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IV.

Jörg Syrlin

Im Jahr 1085 erbauten 3 Brüder aus dem Geschlecht derer von Ruck und Gerhausen, Sigiboto, Anselm und Hugo, hart am Quell der Blau, das Kloster Blaubeuren und weihten es dem Täufer Johannes. Dieses Kloster gelangte im Lauf der Zeiten zu ansehnlichem Reichtum, so daß im 15. Jahrhundert die Mönche beschlossen, ihren Wohnsitz größer und schöner zu gestalten. Das Kloster wurde umgebaut, und heute noch bewundern wir die herrliche Johanneskirche mit ihrem hoch gewölbten Chor und dem kunstvollen Schnitzwerk ihrer Stühle und Altäre. Die Perle der Klosterkirche ist aber der dem Täufer geweihte Hochaltar, ein Meisterwerk mittelalterlicher Holzschneidekunst. Georg Syrlin, ein Kind der nahen Reichshauptstadt Ulm, hat seinen Namen durch dieses Kleinod unsterblich gemacht. In der Nähe des Altares, bei der Sakristeitüre, befindet sich Syrlins Bild von seinen eigenen Händen geschnitzt und dabei in lateinischer Sprache die Inschrift: Im Jahre des Herrn 1493 sind diese Stühle von Georg Syrlin aus Ulm, einem sehr tüchtigen Meister in dieser Kunst, verfertigt worden. Dieses Selbstbildnis hat Veranlassung zu nachfolgender Sage gegeben. Nachdem Syrlin sein kunstvolles Werk vollendet hatte, fragten ihn die Mönche, ob er sich wohl getraue, einen noch herrlicheren Altar zu schnitzen. Im Gefühl seiner inneren Kraft antwortete der Künstler mit einem zuversichtlichen Ja. Die Mönche aber waren darüber keineswegs erfreut. Sie fürchteten vielmehr, Syrlin könnte für ein anderes Kloster gewonnen werden und etwa diesem dann ein Kunstwerk schaffen, welches das ihrige an Schönheit und Ruhm übertreffen möchte. Voll Neides und Argwohns ergriffen sie den Künstler und stachen ihm die Augen aus. Und damit ihr Verbrechen nicht kund würde, hielten sie den Geblendeten vor allen Besuchern des Klosters verborgen. Nur des Nachts war ihm gestattet, aus seiner einsamen Zelle hervorzukommen. Meister Syrlin aber schnitzte heimlich bei dunkler Nacht in einen Stuhl dicht bei der Sakristeitüre sein eigenes Bildnis, ein gebrochenes, tief trauerndes und geblendetes Männlein, und offenbarte so der Nachwelt den Undank der schändlichen Mönche.

(P. Barth.)


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