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Neuntes Kapitel.

Der lust'ge Strephon stimmt die Leier.

      Shenstone.

 

In dieser Unterredung mit Eveline zeigte Vargrave sicherlich bis zum Aeußersten alle seine Gewandtheit, alle seine Kunst. Er fühlte, daß Heftigkeit, bitterer Spott und selbstsüchtige Klagen einem Manne nichts helfen würden, welcher nicht geliebt wurde, obgleich sie bewundernswürdige Karten in den Händen desjenigen sein mögen, welcher wirklich geliebt wird. Da sein eigenes Herz bei der Angelegenheit gänzlich unberührt blieb, mit Ausnahme der Wuth und getäuschten Hoffnung (Gefühle die bei ihm nie sehr lange währten), so konnte er sein letztes, beinahe schon verlorenes Spiel mit Kälte durchführen. Sein scharfer und stets bereiter Verstand belehrte ihn, daß er jetzt allein erwarten konnte, Gefühle großmüthigen Mitleids und freundschaftlichen Interesses einzuflößen, einen günstigen Eindruck zu bewirken, den er später noch erhöhen könne, kurz, einen vortheilhaften Posten in dem Lande zu behaupten, aus welchem er seine Streitkräfte zurückzuziehen sich den Anschein gab. Er hatte bereits aus seiner Erfahrung bei Frauen erkannt – und diese, ob er nun handelnd oder als ein bloßer Zuschauer betheiligt gewesen, war groß und mannigfach, mochte jene Erfahrung auch nicht sehr zarte und feine Naturen betreffen – daß eine Dame sich oft in einen Freier verliebt, nachdem sie ihm zuerst einen Korb gegeben hat, daß sie einen solchen zuletzt gerade deßhalb annimmt, weil sie ihn früher verworfen hatte. Sogar diese Möglichkeit durfte in so verzweifelten Umständen nicht vernachlässigt werden. Er zeigte deßhalb im Antlitz, in den Stellungen und in der Stimme eine durch sein gebrochenes Herz hervorgerufene, aber den Umständen sich ergebende Verzweiflung; er affectirte einen Adel und eine Großmuth in seinem Gram, durch den Eveline lebhaft gerührt und sehr überrascht wurde.

»Genug« sagte er in stammelnden Tönen; »genug für mich, daß ich weiß, Sie können mich nicht lieben, daß es mir nie gelingen würde, sie glücklich zu machen; sagen Sie nichts mehr, Eveline! Ersparen Sie mir wenigstens den Kummer, welchen Ihre edelmüthige Natur in meinem Schmerze fühlen muß; ich verzichte auf alle Ansprüche hinsichtlich Ihrer Hand, Sie sind frei! Mögen Sie glücklich sein!«

»O Lord Vargrave, o Lumley,« sagte Eveline weinend und durch tausend Erinnerungen ihrer Kindheit gerührt; »oh, könnte ich nur in anderer Weise meine Dankbarkeit für Ihr Verdienst, Ihre zu parteiische Scheidung meiner und die Rücksicht auf meinen verlorenen Wohlthäter erweisen, dann, erst dann, würde ich glücklich sein! Ach! Wäre dieser so wenig von mir erwünschte Reichthum niemals mir zur Verfügung gestellt! Wie die Verhältnisse aber jetzt sind, wird der Tag, welcher mich als Besitzerin erblickt, auch zugleich zeigen, wie er Ihnen zur Verfügung und unter Ihre Controle gestellt wird. Dieß ist nur Gerechtigkeit, natürlicher, Ihnen gebührende Gerechtigkeit. Sie waren der nächste Verwandte des Verstorbenen; ich besaß keine Ansprüche auf ihn, keine anderen als die der Liebe, und dennoch bin ich ihm ungehorsam!«

In Allem dem lag viel, was Vargrave im Geheimen gefiel; es schien jedoch nur seinen Gram zu steigern.

»Reden Sie nicht so, mein Mündel; ach, noch stets meine Freundin,« sagte er, indem er das Schnupftuch an die Augen hielt; »ich fühle keinen Verdruß; ich bin mehr wie zufrieden. Lassen Sie mich aber mein Vorrecht als Vormund, als Rathgeber bewahren, ein Vorrecht, welches mir theurer ist als alle Reichthümer Indiens.«

Lord Vargrave hatte einen schwachen Verdacht, daß Legard eine ungeziemende Theilnahme in Evelinens Herzens erregt habe; in diesem Punkte suchte er sie zart und indirekt auszuforschen. Ihre Erwiderungen gaben ihm die Ueberzeugung, Eveline habe, wenn sie auch für Legard eingenommen sei, keine Zeit oder Gelegenheit gehabt, ihre Neigung zur tiefwurzelnden Leidenschaft reifen zu lassen.

Vor Maltravers fürchtete er sich nicht. Die gewöhnliche Selbstbeherrschung dieses zurückhaltenden Mannes betrog ihn einigermaßen, und die niedere Meinung, die er von allen Menschen hegte täuschte ihn noch mehr. War Liebe zwischen Eveline und Maltravers vorhanden gewesen, so sah er keinen Grund, weßhalb der Erstere nicht den Platz sollte behauptet und seine Bewerbung erklärt haben. Lumley würde jeden Gedanken an eine Rücksicht aus Ehrgefühl auf eine Verpflichtung, die so leicht zu brechen war, mit einem verächtlichen »Pah« begleitet haben. Er hatte Maltravers als ehrgeizig gekannt; bei ihm aber galten Ehrgeiz und Eigennutz als dasselbe. So geschah es, daß Vargrave gerade wegen der Schlauheit seines Charakters, er, der bei den Leuten der großen Welt ein scharfer und beinahe untrüglicher Beobachter war, bei Naturen mit höherem Gefühl durch zu große Pfiffigkeit das Ziel verfehlte. Außerdem würden Carolinens Mittheilungen, wenn ihm ein Verdacht über Maltravers in den Kopf gekommen wäre, denselben vertilgt haben.

Noch sonderbarer war die Blindheit Carolinens; auch würde diese nicht so blind gewesen sein, wäre sie nicht von ihren eigenen Entwürfen ausschließlich in Anspruch genommen worden. All' ihr gewöhnlicher Scharfsinn war seit kurzem auf ihre eigenen Angelegenheiten gerichtet, und ein verdrießliches Gefühl, welches zur Hälfte aus gewissenhaftem Widerstreben, Vargrave's Plane zu fördern, zur Hälfte aus eifersüchtiger Reizbarkeit bei dem Gedanken, Vargrave würde eine Andere heirathen, entsprang, hatte verhindert, daß sie eine sehr freundschaftliche oder vertraute Mittheilung mit Eveline suchte.

Die gefürchtete Unterredung war vorüber; Eveline trennte sich von Vargrave gerade mit dem Gefühl, das er zu erwecken berechnet hatte; im Augenblick, wo er aufhörte, ihr Liebhaber zu sein, begann auf's Neue die Anhänglichkeit ihrer Kindheit. Sie bemitleidete seine Niedergeschlagenheit; sie achtete seine Großmuth; sie empfand tiefes Dankgefühl wegen seiner Schonung; aber sie war frei und ihr Herz klopfte bei diesem Gedanken rascher vor Freude.

Mittlerweile begab sich Vargrave nach diesem feierlichen Abschied von Eveline auf sein Zimmer, wo er blieb, bis die Postpferde anlangten; alsdann begab er sich in's Besuchzimmer und war froh, daß er dort weder Aubrey noch Eveline antraf.

Er wußte, daß viele Ziererei bei Herrn und Frau Merton weggeworfen wäre; somit dankte er ihnen mit ernster und kurzer Herzlichkeit für ihre Gastfreundschaft und wandte sich an Caroline, welche am Fenster seitwärts stand.

»Alles ist mit mir vorbei,« flüsterte er ihr zu; »Caroline, ich verlasse Sie, indem ich Vermögen, Rang und Glück bei Ihnen voraussehe. Das ist einiger Trost. Was mich selbst betrifft, so sehe ich in der Zukunft nur Beschwerden, Verlegenheit und Armuth; ich verzweifle aber an nichts. Später können Sie mir vielleicht dienen, wie ich jetzt Ihnen diente. Adieu! – Frau Merton, ich habe Caroline gerathen, Doltimore nicht zu verziehen; er ist schon eingebildet genug. Guten Tag. Gott segne Sie Alle! Küssen Sie Ihre kleinen Mädchen; wenn ich Ihnen dienen kann; Merton, lassen Sie es mich wissen. Guten Tag!«

So schwatzte Vargrave, bis er in dem Wagen saß. Als er beim Fenster des Besuchzimmers vorüberfuhr, sah er dort Caroline so bewegungslos stehen, wie er sie verlassen hatte; er warf ihr mit der Hand einen Kuß zu; ihre Augen waren traurig auf die seinigen geheftet. Obgleich Caroline Merton hartherzig, launisch und eigennützig war, so verdiente Vargrave dennoch nicht die Neigung, die er ihr eingeflößt hatte. Sie konnte fühlen, er war dazu nicht fähig – vielleicht der Unterschied der Geschlechter. Dort stand Caroline Merton und erinnerte sich der letzten Töne jener gleichgültigen Stimme, bis sie ihre Hand ergriffen fühlte und sich umwandte, um Lord Doltimore zu erblicken und den glücklichen Liebhaber anzulächeln, welcher überzeugt war, daß sie ihn anbete.


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