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V.

Wie Baiersbronn seine große Markung bekam.

Die Normannen waren vor mehr als 1000 Jahren gefürchtete Gäste. Mit ihren kleinen, schnellen Schiffen drangen sie von der Nord- und Ostsee her in den deutschen Flüssen aufwärts und unternahmen kühne Beutezüge auf das umliegende Land. Vor ihrem Schwerte hatten die deutschen Kaiser gewaltigen Respekt. Es wird von einem erzählt, daß er den Frieden durch eine große Geldsumme erkauft habe; ein anderer soll nach einer verlorenen Schlacht als Flüchtling durch den Schwarzwald gezogen sein. In Begleitung einiger Getreuen kam der Kaiser, dessen Name nicht genannt wird, an den Ort, wo der Forbach in die Murg einmündet, und wo jetzt die vielen im Tal und an den Bergwänden zerstreut liegenden Häuser den Namen Baiersbronn führen. Dazumal standen in dem Talkessel nur wenige Hütten, von denen eine als Nachtquartier von den Flüchtlingen ersehen wurde. Die einfachen Leute nahmen den Kaiser und sein Gefolge recht freundlich auf. Für den Durst gab es Milch, und zum Nachtessen winkten zarte Forellen und ein saftiger Hirschbraten. In dem aus Strohsack, Kissen, Decke und reiner Leinwand bestehenden Bett schlief der Kaiser so vortrefflich, daß er erst erwachte, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Nach dem Frühstück, wobei nicht einmal der Honig fehlte, machte der Hausherr, ein kräftiger Holzmacher, den Führer; Kinder und Erwachsene gaben noch eine Strecke das Geleite. Man wählte das wenig begangene Tonbachtal und erreichte nach einem tüchtigen Marsch bergaufwärts den einsamen Wildsee.

Hier trafen sie wieder ein menschliches Wesen, einen alten Einsiedler, der vor seiner Klause einen groben Klotz zerspalten wollte. Seine Arbeit wollte ihm aber nicht recht gelingen. Der Alte war nicht wenig erstaunt, als er die Männer im Waffenkleid erblickte und die freundlichen Worte hörte: »Gib mir die Axt, ich will dir helfen!« Und schon schwang der Kaiser mit kräftiger Hand die Axt, und der Klotz sprang klaffend entzwei. »Wollte Gott,« sagte er, »es wäre mir nicht schwerer, das Normannenvolk zu schlagen, denn diesen Klotz zu trennen.« Als der Klausner noch kein Wort fand, fuhr der Kaiser fort: »Wenn du vergelten willst, was ich tat, so magst du fleißig für mich beten. Nimm als Andenken das Wollkleid und die Decke von deinem Kaiser.« Bei diesen Worten verklärte sich das faltige Gesicht des Alten; aus dem zahnlosen Munde kamen die Worte: »Du der Kaiser? habe Dank, daß ich dich in meinen alten Tagen noch schauen darf. Gott gebe dir Kraft, das deutsche Reich vor Verderben zu schützen! Ich bin zu schwach, mit euch zu ziehen; doch will ich für euch beten.« Der Kaiser drückte gerührt die welke Hand und winkte dem Gefolge zum Weitergehen.

Bald waren sie zu der Stelle gekommen, wo nun der »Ruhstein« die Erholungsbedürftigen aufnimmt. Das weiche Moos bot einen angenehmen Lagerplatz. Die Rosse grasten am Raine, und der Führer leerte seinen wohlgefüllten Schnappsack. Wie schmeckte der einfache Schmaus in dieser Einsamkeit! Und neugestärkt ging's vollends auf den Bergkamm, von dem man westlich das Rheintal mit Straßburg erblickte und östlich das obere Murggebiet vor sich hatte.

»Deine Hilfe können wir jetzt entbehren,« sprach der Kaiser zu dem Holzhauer, »denn nicht gar weit scheint der nächste Ort von hier zu sein, und Straßburg kann ich dann schon erreichen. Ich habe in diesem Walde mehr Treue und Anhänglichkeit gefunden, als draußen in meinem weiten Reiche. Dies Wäldervolk bereitete mir großen Trost; darum soll das ganze Quellgebiet der Murg, soweit es von hier zu sehen ist, zur Markung deines Orts gehören. Keine andere Mark im Reiche soll an Größe die von Baiersbronn erreichen.«

Die Waldleute ehrten das Andenken des Kaisers für alle Zeiten. Auch nannten sie die Steige vom Ruhstein aufwärts »Kaisersteige«.

(Nach Mallebrein von Bolz.)


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