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Die steinernen Jungfrauen im Brenztale

Etwa 2 Stunden unterhalb der Stadt Heidenheim liegt im romantischen, mit Felsen, Wald und Wiesengrün gezierten Brenztale die Eselsburg. Sie steht auf hohem Felsen, ist aber jetzt nur noch eine Ruine, überwachsen von dichtem Gebüsch und den üppigen Ranken des Brombeerstrauches. Einst war sie ein schmuckes Schloß mit hohen Türmen und glänzenden Zinnen und wurde bewohnt von einem ritterlichen Geschlechte, das sich den wunderlichen Namen »Esel von Eselsburg« zugelegt hatte. Der letzte Sproß dieses alten Hauses war ein Fräulein, von dem die Sage vieles zu berichten weiß. In ihrer Jugend war sie von Freiern viel umworben, denn sie war die alleinige Erbin der Burg und der Güter. Doch stieß ihr harter, männlicher Sinn die Werber alle ab, so daß das Fräulein zu keiner Heirat kam und eine alte Jungfer werden mußte. Das erfüllte sie mit Zorn und Scham, und sie ließ sich von nun an vor keinem Menschen mehr sehen. Voll Haß auf die Männer saß sie rachebrütend in ihrer Stube, umgeben von dicken Büchern mit geheimnisvollen Schriftzeichen. Aus ihnen wollte sie erfahren, wie man wunderbare Macht erlangen, Zauber tun und den Menschen Unheil und Schaden zufügen könne. Oft kochte und mischte sie in merkwürdig geformten Gefäßen allerlei Pulver und Säfte, zu denen sie in mondhellen Nächten drüben auf dem gespenstischen Buigenberge Kräuter und Steine gesammelt hatte. Mit Grauen sprachen die Leute des Dorfes, denen sie eine unbarmherzige Herrin war, von ihrem unheimlichen Tun, und es war ihnen eine ausgemachte Sache, daß sie mit dem Teufel selbst im Bunde stehe.

Nun waren einmal auf der Burg zwei junge Mädchen im Dienst. Die mußten allabendlich zur Brenz hinabsteigen und in einem Kübel das Wasser für den andern Tag holen. Es war ihnen nun vom Burgfräulein aufs strengste verboten, mit jemanden zu sprechen, und ganz besonders sollten sie die jungen Burschen meiden, die das Fräulein, wie alle Männer, aufs tiefste haßte. Die Mädchen befolgten auch lange Zeit pünktlich das Gebot ihrer Herrin; denn sie fürchteten sich vor der Strafe, die sie ihnen im Falle des Ungehorsams angedroht hatte. Als aber eines Tages ein junger Fischer an der Wasserstelle sein Netz auswarf, mit den Mädchen scherzte und ihnen muntere Lieder vorsang, vergaßen sie das Gebot und die Drohung ihrer Herrin und ließen sich mit ihm in ein Gespräch ein. Jeden Abend fand sich nun der Fischer am Flusse ein, und die Mädchen konnten es kaum erwarten, bis sie mit ihren Eimern zu ihm herniedersteigen konnten.

Bald aber schöpfte das Fräulein Verdacht. Eines Abends, als die Mädchen sich wieder eilig davonmachten, schlich sie ihnen nach und sah nun mit Ingrimm, wie die Mädchen mit dem Fischer lachten und scherzten. Mit raschen Schritten trat sie aus dem Versteck hervor und auf die Erschrockenen zu. »Werdet zu Stein,« rief sie ihnen zu, »da ihr mein Gebot verachtet habt!« Sie murmelte einige Zauberworte: ein heftiger Blitz und Donnerschlag, und die vor Schreck erstarrten Mädchen wuchsen empor, riesengroß, verwandelt in hartes Felsgestein.

Noch jetzt stehen an der Straße, die sich am Brenzufer hinzieht, die zwei Felsen. Sie gleichen zwei Mädchen, die einen Wasserkübel tragen. Man nennt sie allgemein in der Gegend die »steinernen oder die spitzigen Jungfrauen« und erzählt sich, daß sie manchmal des Nachts seufzen und stöhnen.

Die Eselsburg soll noch in derselben Nacht, da diese Geschichte sich ereignet hat, durch ein heftiges Gewitter zerstört worden sein. Das Burgfräulein aber soll der Teufel bei lebendigem Leibe geholt haben.

(Nach Magenau von K. Rommel-R.)


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