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Notburga

Etliche Stunden unterhalb der Stadt Heilbronn auf steil ansteigendem Talhang rechts über dem Neckar thront das alte Ritterschloß Hornburg. Reben umkränzen den sonnigen Hügel bis hinauf an die altersgrauen Mauern der Burg, und von oben breitet der frisch-grünende Bergwald seine Wipfel über die ernsten Trümmer, aus denen ein mächtiger Bergfried stolz und groß in die Lüfte sich hebt. Namen und Gestalten aus längst vergangenen Zeiten knüpfen sich an die alte Neckarfeste. Hier ruhte Götz von Berlichingen, der ritterliche Kämpe, in seinen alten Tagen von den tausend Händeln und Fehden, die er ausgefochten. Und viele, viele Jahrhunderte vor ihm, als noch Christentum und Heidentum rings im Kampfe miteinander lagen, da diente die feste Burg einem fränkischen Herrschergeschlechte als Sitz. Hier hauste eine Zeitlang Dagobert, ein Mann von rauhen Sitten, kriegerisch und streng, der Fürst der Franken, die im Gebiet des unteren Neckars die Herrschaft an sich gerissen hatten.

Rings im Lande hatte schon die Nacht des Heidentums vor dem Lichte des Evangeliums zu weichen begonnen. Auch der zarten Tochter des kriegerischen Herrschers war dieses Licht aufgegangen. Durch ihre früh verstorbene fromme Mutter war sie im ernsten Christenglauben auferzogen worden. Das fromme Mägdlein sah mit Betrübnis das unchristliche Wesen an ihres Vaters Hofe. Gerne blieb sie dem wilden Treiben fern, das in der väterlichen Burg herrschte, und schritt hinaus in den stillen Frieden des Waldes, um ihr Herz im Gebet vor Gott auszuschütten und ihr Gemüt in frommer Andacht zu sammeln. So war sie zur holden Jungfrau erblüht, und bald fand sich auch ein Freier für das edle Königskind. Schon lange lag ihr Vater im Kampfe mit dem mächtigen Wendenfürsten Samo, der wie sein Volk noch dem rohesten Götzendienst ergeben war. Die beiden Gegner, des Streites müde, beschlossen endlich Frieden zu machen. Und die schöne Notburga sollte der Preis desselben sein. Um den heidnischen Wendenfürsten ganz mit sich auszusöhnen, hatte ihm Dagobert seine Tochter zur Frau versprochen. So wurde Notburga mit dem fremden heidnischen Manne verlobt. Die fromme Jungfrau war damit aber nicht einverstanden. Mit Bitten und Tränen flehte sie den Vater an, sie doch nicht zu dieser Heirat zu zwingen. Doch des Vaters Wille war unbeugsam. Er schmeichelte und drohte, schalt und wütete. Notburga nahm zum Gebet ihre Zuflucht. In stiller Kammer lag sie auf den Knieen und bat um den Beistand von oben in ihrer herben Not. Ihr Vater kam und führte sie mit Gewalt hinaus, um sie dem harrenden Bräutigam zu übergeben. Sie aber erklärte mit tränenden Augen in Gegenwart des Wendenfürsten: »Nimmer werde ich meinen Christenglauben verleugnen und die Frau eines Heiden werden. Eher eile ich fort, so weit der Himmel blau ist.« Rauh wies der Vater sie zurecht, hieß sie in ihr Gemach sich begeben und seiner ferneren Befehle harren. Verzweiflungsvoll saß die Jungfrau die Nacht auf ihrem Lager, ohne Trost, ohne Beistand, ohne Hoffnung. Da wurde es plötzlich Licht in ihrem Geiste, und ihr war, als wenn eine Stimme von oben ihr zuriefe: »Notburga, stehe auf und entfliehe!« Im Dunkel der Nacht schlich sie heimlich aus der Burg, stieg entschlossen ins Tal hinab und kam bald ans Ufer des Neckars, der hier mit raschen Wellen vorüber eilt. Wohin nun die Schritte lenken? Die Angst ihres Herzens, der Schrecken der nächtlichen Flucht nahmen ihr das Bewußtsein. Ohnmächtig sank sie am rauschenden Flusse nieder.

Als sie aus ihrer Betäubung erwachte, graute der Morgen im Tale. Und neben ihr stand zutraulich eine stattliche Hirschkuh, der sie so oft im nahen Walde Futter mit ihrer Hand gereicht hatte. Das fromme Tier ließ sich vor ihr in die Kniee nieder, wie um sie einzuladen, auf ihren Rücken zu steigen. Das tat denn auch die unglückliche Jungfrau, und mit seiner edeln Last setzte der Hirsch schwimmend über den Fluß und eilte durch das Dickicht des Ufers hinan zum Eingang einer Grotte, die im Felsen über dem Flusse sich öffnete. Notburga stieg vom Rücken des Tieres, trat in die Höhle, sank auf die Kniee und dankte Gott für die wunderbare Hilfe. Bald entschlief sie. Als sie aus langem Schlaf erwachte, stand die kluge Hirschkuh wieder vor ihr und hatte ihr ein Stück Brot gebracht. In der Höhle fand Notburga eine Quelle rieselnden Wassers. Hier stillte sie ihren Durst. Und jeden Tag erschien das treue Tier und trug der Jungfrau Speise zu, die es von der Schloßküche droben hinweggenommen hatte, denn niemand tat dem frommen Tiere etwas zuleid.

Aber das regelmäßige Erscheinen und Verschwinden der Hirschkuh mußte auffallen. Man gab acht, wohin sie ihren Lauf lenkte, und folgte ihr. Sie eilte den Hügel hinab, kreuzte die Wiesen im Tal, setzte über den Fluß und verschwand drüben im dicht verwachsenen Uferhang. So wurde Notburgas still verborgener Zufluchtsort entdeckt, und der König, ihr Vater, begab sich unverzüglich an den Ort, wo man die Hirschkuh hatte verschwinden sehen. Da sah er seine Tochter friedlich in der Höhle sitzen, und das treue Tier bei ihr stehen und mit glänzenden Augen auf sie blicken, wie sie das Brot verzehrte, das es ihr zugetragen hatte.

Des Vaters Herz wurde weich bei dem rührenden Anblick, und sein zorniges Gemüt besänftigte sich. Mit freundlichen Worten lud er sein Kind ein, diesen Ort zu verlassen und wieder mit ihm heimzukehren in das väterliche Schloß, wo der Bräutigam ihrer harre. Aber die Jungfrau weigerte sich aufs bestimmteste, ihren Zufluchtsort zu verlassen und des Heiden Frau zu werden. Von diesem Entschluß vermochten sie auch die wildesten Drohungen ihres Vaters nicht abzubringen. Sie lebte von nun an in der Höhle am Flusse, die sie nie wieder verließ.

Die Kunde von ihrem wunderbaren Geschick und ihrem standhaften Glauben verbreitete sich rasch in der Gegend. Neugierige fanden sich ein, die fromme Königstochter zu sehen. Heilsbedürftige Seelen suchten und fanden Trost bei ihr. Kranke kamen, und ihnen ward Hilfe zuteil. Hunderte wurden durch sie dem christlichen Glauben zugeführt. Im nahen Flusse empfingen sie von ihr die Taufe. So wirkte sie lange Jahre im Segen Gottes, dort am untern Neckar. Und als sie ihren Tod nahe fühlte, ermahnte sie das zahlreich herbeigeströmte Volk zu treuem Ausharren im Glauben an Christum, den Gekreuzigten. Dann bat sie, wenn sie gestorben sei, solle man ihren Leichnam in den Sarg legen, auf einen Wagen stellen, zwei ungewöhnte Rinder davorspannen und diese gehen lassen, wohin sie wollen. Da, wo das Gespann mit ihrer Leiche stehen bleibe, solle man sie begraben und über ihrem Grabe eine Kirche erbauen.

So geschah es auch. An der Stelle, wo die Tiere mit dem Wagen hielten, steht heute die Kirche von Hochhausen, einem Dorf am Neckar unterhalb Gundelsheim, dem Hornberg gegenüber. Die Höhle, wo Notburga sich aufhielt, liegt weiter aufwärts am Strome und wird heute noch die Jungfernhöhle genannt. Hochwasser und Eisgänge haben sie aber teilweise zerstört, so daß sie heute nicht mehr so groß ist, um einen Menschen beherbergen zu können.

(Fr. H.)


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