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III.

Die Belagerung der Burg Hohenstaufen.

Es war im Jahre 1127. Die warmen Strahlen der Nachmittagssonne überfluteten die Gefilde des Filsgaues und auch die Abhänge des schöngerundeteu Berges, der sich daraus emporhebt. Nach seiner Form, die einem umgestürzten Becher ähnlich ist, hat er in unvordenklicher Zeit den Namen Staufen, d. h. Becher, erhalten. Jetzt ist sein Gipfel kahl; im oben genannten Jahre aber trug er eine stattliche Burg, deren Mauern und Zinnen wie flüssiges Silber im Sonnenschein glänzten. Auf dem hohen Wartturme flatterte lustig die Fahne der Schwabenherzöge mit den gelben Löwen, hin- und hergeweht von dem frischen Lufthauche, den das nahe Albgebirge herübersandte. Kaum fünfzig Jahre früher war die Burg erbaut worden, als Friedrich von Büren von Heinrich IV mit der Hand der Kaiserstochter Agnes zugleich das Herzogtum Schwaben erhalten hatte. Der alte einfache Edelhof im Tale drunten wollte ihm da nicht mehr genügen, und er erwählte sich den nahen Staufen zu seinem herzoglichen Sitze. Dazu war der Berg vor anderen geeignet. Wie ein Feldherr vor seiner Schlachtlinie, so steht er vor der langgezogenen Kette der Albberge da, hineinschauend in das Herz des Schwabenlandes, wo Berg an Berg sich reiht, bekränzt von frischem Waldesgrün und früchtereichen Obst- und Weingärten. Auch stand der Berg seit uralten Zeiten in hohem Ansehen. Soll er ja, wie die Sage berichtet, vor Zeiten nicht nur die Wohnstätte mächtiger Riesen, sondern sogar der Sitz der Götter selbst gewesen sein.

Der warme Sonnenschein hatte die Burgherrin, die Herzogin Judith von Schwaben, aus ihrer Kemenate gelockt. Sie war die Wendeltreppe des Turmes hinabgestiegen und hatte sich im kleinen Burggärtlein beim Zwinger in die Sonne gesetzt. Ein Diener hatte ihr einen Lehnsessel zurechtgestellt, und nun schaute sie ihren Kindern zu, die unweit von ihr sich beschäftigten. Die beiden Mädchen pflanzten und begossen Blumen im Beete, und der 5jährige Friedrich, ein Knabe mit hellen blauen Augen und langen goldblonden Locken, schoß mit der Armbrust nach einem hölzernen Vogel, und selten verfehlte sein Bolzen das Ziel. Helle Mutterfreude strahlte aus den Augen der Herzogin, wenn sie auf ihren Liebling blickte. Ahnte ihr Herz vielleicht, daß er einst auf seinen Locken die deutsche Krone tragen und als Kaiser Barbarossa die Welt mit seinem Ruhme füllen sollte? Wir wissen es nicht; aber ihre bleichen Wangen färbten sich röter und verscheuchten die schweren Sorgenfalten, die sich auf ihrem Gesichte eingegraben hatten. Denn Judith war leidend und in der letzten Zeit mehr als sonst. Ihr Gemahl, Herzog Friedrich von Schwaben, war mit seinem Bruder Konrad in den Kampf gezogen gegen den deutschen König Lothar, auf dessen Krone er ein Anrecht zu haben glaubte. Die beiden Brüder standen mit ihrem Heer über der Donau drüben in Oberschwaben. Dort erwartete man täglich eine Schlacht; denn Lothar war mit seinem Heer aus Sachsen aufgebrochen und hatte sich der Donau zugewendet, um die Schwabenherzöge anzugreifen. Judiths Kummer galt aber nicht dem Kampf und der Fehde. Krieg und Kriegsgeschrei war man zu ihrer Zeit gewohnt, und ein Fürst konnte nur wenig der süßen Ruhe und des häuslichen Glückes Pflegen. Ihr Kummer und Herzeleid war, daß ihr eigener Bruder Heinrich, aus dem stolzen Geschlecht der Welsen und Herzog von Bayern, sich auf die Seite Lothars gestellt hatte und gegen ihren Gemahl Friedrich zu Felde lag. Sie hing mit inniger Liebe an ihrem Gemahl wie auch an ihrem Bruder, und mußte nun die beiden, die ihr so lieb waren, im Kampf und Streit miteinander wissen, ohne helfen zu können. Denn Herzog Heinrich wollte in seinem stolzen Sinn und aufgestachelt durch den Papst und die Geistlichkeit von keinem Frieden etwas wissen. Mit allen Kräften war er darauf bedacht, König Lothar zu unterstützen und dem mächtig aufstrebenden Hohenstaufenaar Fänge und Flügel zu kürzen.

Tag und Nacht nagte der Gram über den unseligen Zwist am Herzen der unglücklichen Frau, und eben wieder hing sie ihren trüben Gedanken nach, als die Pforte am Burggarten sich öffnete und der Burgvogt Swineger eintrat. Er war ein ritterlicher Mann mit silberweißem Bart und Haupthaar. Auf seinem ehrlichen Gesicht lag ein tiefer Kummer. Rasch näherte er sich der Herrin und beugte vor ihr das Knie. »Was gibt's, Swineger?« fragte Judith freundlich: »Eurem Gesichte nach zu schließen wenig Gutes.« »O, Herrin,« erwiderte Swineger, »ich wollte, ich dürfte verschweigen, was ich zu berichten habe. Soeben ist vom Abt in Lorch ein Bote gekommen. Er läßt uns sagen, daß Lothar plötzlich die Richtung seines Marsches geändert hat und nun auf unsere Burg zuhält. Seine Vorhut streift schon im Schurwald, und nur wenige Stunden noch, so werden wir von ihm eingeschlossen sein.« Die Herzogin erbleichte. Dann aber richtete sie sich stolz und entschlossen auf. »So sendet Boten zu meinem Gemahl,« sagte sie, »und tut unterdessen, was Ritterpflicht euch gebietet. Das aber schwöre ich: die Burg soll und darf ihre Tore nicht öffnen, bis mein herzoglicher Gemahl zur Hilfe herbeigekommen ist!« »So sei's, gnädige Frau,« erwiderte Swineger, »und solange ein Tropfen Blut in meinen Adern fließt, soll der Staufen nicht in Lothars Hände fallen.« Mit diesen Worten verbeugte er sich und ging, um die nötigen Vorbereitungen zur Verteidigung der Burg zu treffen. Aus dem Dorfe wurden die waffenfähigen Männer, soweit sie nicht schon mit dem Herzog gezogen waren, zur Burg gerufen. Sie folgten gerne dem Rufe, denn die Herzöge hatten ihnen viele Rechte und Freiheiten gegeben. Es wurden Lebensmittel herbeigeschafft, Pfeile und Lanzenspitzen gehärtet und Gefäße zurechtgestellt, um bei einem Sturme heißes Wasser auf die Feinde schütten zu können.

Eben sank die Sonne im grauen Dunstmeer des Westens unter, als mit scharfem Stoße das Wächterhorn vom Turme rief und das Herannahen der Feinde verkündigte. Alles lief auf die Mauern. Man sah, wie aus dem Walde am Fuß des Berges die Scharen hervorbrachen, immer wieder neue, so daß es unten bald von Mannen und Rossen wimmelte. Die ganze Nacht über ertönte das Gerassel der Wagen, das Wiehern der Pferde und das Schreien und Fluchen der Kriegsleute.

Als die Sonne am andern Morgen aufging, dehnte sich das Lager um den ganzen Berg her, so daß niemand von der Burg mehr aus noch ein konnte.

König Lothar, der selbst anwesend war, begann nach wenigen Tagen die Burg zu berennen. Aber die Besatzung war auf ihrer Hut und ließ sich nicht überrumpeln. Der greise Burgvogt war überall, bald oben auf der Mauer, bald unten bei der Brücke und dem Tore, das er mit großen Steinen hatte verrammeln lassen. Er hauchte seinen Mannen Mut ein und sorgte für pünktliche Ablösung, um sie nicht zu übermüden und im entscheidenden Augenblicke frisch und munter zu haben. Wenn der Angriff abgeschlagen war und die Feinde im Lager unten ruhten, dann ließ er die leeren Wasserfässer aus der Burg bringen und im Weiler, wo Brunnen waren, aufs neue füllen.

Als König Lothar das merkte, schloß er das Bergschloß enger ein. Er stieg herauf und verlegte sein Lager in die Nähe des Weilers, um die Brunnen zu verwahren. Nun wurde die Lage der Eingeschlossenen bedenklich. Bald trat empfindlicher Wassermangel ein, so daß man jedem täglich nur einen Becher voll verabreichen konnte. Um den Durst zu löschen, mußten die Mannen ihre Zuflucht zu den Gruben nehmen, in die das Regenwasser von den Dächern zusammenlief. Immer näher rückten die Feinde der Burg. Jetzt lagerten sie sich schon auf dem freien Platze der Spielburg, wo sonst in Friedenszeiten die Burgleute ihre Pferde zu tummeln pflegten. Die zerklüfteten und überhängenden Kalksteinfelsen boten den Feinden willkommenen Schutz, so daß man ihnen von der Burg aus schwer beikommen konnte.

Swineger verlor aber den Mut nicht. Er tröstete seine Leute mit der Hoffnung auf baldige Hilfe, die Friedrich und Konrad, die beiden Herzöge, bringen sollten. Auch die Herzogin nährte diese Hoffnung. Kaum graute der Tag, so spähte sie schon hinaus ins weite Land, ob die ersehnte Hilfe nicht komme. Stunde um Stunde mußten ihr die Wächter berichten, was sie vom Turme erschaut hatten. Als eines Mittags der Türmer in ihr Gemach trat und meldete, es sei ein großer Heereszug vom Remstale her im Anzug, da pochte ihr Herz in stürmischer Freude. Sie glaubte nicht anders, als daß es ihr Gemahl sei, der Hilfe bringe. Alles war voll frohen Mutes, denn jetzt sollten die Leiden ein Ende nehmen. Um so größer aber war die Bestürzung, als es sich zeigte, daß die Ankömmlinge keine Freunde, sondern Feinde waren. Herzog Heinrich von Bayern führte sein Heer herbei, um die Belagerung vollends rasch zu Ende zu bringen.

Am meisten erschüttert über diese Kunde war Judith. Diese Herzlosigkeit hatte sie ihrem Bruder nicht zugetraut. Gram und Leid krampften ihr das kranke Herz zusammen, so daß sie ohnmächtig zu Boden fiel. Die ganze Nacht über rang sie mit dem Tode. Als das Frührot ins Gemach leuchtete, da löste sich die Seele von dem matten Leibe und schwang sich auf zu den Gefilden der Seligen, wo es keinen Haß und keinen Streit mehr gibt. An ihrer Leiche kniete schluchzend der treue Swineger mit den Kindern, die noch nicht wußten, was ihnen mit der Mutter genommen war. Zur offenen Türe herein drängten die weinenden Mägde und Mannen, denen Judith stets eine gute Herrin gewesen war.

Während droben auf der Staufenburg alles sich dem Schmerze hingab, ordneten Lothar und Heinrich drunten auf der Spielburg ihre Heerhaufen, um die Burg jetzt mit verdoppelten Kräften anzugreifen. Aber ehe sie zum Sturme schreiten konnten, kam aus der Burg ein Herold und begehrte die Herren zu sprechen. Swineger ließ den Tod der Herzogin melden und begehrte, um die hohe Leiche im Lorcher Kloster beisetzen zu können, einen zweitägigen Waffenstillstand. Das Gesuch wurde bewilligt, jedoch mit der Bedingung, daß der Leichenzug seinen Weg durch das königliche Lager nehmen müsse. Man wollte Swineger damit schrecken, denn niemand im Lager glaubte an den Tod der Herzogin. Man hielt es für eine Kriegslist, durch die man Kostbarkeiten aus der Burg bringen wolle.

Am andern Tag gegen Abend tat sich das Tor der Burg auf, und der Leichenzug kam heraus. Dienstmannen trugen den prunklosen Sarg, hinter dem Swineger ging, den kleinen Friedrich an der Hand. Nach ihnen kam das Schwesternpaar, dann die Besatzung der Burg in glänzender Wasfenrüstung und zuletzt das in die Burg geflohene Landvolk. Heiße Tränen rollten über die Wangen der Trauernden, die vom Wachen und Hungern bleich und hohl geworden waren. Am Eingang zum Lager harrten König Lothar und Herzog Heinrich des Zuges. Sie glaubten noch jetzt nicht an den Tod der Herzogin. Darum befahlen sie, den Sarg zur Erde zu stellen und zu öffnen. Wie erschraken sie aber, als ihnen das bleiche und vergrämte Antlitz der Toten entgegenstarrte. Herzog Heinrich stieß einen erschütternden Schrei aus und warf sich in wildem Schmerze über die Leiche der Schwester, die er durch seinen Stolz und seine Härte getötet hatte. Mit seinen Rittern und Knechten schloß er sich dem Trauergefolge an und begleitete die Tote hinab zur stillen Gruft im Kloster Lorch.

Zum Hohenstaufen kehrte Heinrich nicht mehr zurück. Er ließ dem König sagen, daß er der Toten zulieb von der Fehde gegen die Staufer abstehe. Allein aber wollte Lothar die Belagerung nicht fortsetzen, zumal er Kunde erhielt, die Herzöge Friedrich und Konrad seien mit Heeresmacht im Anzug. So schlug er das Lager ab und zog mit seinem Heere von dannen. Als kurz darauf die beiden Staufer anrückten, waren sie höchlichst erstaunt, den Feind nicht mehr vor der Burg anzutreffen. Ihre Freude verwandelte sich aber in Trauer, als sie Judiths Ende vernahmen und erfuhren, wie sie noch im Tode die Retterin der Burg gewesen war.

(Nach Schönhuth von A. H.)


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