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Das steinerne Kreuz bei Löwenstein.

Vor vielen hundert Jahren lebte zu Löwenstein der Jägerbursche Gilg, ein junger schmucker Mensch, dem das grüne Jagdkleid und der Hut mit den kecken Adlerfedern gar wohl standen. Ritt er mit seinem Grafen zur Jagd, die Armbrust auf dem Rücken und die bellenden Rüden an der Leine, so schaute ihm manches Auge mit Wohlgefallen nach. Auf dem »Stutz« bei den Linden gab es am Sonntag keinen gewandteren Tänzer als Gilg und abends, wenn die Paare beim Wein im Löwenwirtshause saßen, keinen besseren Sänger als ihn. Was Wunder, daß ihm die Mädchen hold waren und jede wünschte, ihn einmal zum Manne zu bekommen.

Ganz besonders zwei Mädchen hatten ihr Auge auf ihn geworfen: die schwarze Käte beim unteren und die blonde Liese am oberen Tore. Und auch Gilg sah diese beiden gern: denn sie waren, jede in ihrer Art, die schönsten Mädchen des Städtchens und dazu auch vermöglich; denn ihre Väter besaßen schöne Weinberge und Obstgärten an den sonnigen Halden des Löwensteiner Berges. Doch wußte Gilg nicht, welcher von beiden er den Vorzug geben sollte. Stieg er vom Pürschgange den steilen Weg herauf, der vom tiefgelegenen Teußerbad zum Städtchen führt, so hatte er seine Freude, wenn die schwarze Käte beim unteren Tor vor ihrem Hause saß und in ihrer kecken Art mit ihm plauderte. Beim Weggehen dachte er dann regelmäßig: »Diese und keine andere soll mein Weib werden!« Doch war dieser Vorsatz sofort wieder vergessen, wenn er am obern Tor vorbeikam und hier die blonde Liese unter der Tür erblickte. Sie plauderte zwar nicht so gern und viel wie die Käte; aber ihre stille Anmut gefiel ihm so gut, daß er dann der Käte vergaß und dachte: »Nur dich allein kann ich lieb haben!« Was er dachte, sagte er weder der einen noch der andern, und obgleich ihm der Graf ein kleines Lehen gegeben und ihm auch das Heiraten erlaubt hatte, so griff er doch nicht zu und schwankte hin und her, von der einen zu der andern. Darüber verging Jahr um Jahr, und die Mädchen, die jede andere Werbung ausgeschlagen, wurden älter und älter und klammerten sich nun um so fester an ihre stille Hoffnung. Da jede der andern die Schuld dafür beimaß, daß der Jäger zu keinem Entschlusse kam, wurden sie einander feind, spinnefeind, so daß keine die andere mehr anschauen mochte und sie einander aus dem Wege gingen, wo sie nur konnten.

Nun geschah es, daß die schwarze Käte einmal in den Wald ging, um Gras zu holen. Sie stieg hinab in das Tal, wo das Sulmbächlein durch grüne Wiesen eilt, und dann ging's hinauf zu den Bergen, die auf breiter Ebene einen waldumkränzten See tragen. Der See speist die Mühlen des Tales, und der Graf benützte ihn, Karpfen und hechte darin zu ziehen. Es war ein sonniger Frühlingstag; die Vögel sangen in den Zweigen, und mit leisem Hauche strich der Wind über den schimmernden Spiegel des Waldsees, ihn kräuselnd zu sanften Wellen. Käte hatte für all' diese Schönheiten keine Augen. Sie dachte an den Jäger und an die blonde Liese, und bitterer Groll quoll in ihrem Herzen gegen sie auf. Nicht fern vom See, wo steil der Fußpfad hinübersteigt zum Bottwartal, liegt ein waldiger Grund, in dem es Gras die Fülle gibt, hier stellte Käte den Korb zur Erde, zog das Mieder aus und fing an, mit der scharfen Sichel das Gras abzuschneiden. Kaum hatte sie ihre Arbeit begonnen, so hörte sie neben sich etwas rauschen; die Zweige bogen sich auseinander, und heraus trat die blonde Liese, einen Korb voll Gras auf dem Kopfe. Überrascht standen die beiden Mädchen einander gegenüber und maßen sich mit feindseligen Blicken. Dann aber wollte Liese schnell weitereilen, an ihrer Nebenbuhlerin vorbei. Diese aber konnte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihrem Groll und ihrer Eifersucht Luft zu machen. Mit spöttischem Ton fragte sie: »Hat dir der Jäger geholfen, daß du so bald fertig bist?« Zornig erwiderte Liese, daß sie das nichts angehe. Damit war ein Streit begonnen, der heftig und immer heftiger wurde und endlich gar zu Tätlichkeiten führte. Die heißblütige Käte schlug die Liese mit der Sichel über den Kopf, daß die Spitze sich herabbog bis zum Halse und dort die Schlagader durchschnitt. Mit einem gellenden Aufschrei sank die Unglückliche zu Boden. Das rote Blut rieselte ihr wie ein Bächlein über Hals und Brust. Als das die Käte sah, ließ sie die Sichel fallen unti floh entsetzt in den Wald hinein. Dort irrte sie weglos durchs Gesträuch und kehrte erst in die Heimat zurück, als schon längst die Nacht hereingebrochen war.

Die Liese hatte sich unterdessen verblutet. Ein Holzhauer, der zufällig des Weges kam, fand sie tot in einer Lache von Blut liegen. Er brachte die Kunde von der Tat nach Löwenstein. Unter dem Zulauf der Leute wurde die Tote ins Städtchen gebracht, mit ihr auch Korb, Sichel und Mieder der Käte, die sie bei der eiligen Flucht zurückgelassen hatte. Noch in selbiger Nacht wurde die Käte verhaftet und in den oberen Torturm, den »Tollehans«, gebracht. Am andern Tag vor Gericht gestellt, leugnete sie ihre rasche Tat nicht. Obgleich sie tiefe Reue zeigte, wurde sie doch nach den strengen Gesehen der damaligen Zeit zum Tode verurteilt und auch nach wenigen Tagen draußen auf dem Stutz, wo sie sich so oft in froher Jugendlich im Tanz geschwungen, durch den gräflichen Scharfrichter vom Breitenauer Hof enthauptet.

Gilg, der Jägerbursche, war von da an gänzlich verwandelt. Seine Züge wurden durch kein Lachen mehr erhellt, und weder bei Tanz noch bei Wein und Sang war er mehr zu sehen. Einsam strich er durch Wald und Feld, seinen trüben Gedanken nachhängend. Als kurz darauf die verbündeten schwäbischen Städte im Gebiet des Grafen Eberhard II von Württemberg einfielen und Graf Albrecht von Löwenstein dem Württemberger gegen sie zu Hilfe zog, da erbat sich Gilg die Erlaubnis, als reisiger Knecht auch mitziehen zu dürfen. Der Graf erlaubte es ihm. Bei Döffingen im Gäu, wo die Städter den festen Kirchhof belagerten, kam es im August 1388 zur Schlacht. In ihr fiel Graf Albrecht von Löwenstein und an seiner Seite auch Gilg, sein Jägerbursche. Im Kirchhof zu Auffingen fand er sein Grab. Den toten Grafen brachte man nach Löwenstein, wo er in der Kirche beigesetzt wurde. Sein Grabstein ist noch erhalten und in die Mauer des sogenannten Lustgartens beim fürstlichen Schlosse eingefügt. Auch die Stätte, wo die blutige Tat im Wald geschehen ist, wird noch gezeigt. Ein altersgraues Kreuz aus Stein, ohne Namen und Inschrift, durch die Länge der Zeit tief eingesunken in den Waldesboden, bezeichnet den Ort. Ringsum rauscht der Wald, der von dem Denkstein den Namen »Steinernes Kreuz« erhalten hat.

(Mündlich. K. Rommel-R.)


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