unbestimmten Ziel! Wissen wir, daß es ein gewisses und bestimmtes Ziel sogar im Himmel gebe? Wissen wir, daß Vorzüge nicht begrenzt sein können? Genug, daß wir uns verbessern, daß wir fortschreiten; wenn wir in dem großen Plane der Erde erkennen, das Wohlwollen sei ein Attribut des Schöpfers, so lassen Sie uns alles Andere der Nachwelt und dem Höchsten überlassen.«

»Sie haben mir manche meiner Theorien verwirrt,« sagte Maltravers weich, »und ich werde über unser Gespräch nachdenken. Darf aber überhaupt Jedermann nach Einfluß auf Andere streben, und seine Meinung in die große Wagschale werfen, in der das große Menschengeschick abgewogen wird? Das Privatleben kann nicht eigentlich verbrecherisch werden. Tugend wird nicht geübt, wenn man ein Buch schreibt, oder eine Rede hält. Vielleicht würde ich mich eben so gut beschäftigen, kehrte ich in mein Dorf zurück und zankte mich mit den Kirchspielaufsehern.«

»Ha!« unterbrach ihn der Franzose lachend, »habe ich Sie bis dahin getrieben, so will ich nicht weiter. Jeder Stand im Leben hat seine Pflichten; Jedermann muß selbst beurtheilen können, wozu er sich eignet. Es ist genug, daß er thätig zu sein wünscht, und nützlich zu sein strebt – daß er die Lehre anerkennt, im Wohlthun dürfe man nie ermüden. Ist die Begierde nach dem Göttlichen einmal erstarkt, so wählt sie sich ihre eigene Nahrung. Derjenige Mann jedoch, welcher nach einer gehörigen Prüfung seiner Fähigkeiten und bei deren vollkommenen Entwicklung überzeugt ist, daß er Geistesvermögen besitzt, welche das Privatleben nicht gänzlich in Anspruch nehmen kann, darf sich nicht beklagen, die menschliche Natur sei unvollkommen, wenn er sogar diejenigen Gaben auszuüben sich weigert, die er wirklich besitzt.«

Diese Darlegung ist sehr langweilig gewesen; in einigen Punkten war sie alt und abgetreten, in andern scheint sie vielleicht der abstrakten Theorie von Hauptgrundsätzen anzugehören. Indeß aus solcher Darlegung der pro und contra lassen sich gleich praktische und erhabene Schlüsse ziehen; die Tugend der Handlung, die Verpflichtung des Genius und die Philosophie, welche uns lehrt, auf das Geschick zu antworten und im Dienste der Menschen zu arbeiten.


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