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VI.

Der Grafensprung.

Im Sommer des Jahres 1367 benützte Graf Eberhard der Rauschebart das Wildbad, um dort seinen narbenvollen Leib zu kräftigen. Die Ruhe sollte aber nicht lange dauern. Zwei seiner grimmigsten Feinde, der Wolf von Wunnenstein und der Wolf von Eberstein, zogen von verschiedenen Seiten heran und versuchten ihn gefangen zu nehmen. Ein treuer Hirte vereitelte den finstern Plan und brachte den Rauschebart auf geheimen Wegen nach Zavelstein.

Den Ebersteiner, der durch die Zerstörung des unbefestigten Schwarzwaldbades sein Gewissen noch mehr belastete, traf des Reiches Acht. Eberhard säumte nicht, von der Erlaubnis des Kaisers, die Acht auszuführen, Gebrauch zu machen und zugleich Wiedervergeltung zu üben. Mit seinen Mannen zog er bald nachher durch die dunklen Tannenwaldungen hinüber in das freundliche Murgtal. Von dort war der Weg zu Neueberstein, dem Wohnsitz des kecken Wölfleins, leicht zu finden. Trotzig steht das Schloß zur linken Seite der Murg, nicht weit von einem fast senkrecht abfallenden Felsen. »Nach dieser Seite wird für dich kein Entrinnen sein,« dachte der alte Greiner und besetzte über Nacht heimlich alle Ausgänge der Burg. Der Wolf saß also nach der Meinung der Belagerer in der Falle, wie vordem Eberhard in Wildbad.

Eines war aber dem Grafen entgangen. Das Schloß hatte auch einen Ausgang der Felswand zu, und diesen benutzte Wolf. Er ließ sein feurigstes Roß satteln und sprengte auf demselben über den hohen Felsen hinab in die unten vorbeifließende Murg. Das gestaute Wasser milderte den Sprung: das Pferd freilich verlor das Leben, aber der kühne Reiter konnte, unbehelligt von Eberhards Kriegsleuten, sich flüchten. Im Hoflager des Pfalzgrafen zu Heidelberg fand er freundliche Aufnahme. Die dort versammelten Ritter ließen auf die Kunde von dem gelungenen Sprung in selbiger Nacht die Becher fröhlich kreisen. Für diesmal hatte der alte Rauschebart, den nichts erschüttern konnte, das Nachsehen. Er murmelte in seinen grauen Bart: »So kecke Flucht bringt keine Schmach!« Der senkrechte Felsen heißt heute noch »der Grafensprung«.

(Nach Bernow von Bolz.)


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